Reflexhaft heißt es häufig ebenso richtig wie nach Sonntagsreden klingend, gegenüber Corona-Skeptikern solle niemand „die Nazi-Keule schwingen“, sondern die „Auseinandersetzung suchen“. Der Artikel zeigt: Nazis sind z. B. die Corona-Demonstranten in ihrer überwiegenden Mehrheit zwar nicht. Angesichts der bei ihnen vorfindlichen Meinungen ist das aber nur ein schwacher Trost. Der Artikel zeigt, an welchen Mentalitäten von Corona-Skeptikern die „rationale Auseinandersetzung“ mit ihnen aufläuft.
In Bezug auf die Demonstrationen von Corona-Skeptikern steht in der letzten Zeit oft im Vordergrund, dass in Berlin am 29.8.2020 ein paar tausend Rechtsradikale mitliefen und dies von den anderen Teilnehmern sowie den Veranstaltern toleriert wurde. (Fernsehreporter sprachen Teilnehmer darauf an. Die Antwort lautete häufig: „Dies ist eine b u n t e Demo“. Verbunden war dieses Statement mit einem Bekenntnis zur Inklusion: „Ausschließen tun w i r niemand“.) Auf der letzten großen Berliner Demonstration trugen zudem Teilnehmer T-Shirts, auf denen ein Davidstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ zu sehen ist. Ein Schild hatte die Aufschrift „Verbrecher Hitler ließ Deutschland untergehen. Merkel lässt Deutschland untergehen.“ Das Thema dieses Artikels sind die Mentalitäten der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer, die weder Nazis sind noch die staatliche Politik gegenüber Corona mit Hitlers Politik vergleichen.
Verwirrtheit
Sprechen wir nicht davon, dass eine Rednerin, die wahrsagte, Trump sei in Berlin und die Demonstranten müssten ihm ein „Zeichen geben“ und deshalb zum Reichstag ziehen, auf der Demonstration am 29.8. nicht ausgelacht wurde, sondern Gehör fand. Das eigentlich Besorgniserregende finden wir in Statements von Demonstranten, die am Abend des Demonstrationstags in der Berliner „Abendschau“ und der Tagesschau zu sehen waren. Sie lauteten: „Viren gibt’s immer, Viren sind in jedem Körper. Menschen haben ein Immunsystem!“
„Da war die erste Welle im April und nun kommen noch weitere Wellen – da kann m i r doch k e i n e r was erzählen! Da ist doch etwas faul.“
Wer sich mit Naturwissenschaft beschäftigt hat weiß, dass sich Studienergebnisse leicht missverstehen lassen, wenn man sich nicht wirklich auskennt. Das ficht Corona-Skeptiker nicht an. Einerseits könnte das Motto von Corona-Skeptikern lauten: „Ich habe keine Ahnung, aber das ist mich egal“ (Verona Feldbusch). Andererseits haben sie ein anspruchsvolles Selbstbild, das ihnen die Attitüde des Durchblicks nahelegt. Sie schnappen irgendeinen Informationsbrocken oder ein Detail aus einer Studie auf, kennen die Kontexte nicht und fangen an, munter herumzuspekulieren. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sie nicht durchblicken und spielen Hobby-Virologe und Hobby-Epidemiologe. Das do-it-yourself-Herumgestöpsele mit unverstandenen Versatzstücken ist bei Corona-Skeptikern beliebt. Die Abhängigkeit von Expertenwissen, die sie sonst akzeptieren, wollen sie bei Corona magisch verschwinden lassen. Zudem pfuscht den Corona-Skeptikern ein Interesse kräftig in ihr Bewusstsein: Wie der Vogel Strauß stecken sie den Kopf in den Sand und meinen so, Gefahren ausblenden zu können. Alles halb so schlimm mit Corona – dieser Wunsch ist Vater und Mutter der Gedanken von Corona-Skeptikern.
Bei Corona-Skeptikern ist die Unfähigkeit weit verbreitet, die eigene Inkompetenz wahrnehmen zu wollen. Dass in den allermeisten Ländern die anerkannten Virologen und Epidemiologen von der Gefährlichkeit des Virus überzeugt sind und mittlerweile ähnliche Maßnahmen vorschlagen, macht Corona-Skeptiker nicht stutzig. Die Corona-Demonstranten wollen nichts davon wissen, worauf ihre „Skepsis“ praktisch hinausläuft – auf die billigende Inkaufnahme und Förderung von viel Leid durch Verweigerung von Vorsichtsmaßnahmen. Corona-Skeptiker zeigen sich auch immun gegen Berichte über die gravierenden Folgen nach überstandener Erkrankung (vgl. dazu z. B. https://www.tagesschau.de/ausland/ischgl-klage-coronavirus-101.html) Viele corona-skeptische Kommentaren ähneln dem Auftreten von Advokaten vor Gericht. Sie ziehen alles heran und bringen alles vor, was dem Gegner schaden könnte – egal, ob es einen inneren Zusammenhang hat. Ein eigenes folgerichtiges Bild der Lage meinen sie nicht aufbieten zu müssen. Wahrscheinlich ist die Bezeichnung „Corona-Skeptiker“ zu vorsichtig bzw. feinsinnig. Immer wieder bringen sie völlig widersprüchliche Gedankengänge zusammen. In einem Atemzug wird dann bspw. die Existenz des Virus abgestritten und kurz darauf davon „berichtet“, es sei in einem chinesischen Labor gezüchtet worden.
Corona-Skeptiker unterscheiden sich von Leuten (Kulturschaffende, Tourismusbranche u. a.), die die Kompensation der ökonomischen Nachteile fordern, welche sie infolge der Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie erleiden. Um für seine Interessen einzutreten muss niemand Coronaskeptiker oder -leugner sein.
Manche coronaskeptische Netzseiten zeigen ein Paralleluniversum, das erfüllt ist von Verächtlichkeit, dem selbstzufriedenen Überlegenheits-Getue gegenüber anerkannter Expertise und der Abwehrhaltung, die Pandemie nicht an sich herankommen lassen zu wollen. Auf einer Netzseite wird die Berliner Gesundheitssenatorin als „SPD-Extremistin“ (1. 10.) und Karl Lauterbach als „erfahrener Fake-new-Superspreader“ bezeichnet (26.9.). Eine Überschrift lautet im Trump-Jargon: „Christian Drosten: schon immer eitle fake news“ (21.6.). Auch ist die Rede von „Reisewarnungen aller Art, mit denen die Staaten jeweils ihre BürgerInnen belästigen“ (25.9.). Dieser Blogger hat bislang 35 (!) Artikel veröffentlicht über seine Bemühungen, die Dissertation von Drosten zu erhalten, und über seine Mutmaßungen zu ihr, ohne die Inhalte von Drostens Text vorzustellen und inhaltlich sachlich zu diskutieren. Dazu fehlt dem Blogger die Qualifikation. Er verfällt in ein abwertendes und aggressives Verlachen. Das Vorbild sind billige Comedysendungen. Sie bestärken Unbedarfte darin, sich mit Witzelsucht über das zu erheben, was ihren Horizont übersteigt. Der Blogger bezeichnet Drostens Podcasts als „Poetry-Slam“ (16.9.) und Karl Lauterbach als „Klabauterlach“ (26.9.). Da merkt jemand in seinem Drang, andere lächerlich machen zu wollen, gar nicht mehr, was er selbst dabei für eine Figur abgibt. „Während viele sogenannte Viren-Skeptiker sich wahrscheinlich in der revolutionären Tradition eines Wilhelm Tell sehen, ähnelt ihr vehementes ‚Dagegen’ viel eher einer anderen, berühmten literarischen Figur: dem Suppenkaspar. Mit seiner absoluten Weigerungshaltung – pardon: Obrigkeitskritik – bezahlt der Kasper am Ende den ultimativen Preis“ (Jasamin Ulfat-Seddiqzai am 2.6.2020 im Deutschlandfunk Kultur).
Ein Misstrauen gegenüber Politikern, die bislang nicht für eine gute Gesundheitspolitik standen, ist berechtigt. Daraus lässt sich jedoch keinesfalls schließen, dass sie im Fall einer weltweiten Seuche wie Corona aber auch rein gar nichts richtig machen können. Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder hat mit Hartz-IV einen massiven Abbau des Sozialstaats praktiziert. Trotzdem war die Weigerung begrüßenswert, sich nicht aktiv am Krieg gegen den Irak zu beteiligen.
Corona-Skeptiker spielen gern Hobby-Detektiv. Sie suchen nach Anzeichen, um am Wissen der weltweit anerkannten Experten in Sachen Corona-Virus und an den Maßnahmen zum Schutz vor ihm irgend etwas „faul“ zu finden. Am 1. 10. schreibt der bereits zitierte Blogger: „Hochstapler oder genialer Kommunikator? … Bundespräsident Steinmeier hat C. Drosten ein zweites Bundesverdienstkreuz überreicht. Mal sehen, wie lange er es tragen darf. Schließlich spricht vieles dafür, daß er seinen Doktortitel zu Unrecht trägt.“ Jeder noch so abwegige Verdacht ist ihnen recht, um ihrem Anspruch nachzukommen, bloß nicht „unkritisch“ zu sein. Bereits Krimileser wissen jedoch, dass es am Anfang einer „Ermittlung“ von Verdächtigungen nur so wimmelt. „Der Anfänger kennt viele Möglichkeiten, der Meister wenige“ (Suzuki). Corona-Skeptiker belassen es bei der A t t i t ü d e des „Hinterfragens“. Kritik missrät bei ihnen zur Pose und zum „als ob“.
Souveränitätssimulation
Wer in den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, hat die Gelegenheit für ein einfaches Experiment. Sie oder er kann freundlich, als ginge es um die weltoffene Aufgeschlossenheit gegenüber einer ebenso noch unbekannten wie vielleicht interessanten neuen Kulturfacette, sich erkundigen, warum jemand die Maske z. B. ums Kinn bindet und nicht über Mund und Nase zieht. Eine der beliebtesten Antworten lautet: „Ich kann doch machen, was ich will.“ Vorgeführt wird damit zweierlei: Der Stolz auf den eigenen Trotz gegen Vorgaben sowie eine Selbsttäuschung.
Auf einem Plakat bei der Demonstration war zu lesen: „Gehorsamszeichen wie Hitlergruß, Genossengruß und Alltagsmasken gehören verboten!!!“ Wer so etwas meint, verkennt, dass der Gehorsam hier und heute ohne solche „Zeichen“ funktioniert. Es handelt sich bei den Demonstrationsteilnehmern um Leute, die sonst keineswegs protestieren angesichts der Zwänge, denen sie unterliegen. Viele sind lohnabhängig oder als kleine Selbständige abhängig von Bankkrediten und Auftraggebern. Viele sehen die kapitalistische Marktwirtschaft und die Kapital-Akkumulation bei aller Manöverkritik im Einzelnen im Großen und Ganzen als „alternativlos“ an. Sie akzeptieren das Privateigentum an Wohnungen und finden nichts dabei, die Miete und die Steuern zu zahlen. Nur bei Corona wollen sonst fügsame und „verständige“ Untertanen auf einmal sich und anderen beweisen, dass sie „mit sich nicht alles machen lassen“. Auf der Demo am 29.8. sind einige ältere Männer zu sehen mit weißen T-Shirts und dem Slogan: „Ich habe meine Eier wiedergefunden.“ Vielen geht es offenbar mehr um Symbolpolitik und Souveränitätssimulation als um eine sachgerechte Einschätzung der Lage. „Die medizinisch-soziale Maßnahme wird in eine symbolisch-politische umgedeutet“ (Georg Seeßlen, Neues Deutschland 22.8.2020). Corona bildet den Anlass für Leute, die es sich schuld sind, sich selbst und anderen einmal zu demonstrieren, wie eigenständig sie seien. Wer daran Gefallen findet, offenbart zugleich die Meinung, seine oder ihre Autonomie bestehe darin, … eine Mund-Nasen-Maske n i c h t aufzuziehen. Das Missverhältnis zwischen dem Engagement für die große Freiheit und der kleinen Maske fällt Corona-Demonstranten nicht auf. Vielmehr lautete – in Anlehnung an Ronald Reagans Parole „Tear down this wall“ in seiner Rede am 2.6.1987 vor dem Brandenburger Tor – eine Parole am 29.8.: „Tear down the masks!“
Manche Anarcholiberale, die in solchem Handeln unbedingt hoffnungsfroh eine zart aufkeimende Staatsfeindschaft sehen w o l l e n, ignorieren beflissen, gegen wen sich dieses Verhalten richtet. Wer in den öffentlichen Verkehrsmitteln keine Maske trägt oder die Abstandsregel nicht beachtet, schadet nicht „denen da oben“, sondern ist rücksichtslos gegenüber seinesgleichen.
Egozentrik
Die Motivlage für dieses Verhalten ist gemischt. Andere Menschen gelten Egoisten als Mittel für ihre Interessen. Egozentriker ignorieren nicht die Bedürfnisse anderer Menschen, sie nehmen sie erst gar nicht wahr. Um Protest handelt es sich dabei nicht, sondern um ein Handeln von Personen, die bereits die Existenz anderer Mitmenschen als Einschränkung ihrer eigenen Willkür erachten. „Meine persönliche Freiheit – eigentlich nur: meine Nicht-Beeinträchtigung – wiegt schwerer als Ideen von Mitmenschlichkeit oder, altmodisch gesagt: Gesellschaft“ (Georg Seeßlen, Neues Deutschland 22.8.2020).
Manche halten es für rebellisch, sich dergestalt nicht „an die Regeln zu halten“, dass sie mitten in der Nacht im Mietshaus die Stereoanlage aufdrehen, auf Straßen private Autorennen veranstalten oder das Tempolimit auf Straßen für einen unverbindlichen Vorschlag halten. In den USA gilt die Befugnis, eine Waffe tragen zu dürfen, vielen als d i e Freiheit, die ihnen wichtiger ist als vieles andere. Das ausgestellte Freiheitsverständnis ähnelt einem Vulgär-Existenzialismus. Für ihn „ist nicht so entscheidend, w a s ich wähle, als vielmehr dass i c h es bin, der wählt“. Das gleicht einer „Art pubertärer Ethik“ (Terry Eagleton: Die Illusionen der Postmoderne. Stuttgart 1997, S. 114).
Allgemein geltende Regeln und Einschränkungen erscheinen solchen Personen nicht wegen ihres bestimmten Inhalts als kritikwürdig. Schon deshalb, weil etwas allgemein gelten soll, werden manche allergisch gegen das, was sie als Missachtung ihre Einzigartigkeit ansehen. Sie meinen, sich selbst für diese Allergie ein Attest ausstellen zu können: Ich bin aus ganz persönlichem Grund befreit von der Rücksicht auf allgemein geltende Imperative. Zugleich verzichten solche vermeintlichen Exzentriker keineswegs auf die Vorteile, die ihnen die Existenz in der Gesellschaft bietet. Auf sich gestellte Einsiedler wollen sie jdf. nicht sein.
Manche, die ebenso vage wie fundamental oppositionell zur Gesellschaft und zum Staat eingestellt sind, legen sich gern jede Kontroverse, die Bürger mit staatlichen Stellen haben, zu einem Anlass für ihre Hoffnungen zurecht. Folgerichtig haben derlei selbsternannte Oppositionelle eine gewisse Sympathie für die Corona-Demonstranten. Die problematischen Mentalitäten, die in solchen Demonstrationen ihren kollektiven Ausdruck finden, spielen in dieser Sympathie keine Rolle. Hauptsache Nonkonformismus. Es ist egal, wogegen Leute kämpfen, Hauptsache Kampf! Seltsam, dass dieser Einfall bei Corona-Skeptikern Anwendung findet und nicht schon lange Sympathie motiviert hat für Reichsbürger, Kriminelle und für diejenigen, die ihre Kinder zur Renitenz gegen alle Regeln der hiesigen Gesellschaft erziehen. Auch bei diesen Gruppen ist „Autonomie in bloßen Trotz umgeschlagen“ und zu einem „asozialen Anschein von Freiheit geworden“ (Günter Anders: Über Heidegger. München 2001, S. 93).
Das Kramen in missverstandenen Details
Kai Paulsen stellt zu Recht fest: „Viele ‚Corona-Skeptiker’ fordern von Experten, sie müssten 100%ige Treffergenauigkeit garantieren können. Diese Erwartung ist bei epidemiologischen Voraussagen zu einem neuen Phänomen wie Corona sachfremd. Es gibt beim gegenwärtigen Stand Unterschiede zwischen Experten. Viele ‚Corona-Skeptiker’ machen nun aus diesen Differenzen in den Expertisen Gegensätze, aus Gegensätzen Widersprüche und aus Widersprüchen Skandale. Schließlich stilisieren sie dies als Beleg für die von vornherein unterstellte Inkompetenz, böse/geheime Absichten, diktatorische Tendenzen etc. pp.“ (Kai Paulsen: Die Methoden von Corona-Skeptikern).
Das gleiche Vorgehen findet sich bei Leugnern des Klimawandels und bei Leuten, die „querdenken“ zum „Dritten Reich“. Hier wird die Detailkrämerei zum Advokatentrick: Das 1958 in Wiesbaden auf Deutsch erschienene Buch „Die Lüge des Odysseus“ von Paul Rassinier, einem französischen Geschichtsrevisionisten, formuliert Vorbehalte gegen „die damals vorliegenden KZ-Erinnerungen und Darstellungen des KZ-Systems. … Einem nach Buchenwald deportierten Pater rechnet er (Rassinier – Verf.) vor, dass in den Viehwagen, mit denen die französischen Häftlingen von Compiègne nach Buchenwald“ transportiert worden sind, „nicht 125, sondern höchstens 103 Personen hineingepfercht wurden. Bei der Beschreibung der KZ-Verpflegung hatte der Pater offensichtlich Kaffee-Ersatz und Wursträdchen vergessen, was Rassinier ihm übel ankreidet. Ein anderer deportierter Geistlicher erwähnte den Blockältesten von Block 48 in Buchenwald, der bis 1933 kommunistischer Reichstagsabgeordneter gewesen sei; der Lehrer Rassinier korrigiert den Autor: Er war der S o h n eines kommunistischen Abgeordneten. Kurzum, nicht einmal in Kleinigkeiten ist auf die Berichterstattung Verlass. Wie weit mag es dann mit ihrer Glaubwürdigkeit her sein, wenn sie eine Interpretation der Lagerverhältnisse versuchen“ (Lothar Baier: Französische Zustände. Frankfurt M. 1982, S. 95f.). Genau diese Sorte Fehlschluss ist auch bei Corona-Skeptikern sehr beliebt. Bei manchen handelt es sich um einen Advokatentrick. Manche ahnen, wie wenig sie die Zusammenhänge erkennen und ziehen sich auf Details zurück. Hier wollen sie wenigstens an einem Punkt sich sicher sein können. Beflissen blenden sie die Frage aus, was sich durch das Detail an der Gesamtlage ändern würde.
„Rationaler Diskurs“
Corona-Skeptiker verweigern hartnäckig, die geduldig und sachkundig vorgetragene Auseinandersetzung mit ihren Vermutungen und Spekulationen zur Kenntnis zu nehmen. Sie halten es mit „Lucy“ („Peanuts“): „Reden macht mir schon Spaß, aber Zuhören ist nicht so mein Ding.“ Zum Buch von Bhakdi und Reiß (Corona Fehlalarm?) heißt es bspw. im Deutschlandfunk Kultur (8.8.2020), die Autoren eröffneten „eine ideale Projektionsfläche für alle üblen Gründe – von flächendeckender Unfähigkeit über bösen Willen bis zu einer weltweiten Verschwörung. Ein Buch, das nüchterne Fakten verspricht, aber viel Polemik liefert.“ An vielen Stellen bleibe die genaue Position der Autoren offen – „außer, dass sie dagegen sind. Die prägenden Stilmittel dieses Buchs sind das Geraune, die rhetorische Frage, die Unterstellung und die Andeutung.“ Die Autoren legen Maßstäbe an die Maßnahmen gegen Corona, die im Frühjahr 2020 eingeleitet wurden, an, die jeden raschen und entschiedenen Feuerwehreinsatz unmöglich machen würden.
„Der Zürcher Tages-Anzeiger überprüfte am 7. September fünf Hauptaussagen des Buches auf ihren Wahrheitsgehalt und kam zu dem Ergebnis, dass sie nicht haltbar seien. Das Buch sei in einem ‚polemischen, anklagenden Grundton verfasst’. Das Autorenpaar zitiere nur einzelne Studien, die „grösstenteils aus den Anfangszeiten der Pandemie“ stammten, zum Teil auch verkürzt oder falsch. Wichtige wissenschaftliche Arbeiten zu den gleichen Themen würden unerwähnt bleiben“ https://de.wikipedia.org/wiki/Corona_Fehlalarm%3F. Vgl. a. https://correctiv.org/faktencheck/2020/06/19/impfung-gegen-covid-19-sinnlos-sucharit-bhakdi-stellt-unbelegte-behauptungen-auf
Einen Faktencheck zu diesem Buch gibt es auch in der Süddeutschen Zeitung. Vgl.
https://blog.gwup.net/2020/09/14/corona-fehlalarm-faktencheck-zu-bhakdi-reiss-in-der-sz/
Zu den Fehlinformationen und Fehlschlüssen der Corona-Skeptiker vlg. a. https://www.gwup.org/coronavirus/mythen-a-z
Bisweilen ist zu lesen, man solle gegen die Corona-Skeptiker nicht die „Nazikeule schwingen“, sondern mit ihnen den rationalen Diskurs suchen. Den rationalen Diskurs „s u c h e n“ muss niemand. Die Widerlegungen der Denkfehler und des (häufig gewollten) Missverstehens von Fakten findet sich seit langem im Netz. Zweitens handelt es sich bei „Entweder Nazikeule o d e r rationaler Diskurs“ um eine falsche Alternative: Demonstranten gegen die Corona-Politik folgen nicht nur dem „unsolidarischen Grundgedanken: Ich lasse mich in meiner Freiheit nicht wegen Gefahren für Leib und Leben anderer einschränken. … . Das wird so nicht explizit artikuliert, aber faktisch zelebriert“ (Peter Ullrich: Der Tagesspiegel, 29.8.2020). Bei Corona-Skeptikern sind Irrationalismus, magisches Denken, Verschwörungsideologeme und regressive Stimmungen weit verbreitet. Wo bei solchen Voraussetzungen ein „rationaler Diskurs“ ansetzen soll, verraten uns diejenigen nicht, die es bei der wohlfeilen Sonntagsrede „Kinder, sprecht doch miteinander!“ belassen. Sie zeigen sich oft erhaben darüber zu realisieren, mit was für Mentalitäten Corona-Skeptiker aufwarten. Dass es sich bei letzteren mehrheitlich nicht um Nazis handelt, bietet nur einen schwachen Trost. Corona-Skeptiker sind keine harmlosen Wirrköpfe. Sie verharmlosen die Gefahr. Der oben zitierte Blogger teilt am 11.10. 2020 mit, „dass Covid nicht gefährlicher als eine Grippe ist.“ Sie schlagen nichts vor zur Verringerung von Infektionen und greifen alle Maßnahmen zur Seuchenabwehr an. Sie streuen Falschmeldungen sowie Fehlinterpretationen und verbreiten Verdächtigungen und Fehlschlüsse. Sie schwächen die Akzeptanz für die dringend gebotenen Regeln. Corona-Skeptiker tragen dazu bei, die Gesundheit vieler Menschen zu gefährden.
Schluss
Der Artikel beschreibt Meinungen der Corona-Skeptiker und -leugner sowie ihr Engagement. Er entwickelt Argumente für eine Antwort auf die Frage, welche problematischen Mentalitäten erklären können, warum Corona-Skeptiker und -leugner ihren angesichts einer Pandemie brandgefährlichen Auffassungen und Verhaltensweisen anhängen.