Feb
09

(erschien im Netzmagazin telepolis am 14.1.2016)

Der Nationalsozialismus gilt vielen als eine Politikvariante, die sich an der Stärkung der kapitalistischen Ökonomie in Deutschland orientierte. In Zeiten zugespitzter sozialer Auseinandersetzung – die militante KPD bekam 1932 bei den letzten freien Wahlen 16,9 % der Wählerstimmen – konnte die NSDAP mit dem Versprechen der „Volksgemeinschaft“, mit dem Antisemitismus und mit dem entschiedenen Kampf gegen die Linken Anhänger und Wähler gewinnen. Dieser Artikel zeigt an einem anderen, wenn nicht dem zentralen Vorhaben des Nationalsozialismus, dass der NS nicht als „Form bürgerlicher Herrschaft“ (Kühnl 1971) zu begreifen ist. Es handelt sich um die Veränderung der Proportion zwischen Bauerntum und Kapital und um die Schaffung von neuem „Lebensraum“ für die deutsche Nation im Osten.

Kapitalistische Ökonomien orientieren sich an der Steigerung der Profite und deren Investition zwecks neuer Profitsteigerung. Die Bevölkerung verspricht sich vom Kapitalismus eine Verbesserung ihrer materiellen Lage. Der NS hatte andere Prioritäten. Die „Erhaltung und Steigerung der Rasse“ sei die „höchste Aufgabe“ des Staates (Hitler 1933, 430). Hitler nahm an, ein Volk sei nur dann vital und könne seinen Rassewert nur erhalten oder erhöhen, wenn es am Lebenskampf teilnehme. „Da ein Volk nur dann als gesund bezeichnet werden darf, wenn es am allgemeinen Lebenskampf teilnimmt, dieser aber als Voraussetzung die Vermehrung eines Volkes hat, muss die Politik es als ihre höchste Aufgabe betrachten, diesem natürlichen Imperialismus die ebenso natürliche Befriedigung zu geben“ (Hitler 1972, 51).

Der Selbsterhaltungstrieb präge alles Leben, folge aber zwei verschiedenen Zielen: Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung. Die Unendlichkeit des Geschlechtstriebs widerspreche der Endlichkeit der Lebensmittel bzw. den Möglichkeiten der Landwirtschaft, für Ernährung zu sorgen. Bereits aus diesem Widerspruch ergebe sich der „Lebenskampf“ um die Erweiterung des Territoriums.

Der NS lässt sich nicht verstehen ohne die zu seiner Zeit herrschende Annahme einer fixen Bodenfruchtbarkeit. Die Industrialisierung der Landwirtschaft setzte sich erst nach 1945 durch. Hitler nannte die Zahl von 900.000 für die jährliche Zunahme der deutschen Bevölkerung. Diese „rasende Vermehrung der deutschen Volkszahl“ (Hitler 1933, 255) wird für den NS zum entscheidenden Problem aufgrund der sich öffnenden Schere zwischen Bevölkerungswachstum und der damals technisch nicht für möglich gehaltenen Steigerung der Bodenproduktivität. „Es wird bei allem Fleiße nicht mehr gelingen, mehr aus ihm (dem Boden – Verf.) herauszuwirtschaften. … Der Hunger wird zunächst von Zeit zu Zeit, wenn Missernten usw. kommen, sich wieder einstellen. Er wird dies mit steigender Volkszahl immer öfter tun“ (Ebd., 146).

Dass die Nation ihre Ernährung nicht mittels Teilnahme am Weltmarkt und Erfolg in der internationalen Konkurrenz sichern könne bzw. solle, dafür nannte der NS ein pragmatisches, ein zeitgebundenes und ein prinzipielles Argument. Der NS nahm in Bezug auf den Weltmarkt eine unüberwindbare Begrenzung der Verkaufsmöglichkeiten aufgrund der beschränkten Aufnahmemöglichkeiten der nichtindustrialisierten Märkte an. Diese Auffassung teilte der NS mit der Weimarer Außenwirtschaftspolitik. Bereits sie lehnte die Industrialisierung der Agrar- und Rohstoffländer mit dem Argument ab, damit fielen Absatzmärkte für eigene Industrieerzeugnisse weg (Krüger 1980, 274). Auch dem NS erschien das Verhältnis zwischen den noch nicht oder weniger industrialisierten Ländern und den industrialisierten Nationen als Nullsummenspiel. Was die einen an Wirtschaftskraft gewönnen, müssten die anderen verlieren (vgl. Hitler 1961, 60f.).

Die Weltwirtschaftskrise galt dem NS als Bestätigung für sein Streben nach einem vom Weltmarkt weitgehend abgeschotteten Großraum. Im Vergleich zu anderen kapitalistischen Ländern war Deutschlands besonders stark durch die Weltwirtschaftskrise betroffen. 1932 lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland bei 43,8%, in Großbritannien bei 22,1 und in Frankreich bei 15,4% (Petzina 1977, 16f.).

Die Politik zur Stärkung des Kapitals in einer Nation kann defensiv Zölle und andere protektionistische Maßnahmen gegen negative Effekte des Weltmarktes beinhalten. Die Politik wird das Kapital aber auf lange Sicht nur stärken, wenn sie seine Profitabilität und seine Stellung auf dem Weltmarkt verbessert. Letzteres galt dem NS als abzulehnende Abhängigkeit. Der NS war ein Nationalismus, der die Stärkung des deutschen Kapitals ohne das Mittel, die Verbesserung seiner Stellung in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt, erzielen will. Der NS plädierte für eine Abkoppelung vom Weltmarkt. Die Erweiterung des „Lebensraums“ sorge dafür, dass die Lebensmittel und Rohstoffe auf dem Binnenmarkt zur Verfügung stehen werden (vgl. Hitler 1933, 151).

Hitlers langfristige wirtschaftspolitische Perspektive lautete: „Industrie und Handel treten von ihrer ungesunden führenden Stellung zurück und gliedern sich in den allgemeinen Rahmen einer nationalen Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft ein. Beide sind damit nicht mehr die Grundlage der Ernährung einer Nation, sondern ein Hilfsmittel derselben“ (Ebd., 151f.).

Ein wesentliches Ziel des NS war die Aufwertung des dem NS zufolge sträflich unterschätzten Bauerntums. Für Hitler kann die „Erhaltung eines gesunden Bauernstandes als Fundament der gesamten Nation … niemals hoch genug eingeschätzt werden. Viele unserer heutigen Leiden sind nur die Folge des ungesunden Verhältnisses zwischen Stadt- und Landvolk. Ein fester Stock kleiner und mittlerer Bauern war noch zu allen Zeiten der beste Schutz gegen soziale Erkrankungen, wie wir sie heute besitzen“ (Hitler 1933, 151). Im „politischen Testament der deutschen Nation“ heißt es: „Haltet das Reich nie für gesichert, wenn es nicht auf Jahrhunderte jedem Sprossen unseres Volkes sein eigenes Stück Grund und Boden zu geben vermag. Vergesst nie, dass das heiligste Recht auf dieser Welt das Recht auf Erde ist, die man selbst bebauen will, und das heiligste Opfer das Blut, das man für diese Erde vergießt“ (Ebd., 754f.).

Aus dem hohen Ansehen des Bauerntums im NS folgte keine Technikfeindschaft. Die Wertschätzung der Technik unterschied den NS bspw. von technikkritischen Vorstellungen eines von Werner Sombart vertretenen ‚Deutschen Sozialismus’ (vgl. dazu Creydt 2006). Der NS plädierte für kein Zurück zu vorindustriellen Zuständen, sondern für eine Neuproportionierung des Verhältnisses zwischen Industrie und den bäuerlichen Fundamenten der Nation. Dem NS ging es darum, „durch eine radikale Vergrößerung der Landfläche ein erneutes ‚Gleichgewicht’ zwischen Agrarwirtschaft und Industrie, zwischen Bauernschaft und Proletariat herzustellen. Die zusätzlichen Bauern würden die Lebensmittel, die bislang auf dem Weltmarkt eingekauft werden mussten, im Binnenmarkt herstellen und dort gegen Industrieprodukte, die bislang an agrarische Drittländer gingen, tauschen. Die ‚zu große’ Industrie brauchte also nicht abgebaut werden, sondern die ‚natürlichen’ Relationen zwischen Proletariat und Bauernschaft ergaben sich organisch aus der Vergrößerung des Agrarsektors. … Das Entweder-Oder in der Auseinandersetzung um Agrar- oder Industriestaat durchbrach der Nationalsozialismus mit seiner Entscheidung für einen Agrar-Industriestaat. Nicht einfach Blut und Boden, sondern Blut, Boden und Technik waren seine Leitsterne“ (Karuscheit 1995, 34-36). Dem NS ging es nicht um den Rückschritt hinter die Moderne, sondern um eine andere Moderne.

In der Weimarer Republik hatte die kleinproduzentenhafte „Welt“ noch ein ganz anderes Gewicht als im heutigen Kapitalismus (vgl. Lutz 1984). Die damit verbundene Spaltung der Arbeitsbevölkerung bildete einen Nährboden für den NS. Die große Mehrheit der Bauern, Kleinhändler, Kleingewerbler und Handwerker sahen den NS als Vertreter ihrer Interessen und ihrer Lebensweise an (vgl. Leppert-Fögen 1974, 266ff.). Hauptsächlich aus diesen Milieus rekrutierte die NSDAP ihre Wähler und Anhänger.

Man könnte annehmen, dass die vom NS angestrebte Abkoppelung vom Weltmarkt mit einer antiimperialistischen Politik einhergeht. Hitler hielt davon nichts. Die NSDAP sei schon zu Beginn ihrer Existenz aufgefordert worden, „zwischen ihr und den Freiheitsbewegungen anderer Länder eine gewisse Verbindung herzustellen. Es lag dies auf der Linie des von vielen propagierten ‚Bundes der unterdrückten Nationen’“ Diese Aufforderung habe von Vertretern einzelner Balkanstaaten sowie Ägyptens und Indiens gestammt. Für Hitler handelte es sich dabei um „schwatzhafte Wichtigtuer“ ohne machtpolitischen Rückhalt. „Es gab aber nicht wenig Deutsche, besonders im nationalen Lager, die sich von solchen aufgeblasenen Orientalen blenden ließen“ (Hitler 1933, 745). Die nationalsozialistische Rassentheorie war der wichtigere Grund für die Ablehnung eines solchen „antiimperialistischen“ Konzepts. Denn als „völkischer Mann, der den Wert des Menschentums nach rassischen Grundlagen abschätzt, darf ich schon aus der Erkenntnis der rassischen Minderwertigkeit dieser sogenannten ‚unterdrückten Nationen’ nicht das Schicksal des eigenen Volkes mit dem ihren verketten“ (Ebd., 747). Hitler zufolge seien die (für ihn) rassisch minderwertigen Inder ohnehin unfähig, die britische Kolonialverwaltung zu stürzen – „ganz abgesehen davon, dass ich als Germane Indien trotz allem immer noch lieber unter englischer Herrschaft sehe als unter einer anderen“ (Ebd.).

Der NS orientierte sich an der Schaffung von Lebensraum im Osten. „Neben deutschen Bauernsöhnen sollten auch die bisher nach Amerika auswandernden Norweger, Schweden, Dänen und Niederländer hier einen Bauernhof erhalten. Hitler erwartete einen ‚Strom von Menschen’, weil der Bauer dort seine Heimat finden würde, wo er fruchtbaren Boden bekäme (Hitlers Monologe im Führerhauptquartier, Juli bis September 1941, zit. n. Zitelmann 1987, 302f.). Mit der millionenfachen Vergrößerung der Bauernschaft in dem neuen germanischen Reich war der Ausgleich gegenüber dem industrialisierten deutschen ‚Altreich’ und der auch zahlenmäßige Vorrang des Landes gegenüber der Stadt sichergestellt. Die auf Generationen gesicherten Lebensmittel und Rohstoffe ließen den neuen Staat unabhängig vom Weltmarkt werden und damit konnte die ‚Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft’ rundum Realität werden“ (Karuscheit 1995, 49).

Deutschland galt dem NS als „Volk ohne Raum“, das um seines Überlebens willen nicht primär sein Kapital stärken, sondern sein Territorium entscheidend erweitern müsse. „Das Recht auf Grund und Boden kann zur Pflicht werden, wenn ohne Bodenerweiterung ein großes Volk dem Untergang geweiht erscheint. … Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken“ (Hitler 1933, 741f., vgl. a. ebd., 154).

Hitler formulierte in einer Grundsatzrede vor den Spitzen der Reichswehr im November 1937 die Kriegsziele: „Wenn die Sicherheit unserer Ernährungslage im Vordergrund stände, so könne der hierfür notwendige Raum nur in Europa gesucht werden, nicht aber ausgehend von liberalistisch-kapitalistischen Auffassungen in der Ausbeutung von Kolonien. Es handele sich nicht um die Gewinnung von Menschen, sondern von landwirtschaftlich nutzbarem Raum“ (Hoßbach-Niederschrift, zit n. Krüger 1980, 280).

Am 3. August 1944 unterstrich der Reichsführer der SS, Himmler, in einer Rede vor den Reichs- und Gauleitern der NSDAP: „Das ist unverrückbar, dass wir die Volkstumsgrenze um 500 km herausschieben, dass wir hier siedeln. Es ist unverrückbar, dass wir ein germanisches Reich gründen werden. Es ist unverrückbar, dass zu den 90 Millionen die 30 Millionen übrigen Germanen dazukommen werden, so dass wir unsere Blutsbasis auf 120 Millionen Germanen vermehren. … Es ist unverrückbar, dass wir diesen Siedlungsraum erfüllen, dass wir hier den Pflanzgarten germanischen Bluts im Osten errichten“ (zit. n. Bracher 1980, 447). Noch in seinem „politischen Testament“ vom 29.4.1945 wiederholte Hitler sein Ziel: „Es muss weiterhin das Ziel sein, dem deutschen Volks Lebensraum im Osten zu gewinnen“.

Wenn sich der Zugriff auf Arbeitskräfte außerhalb der Nation nicht anders bewerkstelligen lässt, entsteht für eine Politik zur Stärkung des nationalen Kapitals ein Motiv zur Eroberung eines zusätzlichen Territoriums. Im Unterschied dazu sah der NS die Bevölkerung der eroberten Gebiete im Osten nicht vorrangig als künftig auszubeutende Arbeitskräfte an, sondern als zu dezimierende Masse, die einen Raum besetzt, den man nicht nutzen könne (auch nicht als „Lebensraum“), ohne ihn von dieser „störenden“ Bevölkerung frei zu machen. Im „Generalplan Ost“ war vorgesehen, die slawische Bevölkerung um 30 Millionen zu dezimieren. Dieses Vorhaben des NS hatte mit einer genuin kapitalistischen Logik nichts zu tun.

Gewiss stärkte der NS ab 1933 faktisch das Kapital durch die Ausschaltung der Gewerkschaften und der Linken. Von „bürgerliche Herrschaft“ unterschied sich das Vorhaben des NS jedoch ums Ganze. Es bestand darin, eine autarke Wirtschaft zu errichten, in der durch territorial massive Erweiterung im Osten ein neues „Gleichgewicht“ zwischen dem bäuerlichen „Nährstand“ und der Industrie zu erreichen sei. Dafür sollte sich in der räumlich erheblich ausgeweiteten und in seiner Bevölkerungszahl vergrößerten Nation der praktische Stellenwert des industriellen Kapitals zugunsten der Landwirtschaft verringern. Das Kapital konnte dem Leitbild des NS zufolge absolut wachsen, aber nur in dem Maße, wie dieses Wachstum die gewachsene Bedeutung der Landwirtschaft innerhalb der Nation nicht beeinträchtigt. Diese Maßgabe, die die Akkumulation des nationalen Kapitals oder die Quantität abhängig macht von der Entwicklung einer Qualität, des nicht nur als Wirtschaft verstandenen Bauernstandes, widerspricht der dem Kapital eigenen Maßlosigkeit. 1 Bei der Bedeutung, die das Bauerntum für den NS hatte, handelte es sich um mehr als eine notwendige Bedingung der Kapitalakkumulation, die zu dessen notwendigen Kosten gehört (wie andere, hauptseitig nichtkapitalistisch bewerkstelligbare Arbeitsbereiche, bspw. das Schul- und Gesundheitswesen).

Faktisch bestand die Politik 1933-1939 nicht in der den Kleinhändlern versprochenen Beseitigung von Konsumgenossenschaften, Warenhäusern und Kettenläden. Ebensowenig wurde die Abwanderung vom Land gestoppt. Die These, es habe sich bei den Perspektiven, die der NS dem verarmten Mittelstand bot, um bloße Propaganda gehandelt, trifft Wahlversprechen, nicht aber das langfristige nationalsozialistische Konzept. Ihm gilt die massive Vergrößerung des nationalen Territorium als Voraussetzung für den höheren Stellenwert des Mittelstands gegenüber dem Kapital. Der Konflikt zwischen dem Ziel und dem für es notwendigen Mittel – der Aufrüstung – existiere vor Erreichen des „Endsiegs“. Dem NS zufolge sind seine Ziele nicht innerhalb kurzer Zeit zu erreichen. Die notwendigen Anstrengungen zur massiven Erweiterung des nationalen Territoriums schließen mehr Rücksicht auf „die Wirtschaft“ (und auch z. B. auf die katholische Kirche) ein, als dies für die Zeit nach der Durchsetzung dieses Zwecks von der NSDAP vorgesehen ist. 2 „Der Staat … ist nicht eine Zusammenfassung wirtschaftlicher Kontrahenten in einem bestimmt umgrenzten Lebensraum zur Erfüllung wirtschaftlicher Aufgaben, sondern die Organisation einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleicher Lebewesen zur besseren Ermöglichung der Forterhaltung ihrer Art. … Die Wirtschaft ist dabei nur eines der vielen Hilfsmittel, die zur Erreichung dieses Zieles eben erforderlich sind“ (Hitler 1933, 164f.).

Der NS orientierte sich 1933-1939 faktisch nicht an Maßnahmen zur nachhaltigen Stärkung des deutschen Kapitals in der internationalen Konkurrenz, sondern an der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Die Ausgaben für das Militär betrugen 1933 4%, 1934 18%, 1936 39% und 1938 die Hälfte des Staatshaushalts (Benz 2006, 126). Die Finanzkrise Deutschlands ging 1939 und 1939 mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten einher, die „nur durch die Gold- und Devisenbeute, die beim Anschluss Österreichs in die Hände des Reichs gefallen war, vorübergehend gelöst werden konnte; bereits 1940 wären keine weiteren Zuschüsse aus dieser ‚Beute’ zu erwarten gewesen, die notwendigen Zahlungen wurden jetzt aus der Kriegsbeute (Sieg in Frankreich) bestritten“ (Hoffmann 1996, 411). Das notwendige Resultat der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft waren Inflation und Staatsbankrott. Sie ließen sich nur durch neue Eroberungen kurzfristig abwenden.

Kriegswirtschaft ist „‚Bankerotteurswirtschaft’ ihrem innersten Wesen nach: der überragende Zweck lässt fast jede Rücksicht auf die kommende Friedenswirtschaft schwinden. Die Rechnungen haben daher vorwiegend … gar nicht den Sinn, dauernde Rationalität der gewählten Auftei¬lung von Arbeit und Beschaffungsmitteln zu garantieren“ (Weber 1976, 57). Im Kapitalismus geht es zu Friedenszeiten hauptsächlich um die Produktion von Konsumgütern und Produktionsmitteln. Produktionsmittel werden in der Produktion gebraucht. Konsumgüter stellen die Arbeitskraft wieder her für neue Leistung. Beide Produktsorten ermöglichen die Fortsetzung der kapitalistischen Ökonomie auf erweiterter Stufenleiter. Dies tut die Kriegswirtschaft nicht. Ihre Produkte – Waffen – werden im Krieg verbraucht und vernichtet. Sie gehen nicht wieder ein in die kapitalistische Produktion, sondern fallen aus ihr heraus. Die Kriegswirtschaft unterstellt als Bedingung eine Wirtschaft, die sich die Staatsausgaben für die Rüstung und die damit u. U. einhergehende Schulden auf Dauer leisten kann. Die nationalsozialistische Kriegswirtschaft war im besonderen Ausmaß „Bankerotteurswirtschaft“. Die nationalsozialistischen Kriegsziele hatten angesichts der Stärke der durch sie herausgeforderten Gegner keine Aussicht auf Erfolg. Um diesen Gegnern gewachsen zu sein, hätte Deutschland ein weit größeres Kriegsführungspotential besitzen müssen. Die Voraussetzung dafür wäre eine viel stärkere Wirtschaft gewesen als sie der NS in Deutschland vorfand bzw. hätte auf absehbare Zeit entwickeln können.

Eine Politik, die sich an der Förderung des modernen Kapitalismus orientiert, kann verschiedene Positionen einnehmen. Außerhalb der Pluralität möglicherweise zielführender Vorschläge steht die nationalsozialistische Perspektive einer „nationalen Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft“, in der „Industrie und Handel von ihrer ungesunden führenden Stellung zurücktreten“ (Hitler 1933, 151f.). Dieses Versprechen passte zu einer Gesellschaft, in der ein großer Anteil der Bevölkerung (Bauern, Handwerker, Kleingewerbler und Kleinhändler) ihre Existenzweise als von kapitalistischer Rechnungsweise bedroht, aber ihr noch nicht unterworfen sah. Der NS versprach die Koexistenz von entfalteter kapitalistischer Ökonomie und Wahrung der Interessen sowie der Lebensweise des „vorkapitalistischen“ Mittelstandes.

Für den NS war ein Volk dann stark, wenn es einen hohen Rassewert aufweist, möglichst zahlreich ist und ein möglichst großes Territorium besitzt. Der Kampf dafür galt als zentrales Medium zur Erhaltung oder Steigerung des alles entscheidenden Rassewerts des Volks. Solche Denkmodelle und Bewertungen gehören nicht zu den Rechnungsweisen, die für den Kapitalismus charakteristisch sind.

Literatur:

Benz, Wolfgang 2006: Das dritte Reich. Die 101 wichtigsten Fragen. München
Bracher, Karl Dietrich 1980: Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln
Creydt, Meinhard 2006: Die Überwindung des Weltmarkts – Werner Sombarts Aktualität im Zusammenhang der Globalisierungskritik. In: Bruchlinien Nr. 17, 5. Jg., Wien 2006
Vgl. a. www.meinhard-creydt.de
Fischer, Kuno 1865: System der Logik oder Metaphysik oder Wissenschaftslehre. 2. völlig umgearbeitete Auflage. Heidelberg
Georg, Enno 1963: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS. Stuttgart
Grebing, Helga 1986: Der „deutsche Sonderweg“. Stuttgart
Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Werke. Hg. v. Eva Moldenhauer, Karl Markus Michel. Frankfurt M. 1970
Hitler, Adolf 1933: Mein Kampf. München. 7. Auflage
Hitler, Adolf 1961: Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928, eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg. Stuttgart
Hitler, Adolf 1972: Der Weg zum Wiederaufstieg. München 1927. In: Henry A. Jr. Turner: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Göttingen
Hoffmann, Jürgen 1996: Politisches Handeln und gesellschaftliche Struktur. Grundzüge deutscher Gesellschaftsgeschichte. Münster
Karuscheit, Heiner 1995: Kampf für einen germanischen Massenstaat. In: Aufsätze zur Diskussion, 17. Jg., H. 61. München
Kühnl, Reinhard 1971: Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus – Faschismus, Reinbek b. Hamburg
Krüger, Peter 1980: Zu Hitlers „nationalsozialistischen Wirtschaftserkenntnissen“. In: Geschichte und Gesellschaft, Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Göttingen, 6. Jg.
Leppert-Fögen, Annette 1974: Die deklassierte Klasse. Studien zur Geschichte und Ideologie des Kleinbürgertums. Frankf. M.
Lutz, Burkhard 1984: Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Frankf. M.
Petzina, Dietmar 1977: Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit. Wiesbaden
Weber, Max 1976: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen
Zitelmann, Rainer 1987: Hitler – Selbstverständnis eines Revolutionärs. Hamburg

  1. „Die Größe aber und deren Änderung als bloße Größe ist eine für das Qualitative gleichgültige Bestimmtheit, wenn sie sich nicht als Maß geltend macht. Das Maß nämlich ist die Quantität, insofern sie selbst wieder qualitativ bestimmend wird, so dass die bestimmte Qualität an eine quantitative Bestimmtheit gebunden ist“ (Hegel 13, 181). Veranschaulichen lässt sich die Kategorie des Maßes am Unterschied zwischen der lyrischen und epischen Poesie. „Ein lyrisches Gedicht hat in seiner Beschaffenheit das Maß seiner Größe. Wenn die Empfindung sich breit macht, so wird sie langweilig. Nichts ist weniger poetisch als das Langweilige. Wenn ein lyrisches Gedicht lang ist, so hört es auf, poetisch zu wirken und zu sein, oder es verliert wenigstens an seiner poetischen Geltung. Umgekehrt braucht ein erzählendes Gedicht, um anschaulich darzustellen, eine gewisse Fülle des Spielraums, die ein ausgedehntes und bequemes Größenmaß fordert“ (Fischer 1865, 315).
  2. „In einem Aktenvermerk vom 21.10.1942 betonte Himmler gegenüber … Ohlendorf …, dass ‚während des Krieges’ eine ‚grundsätzliche Änderung unserer total kapitalistischen Wirtschaft nicht möglich’ sei. Jeder, der dagegen ‚anrenne’, würde ein ‚Kesseltreiben’ gegen sich heraufbeschwören“ (Georg 1963, 146).