Mai
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“Dieser linke Radikalismus ist genau diejenige Haltung, der überhaupt keine politische Aktion mehr entspricht. Er steht links nicht von dieser oder jener Richtung, sondern ganz einfach links vom Möglichen überhaupt. Denn er hat ja von vornherein nichts anderes im Auge als in negativistischer Ruhe sich selbst zu genießen. Die Verwandlung des politischen Kampfes aus einem Zwang zur Entscheidung in einen Gegenstand des Vergnügens, aus einem Produktionsmittel in einen Konsumartikel - das ist der letzte Schlager dieser Literatur” (Benjamin 8/281).

In der Linken gab und gibt es eine Tendenz, die kapitalistische Struktur der Arbeit(en) auf äußere Zwecksetzung zu reduzieren und ein die Überwindung der herrschenden Zustände eigentlich schon verbürgendes Substrat der Arbeit und der Gebrauchswerte zu unterstellen. Gegen diesen Dualismus hat sich eine Kritik in der einfachen Negation eingerichtet. Sie weiß den Dualismus nur durch seine Antithese zu vermeiden: den Formmonismus. Arbeit fällt dann ununterscheidbar zusammen mit ihrer kapitalistischen Form. Beide Varianten, die reformistische Harmlosigkeit und die Hyperkritik, operieren im Horizont einfachen Identitätsdenkens, demzufolge etwas nur es selbst zu sein vermag und nicht seinen Gegensatz, wie latent auch immer, aufweisen kann. Im Dualismus wird der Widerspruch zu einer Koexistenz verwandelt, seine beiden Seiten stehen säuberlich getrennt nebeneinander. Die Gesellschaft gleicht dann einem Behälter, der beides enthält, ohne daß es noch einander affiziert. Herrschaft erscheint dann nurmehr als Übermacht und äußerliche Schranke. Der Formmonismus wiederum vermag diesen falschen Trost nur dadurch zu vermeiden, daß er Form und Substrat als identisch stilisiert, damit aber das Substrat kassiert, um dessen willen Kritik, wenn überhaupt, Sinn macht. Dies Substrat besteht in den im Kapitalismus gegen seine gesellschaftliche Form herausgebildeten objektiven Möglichkeiten dafür, anders zu produzieren und zu leben, und in den sozialen Kräften, die sich auf eine sozial andere Verausgabung ihrer Fähigkeiten, ihres Wissens und ihrer Kooperationen zubewegen können. Sowohl die objektiven wie die subjektiven Möglichkeiten für eine die kapitalistische Arbeit überwindende Gesellschaft sind in der Gegenwart nicht als unmittelbar bereitliegend vorzufinden, sondern herauszuarbeiten aus ihrer Verflechtung mit ihrem Gegenteil, jenen kapitalismusimmanenten Strukturen, die die emanzipatorischen Möglichkeiten übergreifen und durchziehen. Nichts fällt leichter, als den Unterschied zwischen dem, was möglich ist, und dem, was wirklich, dafür herzunehmen, aus der Tatsache, daß im Gegebenen die herrschenden Kräfte die Möglichkeit nicht zur Wirklichkeit werden lassen, zu folgern, daß die unterliegenden Möglichkeiten und Ansätze nicht nur unterliegen, sondern daß es auch im Kapitalismus gar keine Möglichkeiten und Kräfte eines Anderen gibt. Sloterdijk (1996/117) hat diesbezüglich von den “Halbklaren” gesprochen, “die schnellmürrische Urteile über das Zerbrechlichste schon für Erfolge der Kritik halten.” Bei allem Verständnis dafür, die Mühen individuell als zu groß und zu unsicher zu beurteilen, die objektiven und subjektiven Potenzen einer nachkapitalistischen Gesellschaft aus ihrer gegenwärtigen Integration in den Kapitalismus herauszuarbeiten und zu entwickeln: Schandl liefert der individuell verständlichen Resignation vor politischer Mühe einen theoretischen Legitimationsüberbau, der mit einem unernsten Agitationsvorschlag (s.u.) darüber hinwegtäuscht, daß den Haupteffekt seines Artikels das Ausstellen der eigenen ansprüchelnden Gelehrsamkeit macht. Die ganze Herumzitiererei von Hegel bis Nestroy trägt zu Schandls gedanklicher Konstruktion jedenfalls ebenso wenig bei wie die einzig zur Selbstverwichtigung des Autors dienlichen bedeutungsgravitätischen Imponiervokabeln. Unter “Marasmus” und “Entwesung” macht es Schandl nicht.

Die Geburt des Kommunismus aus dem Geist der Freizeit

Die pseudoradikale Kritik an jener (tatsächlich kritikablen) Variante, den Kapitalismus dadurch zu feiern, daß man ihm die zivilisatorische Leistung seiner eigenen Überwindung zuschreibt und ihn als unbewußtes Mittel eines Fortschritts der Gattung, als List der Vernunft, nobilitiert, gerät auch bei Schandl zur großen Weigerung, den Kapitalismus überhaupt noch kritisieren, also an ihm etwas unterscheiden zu können. Schandl setzt Arbeit mit abstrakter Arbeit identisch. “Die Fabriken, die Büros, die Verkaufshallen, die Baustellen, sie sind legale Institutionen zur Vernichtung menschlicher Substanz” (14). Bei einer Kritik an der Idealisierung kapitalistischer Arbeit bleibt es in dieser Aussage nicht. Der Formmonismus ist nicht kritisch, indem er an der Gesellschaft etwas zu unterscheiden weiß, sondern kritisch, indem er sich von der Gesellschaft unterscheiden möchte. Sie wird monolithisch durch ein verhängnisvolles Prinzip, hier: die abstrakte Arbeit (andernorts: die instrumentelle Vernunft oder andere ‘Verhängniszusammenhänge’) charakterisiert. Es geht Schandl nicht um eine andere gesellschaftliche Organisation des sozialen Stoffwechsels mit der Natur. Von der Gesellschaft und von der sozial auf unabsehbare Zeit einige Arbeit erfordernden Gewährleistung der Produktion, Koordination und Distribution von Arbeiten will Schandl nichts wissen. Er sollte dann auch gleich ehrlicherweise das - bspw. von Habermas oder Gorz ausgearbeitete Urteil - aussprechen, es handele sich hier per se um eine “Heteronomiesphäre” (Gorz), in der gesellschaftliche Gestaltung nichts vermöge. Daß Schandl dies nicht tut, verweist auf seinen willkürlich wirkenden Vorsatz, die Utopie der Freizeitexistenz doch irgendwie noch als gesellschaftliche Perspektive ausgeben zu wollen. Die tatsächlich not-wendige gesellschaftliche Arbeit der (Um-)Gestaltung der heute als sachlich erscheinenden Gestalt von Technik, Arbeitsorganisation, abstrakter sozialer Synthesis qua Markt und formalrechtlicher Verwaltung usw. wird bei Schandl kein Thema. Statt dessen offenbart er den Bereich, um den es ihm geht: Schandls Ziele und Kritikmaßstäbe - “sich in aller Kreativität einander zu schenken” (14), “kreativer Müßiggang”, “Muße anstatt von Müssen” (15) - entstammen ausnahmslos einer idyllisierten privaten Nahwelt kultivierter Freunde. Nicht die vom Kapitalismus befreite, allerdings mehr Zeit und Aufwand erfordernde soziale Gestaltung der gesellschaftlichen Arbeit, des Zueinanders der verschiedenen Arbeiten und ihrer eigenen Arbeitsqualität für die Arbeitenden unter ökologischen, gesundheitlichen, psychologischen u.a. Gesichtspunkten ist bei Schandl das Ziel, sondern “die Abnahme der gesellschaftlich gebundenen Zeit” (15). Gesellschaft wird zur lästigen Veranstaltung, die keine eigene Aufmerksamkeit verdient, insofern sie nur als äußere Bedingung eines als reich und ungebunden vorgestellten Freizeitlebens gilt. Der kritische Freizeitbürger hat dementsprechend auch nur lieblos-unaufmerksame Urteile für die Gesellschaft parat. Eine nähere Befassung mit ihr erscheint unter der Würde seiner Lebensgenüsse. Schandls unreflektiert positive Inanspruchnahme von ‘Kreativität’, jenem Fetisch der Werbe- und Kulturbranche, offenbart, daß hier die (selbst wiederum nicht kritisierten) Ideale der einen Sphäre der Gesellschaft (hier: Kultur, Zwischenmenschlichkeit) die Grundlage für die Kritik der anderen Sphäre (Ökonomie, ‘Arbeit’) bilden. Wenn “Kommunismus ja überhaupt (!) nichts (!) anderes sein kann, als sich in aller (!) Kreativität einander zu schenken” (14), ist die eigene Arbeit erfordernde Bearbeitung des ‘Reichs gesellschaftlicher Notwendigkeit’ kein Thema, geht es in ihr doch nicht um ‘Kreatitivät’ und ‘Schenken’, sondern um Arbeiten von Menschen für Menschen, in denen im Gegensatz zu ihren gegenwärtigen formellen Synthesen und der gegenseitigen Indifferenz zwischen Produzenten und Konsumenten die Arbeit das für den Menschen ist, was sie vom Menschen ist. Die von Schandl naiv positiv, von den Kritikern des Marxismus negativ unterstellte unmittelbarkeitskommunistische Fiktion sozialer Nähe und Transparenz unterscheidet sich um’s Ganze von der emphatischen Perspektive gesellschaftlicher Arbeit. Sie konkretisiert sich erst im Durchgang durch die Kritik der heute vorwaltenden modernen und kapitalistischen (real-)abstrakten Synthesen und Maße der Arbeit. Mit einem emphatischen Begriff von Arbeit wird ein neuer Produktionsgegenstand i.w.S. und ein neuer Reichtum deutlich: Die Arbeit an der Arbeit, die die Aufmerksamkeit für ihre Auswirkungen, Voraussetzungen und Implikationen in die Arbeit selbst internalisiert.

‘Reich der Freiheit’ und ‘Reich der Notwendigkeit’

Schandls Inanspruchnahme klassischer Marxzitate, das (angeblich allein: zu reduzierende) Reich der Notwendigkeit und das (dann: sich ausdehnende) Reich der Freiheit betreffend, zeigt eine identifizierende Lektüre, die isolierte Zitate wie ausgerupfte Federn ans eigene Hütchen steckt, statt der zugrundeliegenden begrifflichen Problematik nachzugehen. Bei Notwendigkeit und Freiheit sollte der Hegelleser Schandl doch an etwas anderes denken können als an die zu reduzierende Erstellung und Verwaltung der Sachen einerseits, freien Genuß andererseits. Diese Scheidung unterschlägt, wie die Weise des unmittelbaren Arbeitens, der Koordination und Synthesis der Arbeiten die Qualität der ‘höheren Genüsse’ affiziert und Interessen, Kompetenzen und Bedürfnisse für die Gestaltung der Gesellschaft konstituiert oder verdirbt. Es geht demgegenüber darum, die im Gefolge von H. Arendt der Arbeit falscherweise als notwendig zu- und festgeschriebene Weltlosigkeit des unmittelbaren Arbeitens, die Verlorenheit des ‘Sach-Bearbeiters’ an die seiner subalternen Zuständigkeit zugeordnete kleine Teilstrecke des gesellschaftlichen Wertschöpfung- bzw. Verwaltungsprozesses gesellschaftlich zu bearbeiten. Dabei kommt es darauf an, die Arbeit selbst anzureichern. Dann “nimmt das Reich der Notwendigkeit sozusagen das Reich der Freiheit in sich hinein. So bleibt der instrumentelle Kern der Arbeit (´Rationalprinzip´) erhalten, verliert aber zunehmend an Dominanz gegenüber anderen Bestimmungen derselben konkreten Tätigkeit” (Johler/Sichtermann 1978/54f.). Die Reiche der Freiheit und Notwendigkeit sind also alles andere als räumlich geschieden zu verstehen. Die Arbeit in einer vom Kapitalismus emanzipierten Gesellschaft nimmt (bei aller Reduktion unnötiger, nur der kapitalistischen Struktur geschuldeter Arbeiten) insofern zu, als gesellschaftlich die (im Kapitalismus unprofitable) Arbeit an der Humanisierung des ‘Reichs der Notwendigkeit’ einen eigenen Aufwand erfordert. Die unmittelbare Produktion, die abstrakte Verwaltung, die formellen Synthesen zur Vernetzung langer Handlungsketten werden in einer Weise umzugestalten sein, die die heute individualisierten und externalisierten menschlichen Kosten dieses Procederes zu vermeiden ermöglicht. Schandl übersieht die Aufgabe der gesellschaftlichen Gestaltung der eigenen, noch nicht einmal unmittelbar kapitalismus-, sondern modernespezifischen internen ‘Sachzwänge’ und ‘Organisationsleistungen’ in den gesellschaftlichen Apparaten der Produktion, Administration, Distribution usw., die von Freyer (1955) bis Gorz (1990) thematisiert werden. Schandls Forderung der “Abnahme der gesellschaftlich gebundenen Arbeit” (15) im Unterschied zur Umgestaltung der gesellschaftlich gebundenen Arbeit affirmiert die Komplementarität von weitgehend gestaltungsverschlossen erscheinender Ökonomie, Technik, Administration einerseits, einer sich davon absetzenden Subjektivität andererseits. Sie wertet jene Heteronomie zum Abhebungshintergrund um, vor dem sie ihr eigenes Spiel spielen und sich in ihrer scheinbaren Selbständigkeit immanent zu kultivieren vermag. Ohne die Aufhebung dieser Komplementarität wird der Mensch “seine teilweise Befreiung von der Arbeit nicht dazu benutzen, sich der Freiheit der Welt zuzuwenden, sondern seine Zeit im Wesentlichen mit den privaten und weltunbezogenen Liebhabereien vertun, die wir Hobby nennen” (Arendt 1981/106).

Schandls Prosa, die schon stilistisch eher der Unterhaltung und der Erbauung als der Erkenntnis verpflichtet ist, bietet ein gutes Beispiel für den Mangel, der der Kultur gegenwärtig selbst immanent bleibt. Es zeigt sich zu ihrem Schaden, daß die Arbeit, die die Kultur als äußere Bedingung ihrer selbst depotenziert, sich an ihr geltend macht: Der Rückzug der individuellen Interessen “aus der Arbeitsseite des sozialen Zusammenhangs” (Gehlen 1957/110) kulminiert in der bildungsbürgerlichen oder kulturbeflissenen Distanzierung von ‘Apparat’ und ‘Erwerb’. Es wird “auf den kulturellen Lebensgebieten die geistige Lebendigkeit” gesucht (= ‘Leben’ im Unterschied zum ‘Überleben’ sensu Schandl), “die aus den Gewohnheiten des Alltags entwichen ist. Eine so verstandene Orientierung an kulturellen Freizeitmaterien kann nur rezeptiv und nur ästhetisch gelingen, sie würde auf einen ‘feinen geistigen Egoismus’ (Gervinus) hinauslaufen und in Interessen enden, die, trotz jeden Grades möglicher Sublimierung, doch Konsuminteressen höherer Ordnung sind”, “Delikatessen” eben (Gehlen 1957/ 111 vgl. ebd./63,112).

Der Sinn für das ‘arbeitende In-der-Welt-Sein’

Schandl zeigt sich uninteressiert nicht allein an den objektiven Möglichkeiten, sondern auch an den subjektiven Kräften für eine nachkapitalistische Gestaltung gesellschaftlicher Arbeit. Durch die Reduktion von Arbeit auf abstrakte Arbeit vergibt sich Schandl die Möglichkeit, mit dem Sinn für die ‘Arbeit’ (oder für ein arbeitendes In-der-Welt-Sein) ein integratives Zentrum für verschiedene soziale Bewegungen zu formulieren, von denen, wenn überhaupt, etwas zu erwarten wäre. Dieser Sinn für die Arbeit ergibt sich erst in den kritischen Auseinandersetzungen mit den Ideologien, den systemischen selbstverstärkenden Rückkopplungen und den Zwängen der kapitalistischen Welt. So verstanden umfaßt der Sinn für die Arbeit die Aufmerksamkeit

  • für die Entwicklung von Sinnen und Fähigkeiten des Individuums in der arbeitenden Vergegenständlichung,
  • für die Proportionen zwischen den verschiedenen Arbeiten (denen, die unmittelbare Güter herstellen, der Arbeit der Dienstleistungen, Kindererziehung u.a. ),
  • für die Ausführung der Arbeit (im Unterschied zu Effekthascherei),
  • für die Wirkung der Arbeitsprodukte auf unmittelbare Konsumenten und anders von ihnen mittelbar Betroffene,
  • für die Voraussetzungen der Nachfrage nach dem Produkt (gegen die Ausnutzung des gesellschaftsformationsspezifisch begründeten Mangels des einen zur Gelegenheit des anderen, Produkte offerieren zu können),
  • für die Sinne und Fähigkeiten, die den Genuß des Produkts erst zu einem solchen machen,
  • für die gesellschaftliche Schwerpunktsetzung, die sich in der Entwicklung der Arbeitsmittel, der Forschungs- und Entwicklungsarbeit niederschlägt und sich auf die Entwicklung der konkreten Arbeiten mittelbar auswirkt,
  • für das Verhältnis der Arbeitstätigkeit zu gesellschaftlichen Formen,
  • für alternative Verwendungsweisen der eigenen Fähigkeiten.

Schandl verfehlt in seiner Karikatur des erweiterten Arbeitsbegriffs zu einem Urteil der Allheit (alles ist Arbeit) die kritische Pointe des erweiterten Arbeitsbegriffs: Mit ihm wird analysierbar, welche Fähigkeiten, Sinne und welches Bewußtsein für eine arbeitende Auseinandersetzung mit der Welt in der jeweiligen Tätigkeitssphäre mit aufgebaut werden. Um diese inneren Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Tätigkeiten geht es. Im einzelnen ist bspw. zu klären, ob sie in einem Verhältnis der Kompensation, des Fortsetzungsverhaltens, des Kontrasts, der Abreaktion, der Regeneration usw. zueinander stehen und welche Veränderungen des Gefüges der verschiedenen Tätigkeiten damit not-wendig werden.

Für Schandl steht “die Teilhabe an der erzeugten Güter- und Leistungsfülle, die heute global hervorgebracht werden kann” (15) im Vordergrund (also: ein Zweitauto, ein Wochenendhaus, ein whirlpool, eine Garnitur schönste Unterhaltungselektronik und Kaviar für alle !), nicht die Umorganisation der Arbeit und ihr eingelagert: andere Produkte. Sein Plädoyer für das”individuelle und kollektive Bereiten eines sinnvollen Werkens und Wirkens in den unterschiedlichsten Bereichen” (14) bleibt blumig und unausgeführt. Vorzustellen hat man sich im Kontext von Schandls Artikel wohl allerhand lustvolle Kreativitäten, wie sie in diversen Volkshochschulveranstaltungen, Workshops und Touristenclubs angeregt werden. Freizeit eben.
Mit der Verzeichnung der Wirklichkeit, in ihr herrsche allein die unmittelbare Orientierung am Lohn, “nach dem Sinn der Beschäftigung soll erst gar nicht mehr gefragt werden” (14), übergeht Schandl, daß die Leute allerhand kapitalismusimmanente Vorstellungen über den Sinn ihrer Arbeit in der Bank, der Auto- oder Unterhaltungsindustrie usw. hegen und vom Sinn der Bank, des Autos usw. überzeugt sind. Schandls Losung, “Soziale Perspektive und sozialer Kampf sind nicht mehr prinzipiell an einer affirmativen Bezugnahme auf Arbeit und Geld auszurichten” (14), verfehlt den inganggekommenen und zu befördernden Richtungsstreit und die inhaltlichen Auseinandersetzungen um die Arbeit. Schandl tritt ein für eine “Kampagne gegen die Arbeit” (14), als sei ihre interne Differenz nicht entscheidend, als sei heute nicht die Vorstellung über den spezifischen gesellschaftlichen Sinn der verschiedenen Arbeiten umstritten.

Ansätze für ‘Arbeit’

Eine Kritik am (an kapitalistischen Maßstäben gemessen) geringen Wert gesellschaftlich relevanter Arbeiten wie der Kindererziehung ist ebenso laut geworden wie die Kritik daran, daß die Vollzeitarbeitskraft eigentlich noch einer weiteren Person bedarf zur Reproduktion des materiellen und emotionalen Haushalts. Wenn ein so bekanntes und kluges Buch über Kindererziehung wie das von Barbara Sichtermann ‘Vorsicht Kind. Eine Arbeitsplatz(!)beschreibung’ heißt (Berlin 1984), wird deutlich, daß in der Öffentlichkeit Resonanz findet, wer das Aufwachsen von Kindern und die Erziehung im Kontext eines erweiterten und kritischen Arbeitsbegriffes thematisiert. Im Erziehungswesen legt die Sympathie für pädagogische Reformversuche davon Zeugnis ab, daß die Arbeitsfähigkeiten und -sinne von Lehrenden in Distanz bis Widerspruch geraten zu staatlichen Kriterien für Schule. Im Gesundheitsbereich wird einer Minderheit der dort tätigen Kräfte (vgl. bspw. die Stärke der ‘Fraktion Gesundheit’ in der Berliner Ärztekammer) deutlich, daß den Sinn für die Ursachen von Krankheiten ernstzunehmen heißt, nach gesellschaftlich vermeidbaren Gründen von Krankheit zu fragen. In der ‘Agraropposition’ von Bauern und Naturschützern ist aus den Fähigkeiten und Kenntnissen des Umgangs mit Natur eine Ahnung davon zu spüren, daß die kapitalistische Bewirtschaftung der Natur eine pflegliche Landwirtschaft nicht beinhaltet. In der Ökologie- und Nachhaltigkeitsdiskussion kommt es zu einer Mobilisierung technischer, naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Intelligenz, Sensibilitäten und Arbeitsfähigkeiten gegen die herrschenden Zustände. Baethge sieht “einen Kristallisationspunkt auch sozialer Identität und politischer Organisierung” in der “moralischen Qualität der Arbeit - das meint die Berücksichtigung von Sinnbezügen, das Interesse am Erhalt der inneren und äußeren Natur und die Herstellung diskursiver Kommunikation in der Arbeit. … Keine Belege, wohl aber erste Indizien, daß es dafür subjektive Voraussetzungen gibt, sind die Befunde über die beträchtliche ökologische Sensibilität von Arbeitern und von hochqualifizierten Industrieangestellten (Heine/Mautz 1989; Hoff 1990; Baethge/Denkinger/Kadritzke/Lappe (1990)) oder der Hinweis aus der Untersuchung von Lempert/Hoff/Lappe (1990) über die Entstehung eines postkonventionellen Moralbewußtseins bei Facharbeitern. Gewiß ist dies noch eine arg schmale empirische Basis, aber: was das Morgen ankündigt, kann heute ja kaum schon repräsentativ sein” (Baethge 1994/254).

Mit der hier skizzierten ´Arbeit´ geht es um wirklichkeitsmächtige Kräfte und Perspektiven, die in und aus dem Bestehenden entstehen und es transzendieren. Mit ´Arbeit´ wird es möglich, eine andere Kultur und Zivilisation zu entwickeln, die zum Bestehenden nicht im Verhältnis der Konkurrenz steht. Mit ´Arbeit´ wird ein Bewußtsein von den Stärken und der Überlegenheit eines gesellschaftlichen Wirklichkeitsverständnisses möglich, das dessen moderne und kapitalistische Formen überwindet. Viele Gesellschaftskritiker haben die Kosten und Nachteile der bestehenden Gesellschaft beschrieben. Diese Kritik hat sich dann an den Vorteilen und Vorzügen relativieren müssen. Die hier entfaltete Perspektive der Arbeit knüpft wohl an den gegenwärtigen Problemen an, stellt aber nicht allein von ihnen her die Vorteile und Vorzüge der gegenwärtigen Gesellschaft infrage, sondern argumentiert auch von einem in der Gegenwart angelegten objektiven und subjektiven Reichtum aus, der sich von seinen modernen und kapitalistischen Form ebenso zu unterscheiden beginnt wie von den herrschenden Gestalten der Subjektivität. Von diesem so den herrschenden Gesellschafts-, Lebens- und Denkformen abgerungenen Reichtum eines arbeitenden In-der-Welt-Seins aus erscheinen auch die Vorzüge dieser Gesellschaft in einem anderen Licht. Mit ´Arbeit´ wird die Alternative zwischen Vor- und Nachteilen des Bestehenden durchgriffen und ein anderes Koordinatensystem, eine andere Präferenzordnung und ein anderes Gravitationsfeld eröffnet.

Literatur:
Arendt, Hannah 1981: Vita activa. München
Baethge, Martin 1994: Arbeit und Identität. In: Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hg.) : Riskante Freiheiten. Frankf.M.
Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Frankf.M.
Fraentzki, Ekkehard 1978: Der mißverstandene Marx. Pfullingen
Freyer, Hans 1955: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters. Stuttgart
Gehlen, Arnold 1957: Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme der modernen Gesellschaft. Hamburg
Goethe, Johann Wolfgang: Wilhelm Meisters Wanderjahre. In: Goethes Werke. Hg. v. Erich Trunz u.a. Hamburg, 6.Aufl.
Gorz, André 1990: Kritik der ökonomischen Vernunft. Berlin
Johler, Jens; Sichtermann, Barbara 1978: Der Begriff Arbeit in der nationalökonomischen Ideengeschichte. In: Mehrwert H. 15/16 WestBerlin
Knapp, Gudrun-Axeli 1981: Industriearbeit und Instrumentalismus. Zur Geschichte eines Vor-Urteils. Bonn
König, Helmut 1990: Krise der Arbeitsgesellschaft. In: Greiff, Bodo von u.a. (Hg.) Leviathan - Sonderheft Sozialphilosophie der industriellen Arbeit. Opladen
Löw-Beer, Peter 1981: Industrie und Glück. Berlin
Negt, Oskar/Kluge, Alexander 1972: Öffentlichkeit und Erfahrung. Frankf.M.
Dies. 1981: Geschichte und Eigensinn. Frankf.M.
Pfreundschuh, Wolfram 1979: Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft. München
Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke. Hg. v. G. Fricke u. H.G. Göpfert. München 1963, 3. Aufl. München
Sloterdijk, Peter 1996: Selbstversuch - ein Gespräch mit Carlos Oliveira. München
Voss, Gerd- Günter 1991: Lebensführung als Arbeit. Stuttgart