(erschien in: Sozialistische Zeitung 7/2013)
Arno Klönne meint in der Sozialist. Zeitung 6/2013, S. 3: „Ein ‚markt‘-wirtschaftliches System schreibt das Grundgesetz … nicht vor.“ Klönne bezieht sich auf den verfassungsrechtlichen Konsens, das Grundgesetz sei wirtschaftspolitisch neutral, missversteht ihn aber. Tatsächlich schreibt das Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftspolitik vor. Deren Spielräume sind aber insofern begrenzt, als sich das Grundgesetz auf persönliche Berufs- und private Eigentumsfreiheit festlegt. Die in Art 2 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistete Privatautonomie umfasst die Vertragsfreiheit. Auch Berufsfreiheit lässt sich ohne Konkurrenz nicht denken. All dies schließt eine Zentralverwaltungs- oder Planwirtschaft aus. Klönne schreibt: „Die Grundsätze der Verfassung der Bundesrepublik halten den normativen Raum offen für eine demokratische Alternative zur kapitalistischen Ökonomie.“ Diese These sieht von der für das Grundgesetz charakteristischen Zentralität des Privateigentums ab. Es beinhaltet das sog. Befugnisbelieben des Eigentümers einer Sache. Er „kann, soweit nicht das Gesetz oder Recht Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“ (BGB § 903). Zur Zentralität des Privateigentums gehört: Alle Aneignungsobjekte sollen als Sachen und alle Individuen sollen als freie Rechtspersonen in ein System einbezogen sein, das durch die M ö g l i c h k e i t des Eigentumswechsels charakterisiert ist. Dies schließt die Existenz von Lohnarbeit ein. Schutz des Privateigentums heißt nicht zwingend Schutz eines bestimmten Privatbesitzes, sondern Schutz des freien Händewechsel der Waren, d.h. Ausschluss von Gewaltausübung der Tausch“partner“. Die freie Beweglichkeit der „Sachen“ ist notwendig, damit der Besitz frei ist, nach Markt- und Verwertungschancen verkauft, gekauft oder ‚angelegt‘ zu werden. Anders kann das ökonomische Wertgesetz nicht existieren. Klönne weist auf „die Möglichkeit der ‚Vergesellschaftung‘ von Grund und Boden oder ‚Naturschätzen‘“ hin und meint, sie sei „Berichterstattern des Verfassungsschutzes offenbar kaum bekannt“. Bei dem die Sozialisierung betreffenden Artikel 15 des Grundgesetzes handelt es sich keineswegs um die Erlaubnis zur sozialistischen Umgestaltung, sondern um eine Ausnahmevorschrift. Einzelnes Privateigentum kann enteignet werden, wenn der Eigentümer sich weigert zu verkaufen und falls damit Schaden für Belange droht, die für die Entfaltung des bürgerlichen Gemeinwesens notwendig sind (z. B. Straßenbau, Gewerbeansiedlung). Die Sozialisierung unterliegt vielfältigen Einschränkungen und ist an die Entschädigung des Kapitals gebunden, das, der besonderen materiellen Güter enteignet, nun anderwärtig, in seiner allgemeinen Gestalt als Geld, investiert werden können muss. Die Sätze „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ (GG Art 14.2), auf die sich Klönne p o s i t i v bezieht, sind zum einen im Kontext dieser in sehr engen Grenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft möglichen rechtlichen Unterordnung des Privateigentums unter übergeordnete Belange in der bestehenden Gesellschaft zu verstehen. Zum anderen im Kontext der Vorstellung, im normalen Gang der bürgerlichen Gesellschaft resultiere das Allgemeinwohl primär gerade daraus, dass die Bürger ihre Privatinteressen verfolgen und mit ihrem jeweiligen Eigentum (Kapital, Arbeitskraft u. a.) wirtschaften.
Klönne löst den Inhalt des Grundgesetzes auf in über seine Auslegung angeblich entscheidende „gesellschaftliche Auseinandersetzungen“ und politische Kräfteverhältnisse. Die (Er-)Kenntnis des eigenen Inhalts der Verfassung und ihres Funktionierens im Kontext kapitalistischer Strukturen ist etwas anderes. „Verfassungspatriotismus – ein Hirngespinst“ lautet die Überschrift von Klönnes Artikel. Der Kern des Verfassungspatriotismus in Bezug auf die Wirtschaft besteht in einer ordnungspolitischen Überzeugung. Ihr zufolge sind m i t Privateigentum, Markt, Konkurrenz, Lohnarbeit und Kapital zwar viele Härten verbunden, o h n e diese Strukturen würden aber weit schlimmere Einbußen an Wohlstand u n d Freiheit unvermeidbar. Diese ordnungspolitische Grundüberzeugung ist im vorfindlichen bundesdeutschen Gesellschaftsbewusstsein überaus vital, also alles andere als ein „Hirngespinst“. Daran ändert die als F i n a n z krise aufgefasste Krise wenig. Klönne hat Recht, wenn er betont, die politische und akademische Auslegung der Verfassung sei umkämpft, ignoriert aber: Die Reichweite dieser Offenheit hat enge Grenzen. Klönne vertritt die seit Abendroth in der Linken weit verbreitete Position, das für die bürgerliche Gesellschaft und ihre Verfassung charakteristische Freiheitsverständnis ließe sich bruchlos in eine den Kapitalismus überwindende Perspektive überführen. Anhänger dieser Auffassung können sich bereits darüber freuen, dass das Grundgesetz sich nicht in plumper Direktheit für die kapitalistische Wirtschaftsordnung ausspricht. In ihrem Stolz auf den vermeintlich listigen Diskurstrick, das Grundgesetz gegen den Kapitalismus auszuspielen, gerät linken Verfassungsfreunden das Bekenntnis des Grundgesetzes zur bürgerlichen Gesellschaft nicht in den Blick. Wer das Grundgesetz für s e i n e Opposition vereinnahmt, wird erfahren müssen, von der Gegenseite dann auch am Grundgesetz gemessen zu werden. Die Berufung von Linken auf das Grundgesetz erweist sich insofern als trojanisches Pferd.