Der frühere Bremer Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen Paul Tiefenbach beschreibt ihren Veränderungsprozeß. Das unaufgeregte, klar geschriebene, ebenso erfahrungsgesättigte wie ressentimentlose Buch [1] ist nicht nur für an den Grünen Interessierte von Belang. Jenseits von gängigen Deutungen der Grünengeschichte als ‘Verrat’ oder ‘Erwachsenwerden’ werden die engen Grenzen des sog. Realpolitik deutlich.
1) Tiefenbach knüpft für die Interpretation der Veränderung der Grünenpolitik an Robert Michels 1911 erschienener Erklärung des ‘Revisionismus’ in der SPD durch eine Oligarchisierung, das Entstehen einer nur schwer auswechselbaren Führungsschicht, an. Michels zufolge ermöglichte die Arbeiterbewegung einzelnen Arbeitern einen ähnlichen sozialen Aufstieg wie vorher die Kirche manchen Kleinbürgern und Bauern. Die ‘Parteielite’ nimmt am politischen Geschäft teil, wird von ihm aufgesogen und setzt die entsprechenden ‘Notwendigkeiten’ in der Partei durch. Deren Parteimitglieder wiederum wollen zumeist jene Organisation, in der sie ihre politische Heimat gefunden haben, sich erhalten.
Bei den Grünen war zunächst - ungleich stärker als heute bei der PDS - ein Bewußtsein von den Gefahren des ‘Berufspolitikertum’ durchaus präsent. Es führt zu Vorsprüngen an Informationen, Kompetenzen und Ressourcen (Büro, Finanzen, Kontakte, Zeit) der Berufspolitiker gegenüber den Parteimitgliedern als mehr oder weniger interessierten, in jedem Fall aber weniger geübten und damit auch teilweise weniger motivierten Laien.
Abgeordnete ohne einträglichen Beruf sind von der Politik abhängig als Einkommensquelle. Abgeordnete mit einträglichem Beruf verpassen nach längerer Tätigkeit im Parlament den ‘Anschluß’ in ihrer beruflichen Tätigkeit und haben sich von Betätigungen mit geringerem Prestige entfremdet. Wenn Führungsmitglieder zwischen oberen Posten in Parlament, Regierung und Partei ‘querrotieren’, können sie nach einer Weile nichts anderes als Politik machen, entfremden sich von anderen Bereichen und okkupieren die Stellen, auf denen sich auch andere Parteimitglieder qualifizieren könnten.
2) Tiefenbach beschreibt in einem zweiten Schritt zur Erklärung der Wandlung der Grünen die Veränderung der Parteielite im Parlament. Wer i m Parlament ‘ernstgenommen’ werden will von seinen Gegnern, muß ihnen schon entgegenkommen. Während J. Fischer den Bundestag zunächst als „Alkoholikerversammlung“ charakterisierte, als unfähig und korrupt, kam es später grünen Parlamentariern darauf an, in eben diesem Parlament als ‘vernünftige’ und ‘berechenbare’ ‘Gesprächspartner’ zu gelten. Schon Engels sprach vom „widerwärtigen Drang der englischen Arbeiterführung zur Respectabilität“ (zit.n. 83). Neue Gemeinsamkeiten (gegenüber Verwaltungen, ‘undankbaren’ Wählern und Parteiversammlungen) entstehen und „eine Art kollektiver Identität der politischen ‘Insider’ gegenüber den ‘Menschen draußen im Lande’“ (Dieter Herzog, zit n. Tiefenbach 82).
Eine zweite Quelle der Anpassung entsteht aus dem Wechsel der Parlamentarier von der Betroffenen- in die Verwaltungsperspektive. Die Einarbeitung in die eigene Logik, die Verzweigtheit und in den Problemverschiebebahnhof der Verwaltung gewöhnen an eine staatsimmanente Perspektive. Eine Auseinandersetzung mit dem deskriptiv starken Buch Niklas Luhmanns ‘Legitimation durch Verfahren’ (1969) wäre hier sinnvoll gewesen. Der gelernte Verwaltungsjurist Luhmann beschreibt hier bereits zu Hochzeiten der APO mit sarkastischer Freude die geringen Aussichten eines ‘Marsch durch die Institutionen’. Schimank (1983/119ff.) hat diese Analyse Luhmanns in bezug auf die Chancen neuer sozialer Bewegungen zugespitzt und aktualisiert.
Tiefenbach zufolge identifiziert sich die grüne Parteielite nicht nur mit dem Staat, sondern tendenziell auch den Staat mit sich, insofern die Opposition als Vorstufe zur Regierung gilt. „Natürlich wollten sie sich den Kopf des Staates zerbrechen, galt es doch, dies wichtige Instrument für eine spätere Reformpolitik handlungsfähig zu halten. Faktisch trugen Grüne damit zur Durchsetzung von Sparmaßnahmen bei, die ihren politischen Zielen widersprachen. Sie handelten aber in dem Bewußtsein, ihren politischen Zielen zu dienen, indem sie den Staat vor dem Bankrott bewahrten.“ (93) Wenn 1993 15% der Mitglieder kommunalpolitische Mandate innehaben, so sind sie „in stark abgeschwächter Form ähnlichen Einflüssen unterworfen wie die Parteielite“ (161). Tiefenbach schließt sich hier Grevens These an, die Parteien seien in vielfältiger Weise „verstaatlicht“. Die Parteien hätten „den Staat in einem Grade unterwandert, der sie selbst zu seinem Teil macht“ (Greven, zit. n. Tiefenbach 161).
Tiefenbach entgeht der Verlockung, die Parteibasis selbst als unschuldiges Opfer des Veränderungsprozeß darzustellen. Er hebt den starken Druck von Initiativen und Projekten hervor, eine finanzielle Absicherung und Anerkennung ihrer Arbeit zu erreichen, ohne sich Rechenschaft abzulegen über die dafür (innerhalb dieses Politikmodells) andernorts einzugehenden Kompromisse. In einer Studie über die Alternative Liste Berlin hieß es: „Gerade eine klientelförmige Basis drängte die Abgeordneten, sich kompromißbereit(er) zu zeigen, als sie es selbst wollten“ (zit.n. Tiefenbach 105). Die Radikalität der Bürgerinitiativen bleibt in vielen Fällen punktuell und partikular, nicht auf einen übergreifenden Gesellschaftsentwurf bezogen. Selbst also bei fortbestehendem Kontakt mit außerparlamentarischen Gruppen würde dieser nicht notwendig den systemoppositionellen Charakter der Partei stiften.
Tiefenbach sieht den Prozeß der Anpassung abgeschlossen mit der Regierungsbeteiligung. Erfolgen in den Koalitionsverhandlungen entspricht keine Durchsetzung in der Regierung. Eine Befragung sämtlicher Fraktionsvorsitzender von SPD und Grünen aus allen Gemeinderäten, Stadträten und Kreistagen der alten Bundesrepublik (Zeuner, Wischermann 1995) kommt zu dem Ergebnis: „Wir haben kaum Indizien dafür gefunden, daß sich hier ein neues politisches Reformprojekt oder ein Hegemoniewechsel auftun könnte“ (Zeuner, Wischermann 1995a/29). In der Regierung stellen die Grünen den kleinen Partner, der SPD steht immer noch eine andere Koalitionsoption offen. Zudem greift im System der Blockbildung die Koalitionsdisziplin. Tiefenbach hätte die Analyse der politischen Dichotomisierung, wie sie z.B. M. Jäger (vgl. u.a. 1984) vorlegt, nutzen können. Gewinnbringend wäre auch die Kritik von Rosa Luxemburg (1974a/54ff, 160f.) um die letzte Jahrhundertwende (lange vor Michels) an der Regierungsbeteiligung von (französischen) Sozialisten aufzunehmen. Selbst anläßlich der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart weist Luxemburg (1974b/505ff.) auf die engen systemimmanent verbleibenden Grenzen solcher Posten hin und lehnt die Aufstellung eines eigenen Kandidaten ab.
3) Bei der Analyse der Motive der Abgeordneten spielen Wünsche nach Spitzengehältern weniger eine Rolle als das Interesse daran, nicht arbeitslos zu sein. Beim Wechsel von grünen Hauptamtlichen in die staatliche Verwaltung handelt es sich nicht notwendigerweise „um Filz und Cliquenwirtschaft. Wer in der Partei oder in einer Fraktion beruflich tätig ist, erwirbt in dieser Zeit Erfahrungen, die ihn auch für ein Amt in der staatlichen Verwaltung qualifizieren. Daß er die Behördenleiter kennt und diese ihn, ist genauso ein Konkurrenzvorteil wie der Sachverhalt, daß er schon recht frühzeitig weiß, wann welche Stelle ausgeschrieben wird“ (120). Die parlamentarische Präsenz wird zur Basis für die Lebensführung einer ganzen Gruppe von Parteimitgliedern: den Abgeordneten und ihren Assistenten. Neben einem Arbeitsplatz trägt das Abgeordnetenmandat einen hohen gesellschaftlichen Status, Respekt und Achtung ein.
Tiefenbach hätte durchaus die ‘Lust’, die manche am Metier des Politischen finden, deutlicher herausarbeiten können. Verfahrenstricks und Tagesordnungsgeschick, Image- und Kontaktpflege, semantische Verpackungskünste, Personalpolitik, persönliche Kenntnis relevanter Akteure, Fähigkeiten in Rhetorik, Taktik, Kungelei und Intrige stehen auf dem gar nicht so ‘heimlichen’ Lehrplan. Wer hier Erfolg haben will, muß sich eine eigentümliche Vertrautheit und Konzentriertheit auf die Mittel der Politik zu eigen gemacht haben und sich von ihnen fasziniert zeigen.
Angesichts vielfältiger Diskrepanzen zwischen persönlicher Motivation und politischer Überzeugung stellt sich besonders für den ‘gradlinigen’ Abgeordneten die Aufgabe, die einzusteckenden Kompromisse mit höherer Wirksamkeit bei Verbleiben im Amt zu legitimieren. Eigener ostentativer Eifer bis zur Erschöpfung erlaubt es, Kritiker ins Unrecht zu setzen. Man habe schließlich alles versucht und es nicht an Bemühung fehlen lassen. [2]
Als schwierig erweist sich, dem Sog zu entgehen, der durch das eigene Mittun entsteht. Wer privat zwar ankündigt, dieses Mal noch zuzustimmen, beim nächsten Mal aber nicht mehr, findet „‘beim nächsten Mal’ wieder einen Grund, der eine Verweigerungshaltung unzweckmäßig erscheinen läßt. Die Abgeordneten haben ein Stück ihrer politischen Überzeugung opfern müssen. Das müssen sie vor sich selbst legitimieren. Haben sie das aber erfolgreich getan, können sie später kaum mehr zur harten kritischen Haltung“ zurückkehren (115). Von nichts wird der Mensch besser manipuliert als von seinen eigenen Taten.
Tiefenbach ergänzend verweisen die Motive der grünen ‘Macher’ auf eine Kritik der Politik (vgl. Bourdieu 1991, vgl. MEW 1/354ff.). Politik und Demokratie verhalten sich zu den mit der herrschenden Arbeitsteilung, der Konkurrenz und den Entwicklungskriterien des Reichtums implizierten Spaltungen, Hierarchien, Bornierungen und Eigendynamiken usw., indem sie “sich auf eine abstrakte und beschränkte, auf partielle Weise über diese Schranken erheben” (MEW 1/354) und sie für “unpolitisch” bzw. die Demokratie nicht tangierend erklären. Die Erhebung zum politischen Souverän bei gleichzeitiger Vorentscheidung seiner Geschicke durch den ‘stummen Zwang der Verhältnisse’ führt zur Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in einer Komplementarität von Idealismus und Positivismus. Idealistisch erscheint die herrschende Politik nicht als Durchsetzung der ökonomischen und staatlichen Notwendigkeiten einer kapitalistischen Gesellschaft. Vielmehr wird der Politik die Orientierung an allgemeinmenschlichen Idealen zugerechnet, so daß es ihr immer um mehr geht als das, was sie praktiziert. Positivistisch mutet kapitalismusspezifisch Begründetes als sachliche Randbedingung jedweden sozialen Handelns an. Die tatsächliche Politik wiederum erscheint als optimaler Kompromiß zwischen dem angeblichen Ziel, dem Ideal, und den in diesem Horizont als unabänderlich erscheinenden ‘Sachzwängen’. Idealistisch wird ‘Verantwortung übernommen’ für politisch gar nicht Gestaltbares (vgl. Narr 1995) und sich selbst Steuerungskompetenz und Zuständigkeit zugeschrieben (vgl. Gerhardt 1990/227f.). Positivistisch erscheint die kapitalistische Ökonomie als industriegesellschaftliche, moderne o.ä. Faktizität, die allenfalls sekundär modifiziert werden kann.
4) Tiefenbachs These, die „dominierende Seite in dem Verhältnis zwischen innerer und äußerer Veränderungsursache sind die Interessen der Parteielite“ (175), bleibt fraglich. Gewiß weist eine parlamentsorientierte Partei problematische Effekte für Bewegungen auf. [3] Wie wenig die Grünen sich als Teil von Bewegungen verstehen, hat sich jüngst im Verzicht auf eine öffentliche Mobilisierung in der Doppelpaß-Angelegenheit gegen die Unterschriftenaktion der CDU gezeigt. Allerdings müßten die strukturellen Probleme von Bewegungen deutlicher in den Blick kommen (vgl. Zeuner 1985, vgl. Hilgers 1997, vgl. auch meine Rezension 1998). Eine Auseinandersetzung mit den Debatten fehlt, in deren Verlauf sich in den letzten 20 Jahren die Einschätzung von Markt, kapitalistischer Ökonomie, Parlament, Staat und Recht in der Linken so verändert hat, daß kritische Stimmen weniger Resonanz finden. Es würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, zu belegen, daß dies nicht an jenen vorgelegten und weiterentwickelten Analysen liegt, die dem zunehmend verbreiteten Lob der infragestehenden Strukturen nicht folgen. Bei diesem Meinungsumschwung jedenfalls handelt es sich um ein die Veränderung der Grünen mitbestimmendes Moment, das sich nicht auf ihre innerparteiliche Entwicklung reduzieren läßt.
5) Die Veränderung der Grünen führt nach Tiefenbach zu drei Ergebnissen. Erstens gewinnen die Selbsterhaltungsimperative des Parteiapparates, der Wahl’erfolg’ und die Regierungsbeteiligung immer mehr an Gewicht (vgl. a. Bourdieu 1991/507). Damit geraten die Aufmerksamkeit für Politikinhalte und für die Kosten von Kompromissen und Zugeständnissen in den Hintergrund. Die Engführung von Politik auf Regierungsbeteiligung schwächt zudem die Verhandlungsposition in Koalitionsgesprächen. „Die anderen Parteien spüren, daß die Grünen zu jedem Kompromiß bereit sind, um in die Regierung zu kommen - und nutzen dies weidlich aus“ (184). „Von ‘Krötenschlucken’ konnte da bald keine Rede mehr sein, weil diese Rede ja voraussetzt, daß zwischendurch auch mal was vom eigenen Speisezettel geschluckt wird“ (Jäger 1999/4).
Zweitens führt die Konkurrenz mit den anderen Parteien dazu, selbst eine ‘kleine Volkspartei’ zu werden, die nicht von eigenen Perspektiven auf die Themen zugeht, sondern sich an Meinungsumfragen und vorgegebenen Diskursen orientiert. Insofern war es nur konsequent von den Grünen, das negative Echo auf ihre Magdeburger Beschlüsse 1998 zum Benzinpreis als Urteil über sie zu akzeptieren, also den Konsenszwang zu affirmieren, statt um die Köpfe der Menschen zu kämpfen und Forderungen zu stellen, die nicht jeder gleich unterschreiben kann [4] und den Streit als legitim aufzufassen im Unterschied zu einer Öffentlichkeit, die „sich wie ein vorverlagerter Koalitionsausschuß geriert“ (Wiedemann 1998/1037). Drittens erscheinen die Grünen als eine ‘lean-party’, in der „die Bescheidenheit der Mitglieder ihr Wissen um ihre Unwichtigkeit ausdrückt“ (189f.). „Ihre Mitgliedsbeiträge sind angesichts der immer weiter gewachsenen Parteien-, Fraktions- und Stiftungsfinanzierung nicht mehr nötig. ‘Aktionen’ und ‘Kampagnen’ sind durch Medien- und Parlamentsarbeit ersetzt. Mitglieder sind lediglich da, weil die Partei zahllose untergeordnete Gremien - wie z.B. Stadtteilbeiräte oder Vorstände - besetzen muß“ (189). Unterhalb der Bundesebene gehe es „mehr um verwalten als um gestalten“ (191) aufgrund der Kompetenzverlagerung nach oben und des flächendeckenden Haushaltnotstands. Wahlen in Ländern und Kommunen stellen „keine politische Richtungsentscheidung mehr“ da. „Sie sind nichts anderes als öffentlich durchgeführte Bewerbungsverfahren für Spitzenpositionen der staatlichen Verwaltung“ (192). Die Parteien figurieren als „politische Ausbildungsstätten für das Spitzenpersonal der staatlichen Verwaltung: Sie lehren Neulinge das politische Handwerk und führen sie in das staatliche Denken ein“ (192). Die ‘vorurteilsfreie’ Modernisierung des öffentlichen Dienstes, die vom früheren Frankfurter Stadtkämmerer T. Koenigs zum zentralen Thema der Grünen gemacht wurde, läßt die Leistung der Grünen als ‘lean party’ gerade im Fehlen der Abhängigkeit von ÖTV oder Beamtenbund erscheinen.
6) Im Schlußkapitel stellt Tiefenbach „Möglichkeiten von Demokratisierung jenseits des Parteiensystems“ vor. Die ‘Zivilgesellschaft’ entwickele sich in Organisationen wie Greenpeace (vgl. zur Kritik Roth 1996), Amnesty, Pro Asyl usw., die in der Bevölkerung hohes Vertrauen genießen. Obwohl in der Größenordnung über Bürgerinitiativen hinausgewachsen, dominiere im Unterschied zu Parteien das sachliche Interesse die persönliche (Aufstiegs-)Motivation, selbst wenn natürlich auch hier Arbeitsplatzinteressen im Spiel sind. Tiefenbach sieht Probleme vor allem in der ‘single- issue’- Orientierung dieser Organisationen. „Die persönliche Betroffenheit und die Identifikation mit dem Objekt ihrer Unterstützung führen mitunter zu einer Einseitigkeit des Urteils, die auf Außenstehende befremdlich wirkt“ (198). Notwendig wären Vernetzungen, die nicht selbst wiederum zu Parteien mutieren. Tiefenbach nennt als Beispiele für solche “’Bürgerinitiativen für Allgemeinpolitik’“ (198) den ‘Republikanischen Club’ der Studentenbewegung oder das ‘Neue Forum’ in seiner ersten Zeit. Heute wäre z.B. an das ‘Komitee für Grundrechte und Demokratie’ zu denken.
Gegenüber einer auf Wählerstimmen fixierten Politik rückt die Perspektive einer von unten aus organisierten Vernetzung von Ansätzen in den Blick, die auf eine (Um-)Gestaltung der Gesellschaft abzielen. Soziale Bewegungen (vom Ostermarsch bis zur Anti-KKW-Bewegung) haben durchaus Erfolge ohne parlamentarische Beteiligung vorzuweisen. Die grüne Parlamentspolitik und -fixierung hat dazu beigetragen, dieses Terrain und seine eigenen Mühen zu überspielen, andere Attraktivitäten und Stellen zu schaffen, die der mühsamen Arbeit an der Umvergesellschaftung nicht nur Kapazitäten entziehen, sondern den Glanz des Politikerdaseins getrennt und neben dieser Vergesellschaftungsarbeit revitalisieren. [5] „Wenn wir unseren Erfolgsmaßstab von den Herrschenden übernehmen, dann sind wir nicht aus einem linken Grenzbezirk in die Gesellschaft ‘eingebrochen’, vielmehr sind wir ein gefährliches Stück weit in der bestehenden Gesellschaft aufgegangen. Wir hätten dann wie der alte Krösus ein Land ‘erobert’ und gar nicht bemerkt, daß es unser eigenes gewesen ist, das erobert wurde, das wir also verloren haben“ (Narr, Vack 1980/49).
7) Über Tiefenbach hinausgehend ließe sich die Analyse der Grünenpolitik vertiefen mit der Frage, was es bedeutet, Politik über Ideale zu definieren. Die „Einsicht“ in die Notwendigkeit einer ökologischeren und friedlichen Politik bleibt solange eine ‘gutmenschliche’ Vorstellung, wie in diese Einsicht zwar eine Kritik an den ‘Leistungsmängeln’ anderer Parteien eingeht. Die Grünen profilieren sich über das negative Urteil, die Konkurrenz würde es an Anstrengungen und Willen fehlen lassen. Wie wenig aber die Vorstellung der eigenen Ziele auf die Notwendigkeit grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen hin durchgearbeitet ist, eben Vorstellung bleibt und sich vom Urteil, das die Wirklichkeit erfaßt, unterscheidet, dies zeigt sich, wenn der Gegensatz zwischen den eigenen Zielen und ihren Verwirklichungsbedingungen gar nicht klar zutagetritt, insofern auch erst gar nicht ausgehalten werden muß, sondern immer schon kleingeredet ist oder zur allgemein weder zu vermeidenden noch zu beklagenden Diskrepanz zwischen regulativer Idee und spröder Realität gerät. Diese Problemanordnung per ‘Ideal’ und ‘Wirklichkeit’ hat den großen Vorteil, daß jedes Handeln als Beitrag zur Verwirklichung des Ideals imponieren kann und eine genauere Vergegenwärtigung der Qualität des Handelns durch diese Einstellung auf das Ideal hin und durch dessen Verschwommenheit sowie „die dunkle Ferne der Unendlichkeit, worin eben deswegen die Erreichung des Ziels zu schieben ist“ (Hegel, Phänomenologie VI.C.a), nicht zustandekommt.
Die eigenen Ziele und das Zutrauen in die ungetrübte Machbarkeit von ökologischer Nachhaltigkeit unter kapitalistischen Bedingungen oder Friedenspolitik mit Natokraft koexistieren. In diesem losen Denken, in dem Entgegengesetzes so undeutlich wahrgenommen und in eine so lockere Einheit zusammengefügt wird, daß der Gegensatz gar nicht mehr hervortritt und dann auch nicht mehr gedacht werden muß, sondern Satz und Gegensatz immer gleich beide vermeintlich zusammen ‘gehen’, gibt es nur mehr oder minder gute Konkurrenten bei der Erfüllung allgemein geteilter Werte. Das Konstrukt der ‘Realpolitik’ erschöpft sich in der einfachen Entgegensetzung zum Utopismus. Die Affirmation des Gegebenen wird damit geadelt, daß sie die einzig mögliche Erfahrungsverarbeitung [6] der eigenen früheren ‘Kopf-durch-die-Wand’-’Praxis’ darstelle (vgl. Kraushaar 1988), die wiederum als einzig mögliche Alternative zum beflissenen realpolitischen Mittun stilisiert wird. Realpolitisch wird nur e i n e Wirklichkeit wahrgenommen. Setzt die utopistische Kritik auf eine andere Wirklichkeit, die sie der bestehenden entgegensetzt, so kennt die Realpolitik allein die Fortsetzung bzw. Modifikation des Bestehenden. Utopismus u n d Realpolitik versagen darin, die in der bestehenden Wirklichkeit enthaltenen Möglichkeiten gegen ihre gesellschaftliche Form und diese überwindend herauszuarbeiten. Dadurch daß diese Arbeit nicht präsent ist, fehlt auch das Gegengewicht zu den Anpassungszwängen. Es gibt keine Distanz zum Gegebenen, sondern nur die Distanz zu den Konkurrenten. Ein Wissen um die eigenen Gesetzlichkeiten von Parlamentarismus, staatlicher Politik, kapitalistischer Ökonomie usw., die die gutmenschlichen Ziele subvertieren oder sie zur beliebig inhaltlich auffüllbaren Leerformel degradieren, dies Wissen existiert nicht wirklich praktisch. Allenfalls existiert es als Vorbehalt, als undeutliche Reminiszenz von Kritik, die sich aber alsbald, insofern sie pragmatisch ‘zu nichts geführt’ habe, beim deutlichen Machen des Machbaren verliert.
Im Kult des Machen („Regieren geht über studieren“ J. Fischer) kulminiert die Harmlosigkeit, unter gegebenen Bedingungen unmittelbar für die eigenen Ziele handeln zu können, eine Naivität, die verkennt, wie die Ziele zum Distinktionsmerkmal bei der nun nur variantenreicheren Fortsetzung des Gegebenen geraten, zu einem akzidentiellen Schmuck, der über die Invarianz des im wesentlichen nicht Angegangenen hinwegtäuschen und -trösten soll. Menschheitsbetreffende Ziele koexistieren aufs friedlichste mit der Akzeptanz der gegenwärtig schon fast totalen Forderung, Kritik allein als konstruktive, als Beitrag zum Bestehenden und als Sorge um es gelten zu lassen. Opposition light: Die nach wie vor einschlägigen Gesetze der kapitalistischen Ökonomie, die immanenten Widersprüche des Reformgradualismus [7], die Eigendynamik militärischen Handelns (vgl. anläßlich des Krieges Schroedter und Brüggen 1999), die eigenen Konsequenzen und Folgedynamiken einer ökonomischen Überwindung des gesellschaftlichen Raums zu einem raumlosen Überall (vgl. Creydt 1999) - all dem, was den eigenen Vorsätze entgegensteht, wird sich nicht gestellt. Von der Akzeptanz des Euros bis zum Jugoslawienkrieg offenbart sich die Substanzlosigkeit der Grünen. „Als ‘Erwachsenwerden’ und ‘Regierenlernen’ wird da verkauft, was in Wahrheit Kapitulation vor der Größe der Aufgabe ist“ (Ziller 1999/8). Der Pragmatismus, der immer nur Nothilfe kennt, also die Bedingungen der Not reproduziert, verweist auf die gegebenen, zur Verfügung stehenden Vorrichtungen und Hilfsmittel. [8] Daß sie nur die andere Seite der Not darstellen, diese Einheit von Gegensätzen wird ebenso wenig gedacht wie jene von Ideal und Wirklichkeit. Im Aktualismus und Notfallfanatismus des herrschenden Pragmatismus wird bereitwillig die erpresserische Frage akzeptiert, was unter gegebenen Bedingungen (!) denn anderes als der Natokrieg gegen Jugoslawien möglich gewesen sei. Auf die selbst wiederum pragmatisch zu bestreitende Behauptung, es sei darum gegangen, Milosevic und die seinen zu stoppen, will ich mich hier nicht konzentrieren. Thema ist vielmehr die Verantwortungsübernahme für eine Politik, die in den vorgegebenen Bahnen einfach weiter fortfährt. Statt daß erklärt wurde, man könne nicht ausscheren, so wie die Entwicklung nun einmal gelaufen sei, bei ‘versäumter’ Unterstützung zivilgesellschaftlichen Friedensengagements in den 90ern [9], bei destabilisierenden und den Nationalismus fördernder Interventionen jener Länder, die den aktuellen Krieg gegen Jugoslawien geführt haben (vgl. die exzellente Analyse von Gowan 1999), und bei Eingebundenheit in Bündnisverpflichtungen, statt dieser realistischen Bestandsaufnahme der ‘Erblasten’ sowie der Aufgaben, die einem Außenminister unter gegebenen Verhältnissen obliegen, statt dessen wird in grandioser Selbstüberschätzung so getan, als könne man Entgegengesetzte miteinander versöhnen und selbst im Außenministerium andere Ziele verfolgen als jene, die gegenwärtig zu ihm gehören. Nichts ist unrealistischer als diese ‘Realpolitik’, die über die Differenz der eigenen Ziele [10] zu den Aufgaben staatlicher Außen- und Militärpolitik hinwegtäuscht, und zur Verteidigung des Herrschenden unter der Fiktion führt, es sei etwas anderes als das, was es ist. Die mit ihrer ostentativen Nüchternheit angebende Realpolitik hält es bei sich nicht aus und muß mit der utopischen Verheißung werben, durch ihre eigene bloße Nähe zur Realität diese schon zähmen zu können.
In der Fixierung auf staatsimmanente Politik taucht bei grünen Kriegsbefürwortern gar nicht mehr die Vorstellung auf, es sei eine andere Herangehensweise an das Problem möglich. Durch die diesem Pragmatismus eigene kognitive Verengung des Möglichkeitsraums der Wirklichkeit [11] werden die von den herrschenden ‘Notwendigkeiten’ abweichenden Entwicklungspfade [12] marginalisiert. Die grüne Selbstunterstellung in das Fortsetzungsverhalten herrschender Politik übergeht, daß Politik keine Probleme löst, sondern diese nur zum Anlaß nimmt, die Notwendigkeiten ihrer eigenen Betriebslogik klarzumachen und durchzusetzen. Wo der politische Drang, ja handlungsfähig zu sein, bedeutet, unter den g e g e b e n e n Bedingungen zu handeln, sich in eine v o r f i n d l i c h e Konkurrenz einzustellen und nach i h r e n Maßstäben sich als ‘realitätstüchtig’ zu bewähren, und zu der Vernunft zu finden, die sich unter d i e s e n Verhältnissen des status quo ergibt, dort wird die Frage beiseitegeschoben, wie Bedingungen einer anderen, nämlich: zivilen, sozial-assoziativen Handlungsfähigkeit erst e r a r b e i t e t werden können.
Es herrscht ein Gestus des Sichleichtmachens vor, bei aller Mühe, die jede Politik auch dann noch macht. Wählerstimmen werden mit der Mystifikation gewonnen, es könne alles so bleiben, wie es ist. Der ursprüngliche Radikalismus der Grünen, getrennt vom Wissen um die Verwirklichungsbedingungen ihrer Ziele, Forderungen zu stellen, die zentrale Strukturen der gegebenen Verhältnisse tangieren, sich aber um diesen Gegensatz nicht zu scheren, sondern so zu tun, als seien unliebsame Vorkommnisse gewissermaßen nur vom Gegebenen ‘abzuziehen’, dieser ursprüngliche Radikalismus hatte schon immer etwas Unkritisches. Das gegenwärtige radikale Unkritischwerden der Grünen, die Einbuße ihres früheren radikalen Images, ist nicht damit zu kritisieren, das Grünenprogramm sei gut, es halte sich nur niemand mehr daran. Auch hier wieder Forsetzungsverhalten: Die Erfahrung, die das Bewußtsein an der Grünengeschichte gewinnen könnte, wird verstellt, wo als Erklärung die kontingente Inkonsequenz dann moralisch als korrumpiert erscheinender Subjekte bemüht wird, statt die „Möglichkeit dieser scheinbaren Akkomodation in einer Unzulänglichkeit … des Prinzips“ dieser Politik zu begründen (MEW -Ergbd.1/327).
Die ‘radikalen’ grünen Ziele’ vertragen sich mit dem Urteil, die kritisierten Phänomene (von KKW bis zur Nato) seien als schlechte Verwirklichung einer sonst akzeptablen Sache aufzufassen. Sie, die eigentlich als ‘in Ordnung’ befundende Gesellschaft, entspreche eben wegen diesen Kritikpunkten nicht ihrem Begriff. Nicht den gesellschaftsstrukturellen Notwendigkeiten, die zu den beklagten Sachverhalten führen, gilt die Aufmerksamkeit, sondern der eigentlich unnötigen, also so oder auch anders möglichen Verwaltung und Handhabung der gesellschaftlichen Tatsachen.
Wenn die grünen Forderungen zunächst radikal klangen, aber zugleich die gesellschaftliche Wirklichkeit als eine angesehen wurde, von der man, ohne sie eigentlich beschädigen zu müssen, subtrahieren könne, was einem nicht paßt (vom KKW bis zur NATO), so wird heute die Gegenrechnung aufgemacht und es gilt die (Selbstauf-)Forderung, die eigenen Forderungen ja so zu stellen, daß man als radikaler Anwalt des Bestehenden gerade in dessen Interesse die eigene Orientierung geltend macht, diese dann aber schon so ausfallen muß, daß sie auf die Optimierung des Gegebenen sich zu reimen vermag. So sind es dann auch die grünen Haushaltspolitiker, die sich als bessere, weil grüne, Sparkommissare zu empfehlen wissen und es ist kein Zufall, sondern symbolisch, wenn ausgerechnet in diesem Metier die Grünen auch auf europäischer Ebene ihren ersten relevanten Posten zugetraut bekommen.
Wer den ‘Auswuchs’ vom ‘eigentlich Akzeptablen’ abspaltet, muß gewärtigen, daß die Klage über den Auswuchs marginalisiert wird durch die Maßgabe, das schließlich als wesentlich und allgemeine Akzeptierte nicht infragezustellen. Solange es vom Kapitalismus bis zur Koalition keine Alternative zu geben scheint, relativiert sich an diesen für unumgänglich gehaltenen Allgemeinheiten die Kritik am Besonderen. Schlußendlich kürzt sich die Begründung des eigenen Tuns auf die Logik des ‘kleineren Übels’ zusammen. Indem man selbst an den ‘Schaltstellen’ der Macht sich geschäftig zeigt, sei Schlimmeres zu vermeiden. Irgendein Schaden findet sich immer, um dessen Vermeidung willen akzeptiert wird, was in einer Größenordnung schadet, die jene grundlegende Veränderung nötig macht, welche im Denken des kleineren Übels aber gerade nicht mehr Thema sein kann. Die grundlegenden Ziele werden beibehalten für Sonntagsreden, während am Werktag die Maxime für die politische Arbeit lautet, sie solle im Vergleich zu den anderen Parteien so gleich wie möglich (wg. ‘Machbarkeit’) und so verschieden wie nötig (wg. ‘Profilierung’) ausfallen.
Anmerkungen:
[1] Paul Tiefenbach: Die Grünen - Verstaatlichung einer Partei. Papy Rossa Verlag, Köln 1998, 221 S., 28 DM
[2] Die Kompromisse in der Hauptsache werden bisweilen dadurch legitimiert, daß „man im Kleinen Gutes tut. … Häufig trifft man Abgeordnete, die mit großem Engagement für Palästina, Kurdistan oder auch für Bosnien engagiert sind. Mit ihrem Einfluß können sie oft gewisse Beiträge locker machen, die dem Staatshaushalt nicht weh tun, aber den Betroffenen vor Ort beträchtlich weiterhelfen“ (112f.).
[3] Die analoge Kritik wird auch an der PDS geübt: Es ist auch hier die Rede von einem „Entpolitisierungsprozeß, in dem die Beschäftigung mit Wahlkämpfen den Aufbau einer gesellschaftlichen Opposition ersetzt, Personalpolitik mit verdecktem Visier den offenen Meinungsstreit, das Geschacher um Posten und die eigene ‘Karriere’ den ideellen Einsatz für die Parteiziele“ (Klein 1999/9).
[4] „13% Zustimmung in Umfragen zum Fünf-Mark-Preis sind doch ganz respektabel, oder 33 % für einen nicht unbedingt populären Stopp des Autobahnbaus im Westen“ (Wiedemann 1998/1037).
[5] Vgl. auch zum Gegensatz zwischen dieser Arbeit und parlamentarischer Politik eine frühe Vergegenwärtigung in bezug auf die Grünen: Narr, Vack 1980. Vgl. auch Hirsch 1989.
[6] „Als scheinbar eines Besseren belehrte Alt-Pazifisten machen sie (die grünen Kriegsbefürworter - Verf.) sich zu Kronzeugen für das Scheitern der Zivilgesellschaft. In ihrem programmatischen Zentrum stand immer das Streben nach friedlicher Konfliktbewältigung. Wenn sie heute den Einsatz von militärischer Gewalt als alternativlos erklären und dafür sogar das Völkerrecht brechen, wer sollte dann noch an Alternativen glauben!“ (Ziller 1999/8).
[7] “Die (unerwünschten - Verf.) ökonomischen Folgewirkungen von Verstaatlichungen lukrativer Schlüsselindustrien könnten nur bei gleichzeitiger Verhinderung von Kapitalflucht, Inflation, Massenentlassungen und Investitionsstop in den vorher mit Durchschnittsprofit arbeitenden Branchen konterkariert werden. Dies aber bedeutet eine Außerkraftsetzung des Profitprinzips für ein Vielfaches der unmittelbar von der eigentlich beabsichtigten Verstaatlichung betroffenen Einzelkapitale. … Der Gradualismus verunmöglicht sich also selbst: Auf Grund der mit Sicherheit einzukalkulierenden ökonomischen Reaktionen des Kapitals auf die ersten Schritte müssen die zweiten, dritten etc. Schritte gleichzeitig mit oder nach dem ersten Schritt erfolgen, soll der erste Schritt nicht wirkungslos bleiben. Analoges gilt für die politische Ebene” (Heimann, Zeuner 1974, 142).
[8] „Wer Zeit sparen will, wird mit Zeitverlust bestraft“ (Negt 1995/401).
[9] „Alle Versuche in dieser Richtung vom Wirtschaftsembargo über die UN-Truppen in Bosnien bis zu den OSZE-Beobachtern in Kosovo und den Hilfswerken waren politisch halbherzig, konzeptionell konfus und finanziell lächerlich unterdotiert: Eine Kriegswoche kostet die Steuerzahler der militärischen ‘Wertegemeinschaft’ heute mehr als alle nicht-militärischen Maßnahmen in der vergangenen Dekade zusammen“ (Rudolf Walther, in Freitag 19, 7.5.99, S. 6).
[10] Vgl. das grüne Bundestagswahlsprogramm 1998, S. 135, 148f., in dem die andere Logik einer präventiven und sozialen Bearbeitung von Konflikten profiliert wird.
[11] „Wer sich auf die Friedenslogik einläßt, ist aufgefordert, die aktuelle Gegenwart aus dem verdinglichten Gerüst von Hier und Jetzt zu lösen und als einen Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft aufzunehmen, wodurch sich die Wege der Lösung eines zur Zeit gewaltmäßig verknoteten Problems sofort vervielfältigenund sich alle Freund- Feind- Erklärungen, die unzweideutige moralische Positionen für eine der Kriegsparteien herausfordern, als menschenfeindliche Abstraktionen von in sich äußerst differenzierten Lelbensverhältnissen darstellen“ (Negt 1991).
[12] Vgl. a. Krippendorff 1999. Die politische Verengung auf einen Entweder-oder-Horizont blendet auch die politischen (frühe Anerkennung von Slowenien und Kroatien) und ökonomischen Hintergründe der Verteilungs- und Vertreibungskriege in Jugoslawien aus. Ein Bruchteil des heute für Zerstörung und morgen auch nur für den notdürftigsten Wiederaufbau von Jugoslawien verwandten Geldes hätte in den frühen 90ern den Resonanzboden für nationalistische Ideologien mindern können. Stattdessen hat das IWF-Schockprogramm 1989 für Jugoslawien die Not und die Konkurrenz unter den Landesteilen verschärft.
Literatur:
Bourdieu, Pierre 1991: Die Politische Repräsentation. In: Berliner Journal für Soziologie H.4
Brueggen, Willi 1999: Editorial . Andere Zeiten H. 2/3
Creydt, Meinhard 1999: Das Fernste nah, das Nächste fern? Die gesellschaftliche Raumordnung als Brennpunkt gegenwärtiger Debatten. In: Kommune H. 1 (erschien auch in Weg und Ziel (Wien) 5/98)
Gerhardt, Volker 1990: Politisches Handeln.In: Ders. (Hg): Der Begriff der Politik. Stuttgart
Heimann, Siegfried; Zeuner, Bodo 1974: Eine neue Integrationsideologie. In: Prokla H. 14/15
Hilgers, Micha 1997: Ozonloch und Saumagen. Motivationsfragen der Umweltpolitik. Stuttgart
Hirsch, Joachim 1989: Kapitalismus ohne Alternative ? Hamburg
Jäger, Michael 1984: Die Grünen im Parlament und das Problem der falschen Fronten. In: Kommune H.12/84
Jäger, Michael 1999: Die Grünen in der Koalition. In: Andere Zeiten H.1/99
Klein, Angela 1999: Auf dem Weg zur Regierungsfähigkeit - Die PDS nach den Bundestagswahlen. In: Sozialistische Zeitung Nr. 6/7 1999
Kraushaar, Wolfgang 1988: Realpolitik als Ideologie. Von L. A. Rochau zu J. Fischer. In 1999, Zs. f. Sozialgeschichte , 3. Jg., H. 3
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Online auch unter: http://www.glasnost.de/autoren/creydt/tiefenb.html