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Meinhard Creydt (Oktober 2008)

Sozialismuskonzepte stehen und fallen mit ihrer Antwort auf die Frage nach realen Bewegungen, sozialen Experimenten und Erfahrungen, die zeigen, wie zentrale Strukturen des Kapitalismus nicht nur angreifbar, sondern überwindbar sind. Sowohl die Analyse der kapitalistischen Vergesellschaftung als auch Konzeptionen einer Gesellschaftsform, die als deren Überwindung wird gelten können, entfalten sich u. a. in der h o r i z o n t a l e n Dimension der Beziehungen zwischen den Akteuren in Produktion, Organisation, Konsum und den von diesen drei Momenten indirekt Betroffenen, in der d y n a m i s i e r e n d e n Dimension der Konkurrenz und des Wachstums als Antriebs- und Sanktionsmechanismen und in der v e r t i k a l e n Dimension des Verhältnis von objektiver und subjektiver Kultur (Simmel).1

Skizziert werden im folgenden
a) sich in sozialen Bewegungen findende Ansätze zur Überwindung der „Gleichgültigkeit der Konsumenten und Produzenten zueinander“ (GR 76f.),
b) angesichts des Marktversagens entstehende Ansätze zur Überwindung der in die Marktsynthesis eingebauten Abstraktionen in Form von neuen Kennziffern, Lenkungs- und Leitkriterien,
c) bereits in der gesellschaftlichen Realität angelegte institutionelle Vermittlungsformen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Bevölkerung, die die Marktsynthesis übergreifen,
d) Ansätze zur Überwindung der für den Kapitalismus zentralen Zugzwänge der Konkurrenz und des Wachstums,
e) Diskurse, die die mit der kapitalistischen Ökonomie verbundenen Verschwendungen kritisieren und damit den Blick eröffnen für die unter anderen gesellschaftlichen Strukturen frei werdenden Ressourcen,
f) Ansätze dafür, die Hierarchien als Sanktions- und Anreizmechanismen für gesellschaftliche Produktion und Organisation unnötig werden zu lassen,
g) Ansätze dafür, das Übergewicht objektiver über subjektive Kultur in der Technologie überwinden zu können.

Die hier vorgestellte Suchperspektive unterscheidet sich von
- sozialdemokratischen Utopien der Einhegung des Kapitalismus durch den Staat,
- realsozialistischen Phantasien einer staatlichen Steuerung aller gesellschaftlichen Vorgänge, die mit einer Inversion der Imperative des Leitungszentrums durch die vielen kleinen Zentren einhergehen,
- dazu komplementären Selbstverwaltungsutopien und einer basisdemokratischen Ignoranz gegenüber höherstufigen Strukturen und Institutionen gesellschaftlicher Synthesis und Selbstreflexion,
- präzeptoralen2 Regimen (Maoismus, Guevarismus),
- technokratischen Vorstellungen eines Computersozialismus à la Dieterich 2006 oder Cockshott, Cottrell 2006)3,
- marktsozialistischen Modellen4.

Im Unterschied zu diesen Modellen geht es im folgenden um jene Verkehrsformen und Vermittlungen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Bevölkerung, die die Verständigung und Reflexion über die Arbeitsresultate und -voraussetzungen, das Arbeiten, den Konsum, die Gegenstandswelt, die Sozialbeziehungen und gesellschaftlichen Strukturen ermöglichen und befördern – im Unterschied zu dies vereitelnden wertfömigen, administrativ-rechtlichen oder staatlich-politischen Filtrierungen.

Viele Sozialismuskonzepte konzentrieren sich auf eine von ihnen als zentral erachtete Problematik und beanspruchen in ihrer Problemanalyse, andere Probleme als untergeordnet oder als Nebeneffekt der Überwindung des identifizierten ‚Hauptproblems’ von allein entfallend darzustellen. Demgegenüber widme ich mich einer Konstellation mehrerer, aufeinander nicht zurückführbarer Strukturen im modernen Kapitalismus und entsprechend multizentrisch zu verortende Vorschläge zu ihrer Aufhebung.

a) Ein erstes zentrales Strukturmoment des Kapitalismus bildet die „Gleichgültigkeit der Konsumierenden und Produzierenden zueinander“ (GR 78f.). Demgegenüber erwachsen bereits im Kapitalismus Gegenkräfte. Der Industriesoziologe Baethge sieht einen „Kristallisationspunkt auch sozialer Identität und politischer Organisierung“ in der „moralischen Qualität der Arbeit – das meint die Berücksichtigung von Sinnbezügen, das Interesse am Erhalt der inneren und äußeren Natur und die Herstellung diskursiver Kommunikation in der Arbeit. … Keine Belege, wohl aber erste Indizien, dass es dafür subjektive Voraussetzungen gibt, sind die Befunde über die beträchtliche ökologische Sensibilität von Arbeitern und von hochqualifizierten Industrieangestellten … oder der Hinweis aus der Untersuchung … über die Entstehung eines postkonventionellen Moralbewusstseins bei Facharbeitern. Gewiss ist dies noch eine arg schmale empirische Basis, aber: was das Morgen ankündigt, kann heute ja kaum schon repräsentativ sein“ (Baethge 1994, 254).

Die Aufmerksamkeit der Arbeitenden über die Bewältigung der Arbeit hinaus für den Gehalt des Arbeitens und der Arbeitsresultate im sozialen In-der-Welt-Sein lässt sich auch in den französischen ‚Sud’-Gewerkschaften finden. ‚Sud’ ist die Abkürzung für solidaire(s), unitaire(s), démocratique(s) – solidarisch, einheitlich, demokratisch. Es handelt sich bei diesen Gewerkschaften um „Interessenverbände von Lohnabhängigen, die sich nicht auf ihre Rolle als Lohnabhängige reduzieren (lassen) oder zurückziehen, sondern die sich als gesellschaftliche Produzenten begreifen, als Produzenten, die sich dem gesellschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit, den Bedürfnissen ihrer Konsumenten oder Nutzer verpflichtet fühlen. Nicht im Sinne einer ‚Kundenorientierung’, die nur an zahlungsfähigen Käufern interessiert ist, sondern im Sinne des Nutzens für eine größtmögliche Zahl von Menschen, gerade auch der ärmsten und bedürftigsten, im Interesse ihrer individuellen Entwicklung und sozialen Gleichachtung“ (Imhof 2002). Im Unterschied zu traditionellen Gewerkschaften konzentrieren sich die Sud-Gewerkschaften weder allein auf den Preis der Arbeitskraft und die Bedingungen ihrer Nutzung noch überlassen sie das Verhältnis der Arbeiten zu den Kunden den Unternehmen. „Der traditionelle Syndikalismus betrachtet das Kapitalverhältnis als seine Existenzbedingung und die Gesellschaft als etwas ihm Äußerliches, als abstrakt-übergeordneten Zusammenhang, in dem man halt lebt. Er stellt Ansprüche an die Gesellschaft, repräsentiert durch den Staat, aber er denkt nicht daran, im Namen der Gesellschaft Ansprüche an die eigene Arbeit zu stellen. Der Typ Syndikalismus, den die Sud-Gewerkschaften repräsentieren, betrachtet umgekehrt die Gesellschaft als praktischen Zusammenhang der Menschen, in dem die Lohnabhängigen nicht nur Objekte, sondern zugleich tätige Subjekte, gesellschaftliche Produzenten sind und in dieser Eigenschaft das Kapitalverhältnis und die es schützende Politik als Hindernis, als ‚Ballast’ (Gramsci) erleben“ (Imhof 2002)5. Lesenswert ist die emphatische Charakteristik des emanzipatorischen Gehalts der Sud-Gewerkschaften durch Werner Imhof, der früher Betriebsrat bei Mannesmann war, und seine Überlegungen zu den Zwiespältigkeiten, denen auch die Sud-Gewerkschaften (noch ?) unterliegen (Imhof 2005).

Auch aus anderen Erdteilen und früheren Zeiten sind erstaunliche Ausweitungen des gewerkschaftlichen Mandats zu berichten: Im australischen Sidney „verbietet die Bauarbeitergewerkschaft ihren Mitgliedern, Arbeiten auszuführen, die die Zerstörung von erhaltenswerten Grünflächen und Bauwerken zum Ziel haben. So wurde bspw. ‚The Rocks’, ein historisches Wohnviertel im Hafen von Sidney, nicht nur gerettet, sondern aufgrund der Gewerkschaftsmaßnahmen auch ausgebaut. … Den Vorwurf, die Gewerkschaft würde Arbeitslosigkeit fördern, indem sie Bauarbeiten verhindert, lässt (Gewerkschaftsführer) Mundey nicht gelten. Für ihn geht es darum, dass alle Gewerkschaften sich auch darum kümmern, dass es Arbeit gibt, die Menschen nicht ‚seelisch zermürbt’ und ‚wertvolle Rohstoffe vernichtet’“ (Frankfurter Rundschau 2.12.76), wie z. B. Naherholungsgebiete.

Der englische Betrieb ‚Lucas Aerospace’ Mitte der 70er Jahre stellt ein zentrales Beispiel für die Mobilisierung der in der Arbeit aufgebauten Fähigkeiten und Sinne gegen die Kapitalform dar. Hier zeigt sich, wie Techniker und Ingenieure aus ihren Kompetenzen und ihrem Wissen Produkte entwickeln, die für die normale Bevölkerung nützlicher sind als die bislang im Betrieb produzierten Rüstungstechnologien, und es zeigen sich Ansätze einer ganz praktischen Arbeit an einer Umgestaltung von Technologie.6

Ich habe an anderer Stelle die kritische und selbstkritische Wendung von Wissen und Erfahrungen der im Bildungs-, Gesundheits- und Wissenschaftsbereich Tätigen gegen die Zwecke, Zugzwänge und Formen skizziert, denen das Unterrichten, die ärztliche Tätigkeit und die Wissenschaften in kapitalistischen Gesellschaften unterliegen (vgl. Creydt 2008).

In einer nachkapitalistischen Gesellschaft geht es im Verhältnis von Produzenten und Konsumenten um Gegenspieler, die einander im guten Sinne fordern, also um Begegnungen, in denen
- die Konsumenten an den Fähigkeiten und Kompetenzen der Produzenten zur Beurteilung der Produkte partizipieren,
- die Konsumenten aus ihrer größeren Vertrautheit mit den lebensweltlichen Effekten der Produkte den Produzenten etwas zu sagen haben, das deren Horizont übersteigt,
- die Konsumenten Produzenten brauchen, die ihre Kompetenzen und Informationsvorsprünge nicht zulasten (z. B. zur Täuschung) der Konsumenten ausspielen,
- die Produzenten Konsumenten brauchen, die sie nicht auf die Bedienung eines schlechten Geschmacks festlegen.
Im Unterschied zu marktförmiger und etatistischer Synthesis sowie dem dazu komplementären Ausfallbürgen ‚Dritter Sektor’ geht es um Sozialität als Bedürfnis nach Mitmenschen, die das Gegen der Vergegenständlichung im sozialen Verhältnis als fruchtbare Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Perspektiven praktizieren.

b) Die ausufernde Literatur über das ‚Marktversagen’ zeigt, dass es nicht nur als Vorzug, sondern als Mangel des Marktes gelten kann, wie das Geld „die unüberschaubare Fülle der Sachinformationen über Marktvorgänge und Güterbewegungen auf einen leicht handhabbaren quantitativen Informationsinhalt (bündelt), auf ein und dasselbe Wertmaß, das sich im Preis ausdrückt und in Zahlungen systematisieren lässt“ (Kraemer 1997, 287). Marktpreise abstrahieren u. a.
– von Bedürfnissen, die nicht als zahlungsfähige Nachfrage auftreten,
– von der Eingebundenheit der Stoffe der isoliert kauf- und verkaufbaren sowie exklusiv vernutzbaren Waren in die Umwelt7 und von den Externalisierungen, die den Preis der Ware verbilligen;
– von Gütern, deren Preisbildung Schwierigkeiten macht – Umweltgüter8 bspw. oder andere Qualitäten, die sich ebenfalls nicht in Preissignale umsetzen lassen;
– von zukünftigen Knappheiten9 und von unverbuchten Kosten (Abfallmenge, Flächenverbrauch, Minderung des Regenerationsvermögens eines Ökosystems usw.).

Zur Evaluierung von Produkten, Dienstleistungen und des Reichtums gehört es, die unterkomplexen Preissignale durch qualitativere Kennziffern zu überwinden. Ökologisch einschlägig ist hier bspw. das MIPS, „das Maß für Umweltbelastungsintensität die das ganze Produktleben umspannende Material-Intensität Pro Serviceeinheit, also der Materialverbrauch von der Wiege bis zur Bahre pro Einheit Dienstleistung oder Funktion … “ (Schmidt-Bleek 1994, 108). Zu einer Evaluation einzelner gesellschaftlicher Organisationen oder Teilbereiche entstanden bereits in den letzten Jahren mannigfaltige Auskunftsmöglichkeiten. Bspw. gibt es einen Gesundheitskonsumenten-Index, in dem beruhend auf 27 Indikatoren national verschiedene Gesundheitssysteme bewertet werden. Zu den Indikatoren zählen z. B „die Wartezeiten vor einer Behandlung, der Zugang zu Arzneimitteln, die ‚Großzügigkeit’ bei den Leistungen oder das Recht auf eine freie Arztwahl“ (FAZ 9.10.97, S. 23 – vgl. auch www.healthpowerhouse.com).10 Bereits heute gibt es komplexe Indikatoren, die im Unterschied zum Bruttosozialprodukt, zu Gewinnhöhe, Effizienz u. a. lebensweltliche Gesamtqualitäten betreffen. Im Familienatlas hat das Sozialforschungsinstitut Prognos 439 Landkreise und kreisfreie Städte auf ihre Kinderfreundlichkeit untersucht. „Verwendet wurden z. B. die Betreuungsquote für unter Dreijährige, die Baulandpreise, die Zahl der verunglückten Kinder im Straßenverkehr, die Kriminalitätsrate, die Kinderarztdichte, die durchschnittlichen Klassengrößen und die Zahl der Musikschüler“ (Berliner Zeitung 5.10.07, S. 6). So relevant quantitative Indizes dort sind, wo sie hingehören, so problematisch werden sie andernorts. Quantitative Indizes wie der Human Development Index überschreiten betriebswirtschaftlich-ökonomische Indizes, stoßen aber auf die Probleme der Quantifizierung von Qualitäten, der schwierigen Voraussage und Diagnose der Emergenz verschiedener einzelner Effekte sowie auf die Schranken gesellschaftlichen Wissens.

Insgesamt geht es darum, Leitungs- und Lenkungskriterien zu entwickeln, die die Voraussetzungen und Effekte des Arbeitens, der Arbeitsresultate, der Sozialbeziehungen in ökologischer, gesundheitlicher, in die Bildung u. v. a. m. betreffenden Hinsichten im umfassenden Sinne vergegenwärtigen. Es kann auf dieser Informations- und Bewertungsbasis ein Ranking der verschiedenen wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Aktivitäten erstellt werden, wie es in Ansätzen im „Corporate Responsibility-Rating“ für ethische Anleger bereits geschieht (vgl. Hoffmann 2003, 288f.).

c) Ein Essential kapitalistischer Markwirtschaft bildet die Vorstellung vom Markt als anarchische Produktion von Waren für unbekannten Bedarf. Diese Vorstellung hat bereits heute sowohl mit der gewachsenen Wirklichkeit der Verbundwirtschaft als auch der Interaktionen zwischen Anbietern und Nachfragern nur eingeschränkt etwas zu tun. „Die Produktion der meisten Produktionsmittel, aber auch eines großen Teils der Mittel für den individuellen und erst recht für den öffentlichen Konsum ist Produktion für einen quantitativ und qualitativ genau spezifizierten Bedarf, die vorherige Abstimmung und Vereinbarungen zwischen Auftraggebern und -nehmern voraussetzt und laufende Qualitätskontrollen erfordert; Formen der Kooperation also, die die private Form des Produktionsprozesses teilweise aufheben. Darüber hinaus sind in vielen Bereichen der Industrie zwischen- und überbetriebliche Kooperationen gang und gäbe, die bis zur gemeinsamen Produktentwicklung und Produktionsplanung reichen können; Beispiele sind die Hersteller-Zulieferer-Beziehungen in der Autoindustrie, Cooperative commerce oder auch jede Großbaustelle“ (Imhof 2004, 64).11

Das Internet verändert die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilarbeiten und die Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten. Bei Luxusprodukten wird bereits deutlich, dass sich beide Seiten nicht erst auf dem Markt treffen: „Die Massenproduktion für anonyme Käufergruppen wird so zu einer für den einzelnen Kunden maßgeschneiderten Massenfertigung. Möglich wird dies durch den Einsatz moderner Informationstechnologien in Vertrieb, Entwicklung und Herstellung. Der Kunde … gestaltet etwa per Internet sein zukünftiges Auto: Verschiedene Modellvarianten und individuelle Ausführungen kann er ‚durchklicken’, sich das selbstgestaltete Auto dreidimensional anschauen und per Internet bestellen. … Individuell konfigurierte Waschmaschinen sowie maßgenaue Armlängen maschinell hergestellter Strickpullover sind weitere Beispiele“ (FAZ 26.5.98).

Die Wirklichkeit der ökonomischen Beziehungen ist mannigfach über die Vorstellung vom Markt hinausgewachsen, derzufolge der Markt „aufgrund seiner geringen Interaktionstiefe mehr oder weniger flüchtige Beziehungen zwischen monadischen Marktakteuren (stiftet)“ (Kraemer 1987, 285).

Die dem Kapitalismus immanenten Trennungen12 und Abstraktionen zu überwinden heißt die Produkte und Tätigkeitsresultate im Unterschied zur Warenwirtschaft theoretisch und praktisch als Kuppelprodukte und Mehrzweckgebilde zu begreifen und zu gestalten, die nicht nur einen isolierten Nutzen bedienen, sondern im in sie eingehenden Arbeiten und Tätigsein, in der mit ihnen ebenso produzierten wie vorausgesetzten gegenständlichen Umwelt und in den sozialen Verhältnissen die Entwicklung menschlicher Sinne, Fähigkeiten und Sozialbeziehungen– also Praxis im emphatischen Begriff – konstituieren und genau daraus ihr Beurteilungskriterium gewinnen.

Insgesamt geht es darum, den Markt mit qualitativen Maßgaben im Sinne von Praxis derart zu durchdringen und zu überschreiben, dass die negativen Effekte des Marktes eingehegt werden. Der Markt ist nicht durch eine Zentralplanwirtschaft zu ersetzen, sondern zu infiltrieren durch die dem Horizont von Praxis entsprechenden Werte, die die Qualität des Arbeitens, des Bezugs von Menschen auf andere Menschen usw. betreffen.

Eine institutionelle Konkretisierung der Vermittlung zwischen den verschiednen besonderen Belangen haben Michael Jäger und Willy Brüggen vorgeschlagen. In ‚Marktwahlen’ stellen gesellschaftliche Verbände (vom ADAC über den BUND bis zu Greenpeace etwa), die bereits heute für verschiedene Konzepte der Proportionierung von Produktionen und Konsumtionen stehen, ihr jeweiliges Konzept vor. Es geht um die Befreiung der gesellschaftliche Proportionierung der Arbeiten von der Ökonomie des abstrakten Reichtums, in der sich die Güterpräferenzen vom (Mehr-) Wert her entscheiden und sich dann Relationen einspielen (bspw. die Verdrängung der Bahn durch das Auto), die zwar politisch flankiert erscheinen, nicht aber unter Wissen und Gewissheit der Folgen und Implikationen von der Bevölkerung erwogen und entschieden werden. Zu arbeiten ist an der Schließung der „Kommunikationslücke“ zwischen Anbietern und Verbrauchern „durch Bündelung und Politisierung der Verbraucherinteressen. … Wir schlagen vor, diesen Institutionalisierungsprozess eines neuen ‚Verbrauchersouveräns’ durch gesetzlich geregelte Wahlprozeduren für einen ‚Verbraucherrat’ zu unterstützen. Er könnte einen Teil der Lenkungsbefugnisses übernehmen, die bisher über das Depotstimmrecht von den Großbanken wahrgenommen wurden und die Aufgabe bekommen, allgemeine Konversionsszenarien zu entwickeln“ (Brüggen 1996, 9).

Ein zentraler Mangel des Marktes für Konsumprodukte besteht darin, dass „die atomisierten Entscheidungen des Marktes eine Wahl zwischen alternativen, stückweisen, marginalen Anpassungen, aber nicht zwischen alternativen Gesamtzuständen (ermöglichen): Wahlmöglichkeit im kleinen garantiert keine Wahlmöglichkeit im großen” (Elson 1990, 75). Der Marktmechanismus liefert keine Informationen über die Absichten, Wünsche und Werte, sondern nur „Informationen über das Ergebnis von Entscheidungen. … Auf Märkten können Entscheidungsträger keine direkten Verbindung mit den Wünschen, Hoffnungen und Werten anderer herstellen” (Ebd., 71). Es fehlt die „Gelegenheit zu kollektiver gesellschaftlicher Reflexion und Diskussion … Marktprozeduren bieten keine Kanäle für Entscheidungsträger, ihre Wahl vor der Entscheidung noch einmal zu überdenken, noch sich gemeinsam mit anderen über Veränderungen der Ziele zu beraten” (ebd.). Institutionell konkretisieren öffentlichen Entwicklungswerkstätten für Produktentwicklung und -innovation die notwendige gegenseitige Beratung, Einflussnahme und Rückmeldung zwischen Ideenträgern, Experten, Nutzern, Drittbetroffenen und Produzenten.13 In eine ähnliche Richtung weisen Diane Elsons Vorschläge zur Sozialisierung des Informationsflusses und zur Schaffung eines Verbraucherverbands als Netz-Koordinator zwischen Haushalten und Unternehmen. Hilary Wainwright arbeitet die zentrale Relevanz des sozialen Wissens heraus und tritt für dessen Verallgemeinerung im Unterschied zu seiner einseitigen Aneignung ein. Die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Wissen machen ein Problem auch der Hierarchien in Betrieben aus. Netzwerke sind demgegenüber demokratisch zu organisieren. Wainwright sieht dafür Ansätze beispielsweise in der internationalen Kooperation von Gewerkschaften und NGOs in bezug auf Arbeitsbedingungen, Mindestlöhne, Umweltschutz usw. Aber auch lokale regionalökonomische Netzwerke können als Vorformen des Anzustrebenden gelten. Wainwright setzt Netzwerke sozialer Bewegungen und der Gewerkschaften gegen Unternehmensnetzwerke ab und schreibt diesen emanzipatorischen Netzwerken eine gelingende Arbeitsteilung und zugleich ein Minimum an Hierarchie zu (Wainwright 1994, 169). Die Öffnung und Verallgemeinerung ökonomischen Wissens seien „eine Basis für kooperative ökonomische Koordination, die ebensowenig unrealistische Vorannahmen und Voraussetzungen macht in Bezug auf die Möglichkeit totaler Transparenz wie in Bezug auf die permanente Partizipation des Volkes über die Institutionen des Alltagslebens hinaus” (Ebd., 273, vgl. Elson 1990, 104). „Transparenz könnte eher durch die Zugängigkeit als durch die permanente Möglichkeit eines kompletten Bildes erreicht werden. Letztere stellt sich in der Realität als Unmöglichkeit oder als autoritäre Phantasie heraus” (Wainwright 1994, 183). Wainwright (148) sieht die Netzwerke als Chance, der historisch sattsam bekannten Unterminierung ökonomischer Selbstverwaltung durch Marktprozesse und durch die (auch bei Selbstverwaltung nicht aufgehobenen) Partialinteressen der einzelnen Akteure und Unternehmen anders zu begegnen als allein durch den Staat, der gerade über die dezentral verankerten Wissensbestände nicht verfügt. Sie mit anderen Wissensbereichen zu vernetzen und diesen Prozess demokratisch zu gestalten, das ist Wainwrights Projekt. Es geht ihr darum, das notwendige Wissen entlang der ganzen Kette beispielsweise von Produktion, Distribution und Konsumtion zusammenzubringen und für die Gestaltung der Güter und Dienstleistungen sowie ihrer Erarbeitung maßgebend werden zu lassen. Ziel ist es, die Interdependenzen von Konsum, Produktion und den Bedingungen des täglichen Lebens bewusst zu repräsentieren und zu gestalten.

Not-wendig ist „eine Art gesellschaftlicher Patronage des Marktpublikums über das Unternehmen“ (Buß 1983, 79) durch „kommunikative Marktöffentlichkeit“. Sie verwirklicht „öffentliche Belange“ „als eine integrierende Komponente unternehmerischer Entscheidungen“ (Ebd. 91). Bürgerinitiativen, Organe und Stiftungen haben „das gemeinsame Ziel, Daten und Informationen über Art und Ausmaß der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen zu sammeln und öffentlich zu verbreiten“ (ebd. 103). Die Marktöffentlichkeit avanciert zu einer „Kontrollinstanz … Die Tatsache der Öffentlichkeit wird präventiv in dem Sinne, dass sich die Unternehmen unter der steten, interessierten Beobachtung des Marktpublikums wissen“ (ebd. 102). Umwelt- und Sozialbilanzen bilden dafür die einschlägigen Auskunftsmittel. Es kommt zu einer „prinzipiellen Erweiterung unternehmerischer Leitlinien“ und einer „öffentlichen Revidierung traditioneller Autonomieansprüche“ der Unternehmen (ebd. 81). Anzustreben ist, dass sich „langfristig die Unternehmenssubstanz und der Unternehmenserfolg nicht nur aus der Struktur, der Organisation und dem Kapital eines Unternehmens herleitet, sondern auch aus dem Maß an verbindlicher Geltung außerökonomischer Zielkataloge in der unternehmerischen Alltagspraxis“ (Ebd. 85).

All dies ist nicht einfach nur eine ausgedachte Forderung, sondern war – bei allen bislang übermächtigen Gegentendenzen – schon ansatzweise Realität in den „Gruppen, die die Investitions- und Technologiestrategien einzelner Konzerne oder Branchen untersuchen und der öffentlichen Kritik zugänglich machen“. Zu nennen sind hier „die Arbeit kritischer Technologieexperten, wie sie sich in der letzten Zeit v. a. im Bereich der Atom-, Kommunikations- und Biotechnik entwickelt hat, stärkere Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen, organisierter Konsumboykott, die publizitätswirksame Arbeit alternativer Wirtschaftssachverständiger, Untersuchungsausschüsse und Tribunale, unabhängige Forschungsinstitute, kritische Medien und Informationsnetze. Natürlich handelt es sich dabei erst um Anfänge und die Erfolg sind insgesamt eher noch bescheiden…Wenn man die Entwicklung der Kernenergiepolitik in der Bundesrepublik mit Frankreich vergleicht, dann wird der enorme Einfluss derartiger Initiativen selbst in den ‚harten’ Bereichen der kapitalistischen Ökonomie deutlich…“ (Hirsch 1990,186f.).14 Ein aktuelles Beispiel bildet die Organisation ‚foodwatch’ (vgl. Bode 2007). Sie kämpft gegen den Wirrwarr der den Lebensmittelbereich betreffenden Gesetze, gegen die weit hinter der Gesetzeslage zurückbleibende behördliche Verordnungspraxis, gegen die äußerst industriefreundliche Zurückhaltung in der Information, welche Produkte welche Schadstoffe erhalten, gegen die gut ausgestatteten Lobbies der Lebensmittelbranche, gegen die Nachrangigkeit von Verbraucherpolitik im ‚Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher’, für Kostenehrlichkeit im Lebensmittelbereich.

Im Unterschied zu Annahmen funktionaler Differenzierung büßt die hier antizipierte Ökonomie ihres „rein ökonomischen Binnenmilieus“, ihres „Exklusivschutzes“ und der ökonomischen „Trennfunktionen zu anderen gesellschaftlichen Teilbereichen“ ein (Buß 1983, 59) zugunsten „gegenläufiger Prozesse der Reintegration, der strukturellen Assimilation, der Rollenverflechtung und der Funktionsfusionierung“ (Ebd. 49). Außerökonomische Themen würden in das wirtschaftliche Feld mit einbezogen, es komme nicht nur zu „legitimen Übergriffen“ (Ebd. 50), sondern diese seien regelrecht erwünscht.

d) Weitere Essentials des Kapitalismus bilden die Konkurrenz und das Wachstum.
Der Wertschätzung der Konkurrenz als Mittel zur Bewerkstelligung wirtschaftlicher Effizienz steht der Umfang der bereits unter widrigen (kapitalistischen) Bedingungen existierenden Verbundwirtschaft entgegen. Sie koppelt Wirtschaftsgebiete aus Gründen „rein technischer Ökonomik“ miteinander und betreibt sie „planwirtschaftlich: Hochwasserschutz erzwingt eine Talsperre, bei der ein Kraftwerk und Trinkwasserversorgung anfällt, zudem lässt sich gleichzeitig für Schifahrtszwecke der Wasserstand regulieren… eine nah gelegene Höhe gibt Gelegenheit zu einem hydroelektrischen Speicherwerk, dem der Stausee als unteres Ausgleichbecken dient, ferner dient der Stausee als Erholungsgebiet (Sozialanlage) der Stadtbevölkerung…“ (Hardensett 1932, 113f.). Mit der Verbundwirtschaft entsteht im Unterschied zur kapitalistischen Konkurrenz die Auffassung von Wirtschaft als Zusammenarbeit, als „Miteinander-Arbeiten und nicht Gegeneinander-Arbeiten … Wirtschaft ist für den technischen Menschen … eine vorsorglich planende Veranstaltung und nicht Kampf um Sein und Kampf um den Gewinn. Sie verliert damit ihren abenteuerlichen, spekulativen und schicksalhaften Charakter, sie verliert ihre Freiheitsansprüche, wird gebunden, ihr Expansionswille gehemmt und damit ihr Interesse auf den Binnenmarkt gerichtet“ (Ebd., 116).

Die für den Kapitalismus zentralen Imperative des Wachstums gehen mit einer umsatzsteigernden Verschleißbeschleunigung und einer ressourcenverschwendenden und aufmerksamkeitsabsorbierenden Produktdiversifizierung einher. Dies wird in der Nachhaltigkeitsdiskussion materialiter infragegestellt. Der Imperativ der Dauerhaftigkeit macht Konsum, Arbeit und die von beiden indirekt betroffenen dritten Belange aufeinander durchsichtig und vergegenwärtigt die enge Verknüpfung dieser drei Sphären bereits ökologisch. Plädiert wird (bspw. bei Stahel 1993, Bierter 2000) für
– die Ablösung der kurzfristigen Optimierung von Produktion und Verkauf durch Nutzungsoptimierung über längere Zeiträume.
– die Erweiterung der ökonomischen Zieldefinition durch den Faktor ‚Zeit’. Es geht nicht mehr nur darum, einen möglichst hohen Nutzen mit möglichst wenig Arbeit, Rohstoff und Energie zu schaffen, sondern darum, einen möglichst hohen Nutzen während möglichst langer Zeit zu schaffen.
– Dementsprechend lautet das Ziel: die Reduzierung der Material- und Energieintensität von Gütern und Dienstleistungen, die Reduzierung human- und ökotoxischer Stoffe, die Verlängerung der Lebensdauer der Produkte, die Zunahme der Nutzungsintensität (Bierter 2000, 2f.).
– ein ganzheitliches Produktmanagement vom Design bis zur Entsorgung (Stahel 1993, 105f.).
– die Erhebung der Instandhaltungsqualität zu einem mit der Produktionsqualität gleichrangigen Kriterium.
– die Herstellerhaftung und die Forderung an die Konstrukteure und Produzenten, „Produkte mit hoher Zuverlässigkeit, Fehlertoleranz und Schutz gegen Missbrauch zu entwerfen“ (Stahel 1993, 109).
– die Kontrolle der Nachhaltigkeit des Konsums durch Produktlinienanalysen und Ökobilanzen, die den Blick vom Produkt ausweiten zu den ihm vor- und nachgelagerten Phasen.15

e) Ein weiteres für alle Diskussionen über gesellschaftliche Veränderung zentrales Charakteristikum des Kapitalismus bildet mannigfache Verschwendung. Die Kritik an ihr ist Inhalt zahlreicher in der Gesellschaft existierender getrennt voneinander verlaufender Diskurse. Ein jährlich erscheinendes Standardwerk („Bittere Pillen“) listet auf, wie groß der Anteil der wenig zweckmäßigen oder gar abzuratenden Arzneimittel auf dem deutschen Markt ausfällt. Eine zweite Variante der Verschwendung besteht in der künstlichen Verkürzung der Lebensdauer von Gebrauchsgütern durch eingebauten vorzeitigen Verschleiß. Der ‚Pfusch am Bau’ bildet ein oft diskutiertes Phänomen. Eine dritte Quelle von massiver Verschwendung fällt mit der Produktion von Gütern (z. B. von Autos) an, insofern deren Kauf infolge herrschender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nahe liegt, obwohl gesamtgesellschaftlich andere, kostengünstigere Systeme zur Gewährleistung des einschlägigen Erfordernis (hier: der Mobilität) möglich wären. Gesellschaftlich gründet eine gewaltige Verschwendung viertens in technokratischer Problembearbeitung. Sie kultiviert das Spezialistentum und ignoriert die Vielschichtigkeit und Komplexität von Problemen, frönt der Symptombehandlung, vernachlässigt die Ursachen von Problemen und blendet die strukturpolitisch vorsorgende Komponente zugunsten nachträglicher Maßnahmen aus. Der Medizinsoziologe Prof. Hans-Ulrich Deppe spricht davon, dass „sich rund 25-30% der heutigen Gesundheitsausgaben in Deutschland durch langfristige Prävention und Gesundheitsförderung vermeiden lassen“ (Interview in: Neues Deutschland, 7.5. 2002). Eine fünfte Variante der Verschwendung resultiert aus Arbeiten bspw. in der Werbebranche, die allein der Konkurrenz geschuldet sind und dem in ihr notwendigen Bemühen, Käufer vom Angebot des Konkurrenten auf das eigene umzulenken. Auch in der Versicherungsbranche wird als überflüssig zu bezeichnende Arbeit verausgabt, insofern sie sich durch die Konkurrenz i n der Branche begründet und deren Leistung nicht erhöht, sondern den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Unternehmen. Es kommt weiterhin zur Diversifizierung produktiver Kräfte in „Scheininnovationen und defensiven Produktveränderungen“. Ihnen rechnet Rammert (1983, 160 f.) „85 – 90 % der Projekte in den industriellen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen“ zu. Eine sechste Quelle von Verschwendung steckt in den (in einer Gallup-Studie 2005 vielleicht etwas dramatisierend) mit 250 Mrd. Euro pro Jahr angegebenen Kosten durch innere Kündigung (Petersen 2005).

Diese verschiedenen Diskurse zu mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise verbundenen Verschwendungen lassen sich zusammenzuführen, um das ganze Ausmaß zu vergegenwärtigen. Der Protest gegen die Kürzung sozialer Leistungen ist solange bereits verloren, wie die Frage nach Veränderung allein auf die Besteuerung und Umverteilung, nicht aber auf die ihr zugrunde liegende Wirtschaft bezogen wird. Erst wer sich von der unrealistischen Vorstellung verabschiedet, die herrschende Wirtschaft sei eine insgesamt effiziente und effektive Angelegenheit, kann fragen, wie wir uns viele Arbeiten, Produkte und Dienste sparen können, um Reichtum aus dieser Fehlverwendung freizubekommen für Zwecke, die heute eher vernachlässigt werden. Und erst wer sich klarmacht, wie viel Reichtum in der gegenwärtigen Ökonomie falsch gebunden existiert, wird die weit verbreiteten Argumente für „das Sparen“ durchkreuzen können.

Wer grundlegend die die Menschen bedrückenden Probleme überwinden will und dafür die kapitalistischen Strukturen infragestellt, wird a u c h mit Verlusten in puncto Effizienz und Effektivität und d.h. einem erhöhen Aufwand von finanziellen Ressourcen rechnen. Den Abbau der subalternen Arbeit zu einem wesentlichen Arbeitsgegenstand der Gesellschaft zu erheben16, das heißt, die unmittelbare, unreflektierte Logik der Steigerung von Effizienz und Effektivität und die Behandlung der Arbeit als Faktor zur Optimierung von Organisationen einzustellen in ein umfassenderes Ziel. Es entsteht aus der Vergegenwärtigung der Arbeit als Moment von emphatisch verstandener Praxis. Die Affirmation von Effizienz bzw. Effektivität ist infragezustellen, insofern sie die ‚Kosten’ der Effizienz und der zugehörigen Sozialformen ausblendet. Diese Kosten betreffen die Fähigkeiten und Sinne der Individuen und deren In-der-Welt-Sein. Die Vergesellschaftung von unten geht im Vergleich zur bürokratischen Verwaltung und politischen Führung der Massen mit höheren Kosten (für Auseinandersetzung, Beratung, Erwägung) einher. Es wird im Gegenzug mit der Kritik der dem Kapitalismus eigenen Verschwendung möglich zu zeigen, dass die skizzierten notwendigen Veränderungen nicht nur höhere Kosten, sondern auch gewaltige Einsparpotentialen hervorbringen.

f) Ein weiteres zentrales Strukturmoment der kapitalistischen Ökonomie und moderner Organisationen bilden die Hierarchien in Bezug auf Einkommen und Macht. Bereits die intrinsische Motivation relativiert die monetären Prämien. Der ‚Besitz’ einer Gabe oder eines Talents belohnt intrinsisch im Genuss der eigenen Fähigkeiten und Sinne. „Wenn Einstein sich für Geld interessiert hätte, wäre er nicht Einstein geworden – sondern wahrscheinlich ein ziemlich mittelmäßiger Unternehmer oder Bankier“ (Castoriadis, Mothé 1992, 18).

In dem Maße, wie Einkommensunterschiede etabliert sind, orientiert sich menschliches Sinnen und Trachten nicht unerheblich gerade an ihnen. „Aber wenn es einen solchen Unterschied in einem Gesellschaftssystem nicht gibt, wenn es als ebenso unsinnig angesehen wird, mehr verdienen zu wollen als die anderen, wie wir es heute als unsinnig ansehen (jedenfalls die meisten von uns), um jeden Preis ein ‚von’ vor seinem Namen setzen zu wollen, dann werden auch Motivation, die einen wirklichen gesellschaftlichen Wert haben, auftauchen oder, besser noch, sich entfalten können: das Interesse an der Arbeit selbst, das Vergnügen, etwas gut zu machen, was man sich selbst vorgenommen hat, Erfindungsgabe, Kreativität, die Wertschätzung und Anerkennung der anderen. Umgekehrt, so lange die jämmerliche ökonomische Motivation da ist, werden einem von Kindesbeinen an alle anderen Motivationen abgewöhnt und verkümmern“ (Castoriadis, Mothé 1992, 20f.). Erst mit einer anderen Arbeitsmotivation – „Arbeit für die Welt und für uns” (MEW 1, 346) – verlieren die Sanktions- und Anreizmechanismen von Konkurrenz, Hierarchie und Status an Gewicht.

Immerhin existieren bereits heute Arbeitszusammenhänge, in denen ohne Hierarchie zusammengearbeitet wird. Dies betrifft bspw. die freie Software. Frei ist sie, insofern ihre Nutzung kostenlos und der Quellcode bei Weitergabe des Programms mitgeliefert wird.17 Es handelt sich bei den Kooperationen und Assoziationen zur Herstellung freier Software nicht um kleine und überschaubare Projekte, sondern um weltweite Arbeitszusammenhänge. Zu den Programmen der Freien Software gehören das Betriebssystem Gnu/Linux, der Internet-Server Apache, der Compiler Gcc, die Programmiersprache Perl, das Desktop KDE, das Bildbearbeitungsprogramm Gimp.

Ein über Jahrzehnte gelungenes Beispiel für die Arbeit an Hierarchien stellt das israelische Kibbuz dar (vgl. ausführlicher Creydt 2005). Der Verzicht auf differenzierte Entlohnung korrespondiert mit einer hohen Bedeutung der Bedürfnisse nach gemeinsamer Gestaltung des Gemeinsamen und „’Verantwortungsgemeinschaft’ … Das Kibbuzsystem bringt es offensichtlich zuwege, dass Übertragung und Ausübung von Autorität ohne nennenswerte Machtkonzentration und damit auch ohne Belastung der zwischenmenschlichen Beziehungen funktionieren kann“ (Busch-Lüty 1989, 140). Ein wesentliches Moment der Kibbuzim ist die Rotation der Tätigkeiten und das Vorhaben, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit wenn auch nicht gänzlich aufzuheben, so doch zu verflüssigen. Im Kibbuz herrscht die gleichrangige Bewertung jeglicher Arbeit, „wobei intellektueller Scharfsinn nicht höher eingeschätzt wird als handwerkliches Geschick, oder physische Kraft nicht höher als Organisationstalent etc.“ (Rosner 1982, 61).

Es ging in den Kibbuzim nicht um eine Vorstellung von einer gleichmäßigen Beteiligung aller an den Entscheidungsprozessen. Vielmehr war den Kibbuzim daran gelegen, die Beteiligung auf ein Maß zu erhöhen, das sie als sozial-dominant und hegemonial durchsetzt. Zwar vermag das Prinzip der Ämterrotation nicht „die Gesamtheit der Mitgliedschaft direkt zur Arbeit in den leitenden Instanzen heranzuziehen“ (Pallmann 1966, 157). Aber die Rotation vergrößert „zumindest die Schicht der zur Ausfüllung der Führungspositionen geeigneten Siedlungsgenossen, von denen zu jeder Zeit ein bestimmter Prozentsatz vorübergehend ohne spezielle Funktion ist und damit als Führer der ‚laienhaften’ Teile der öffentlichen Meinung fungieren kann. Diese, wie man sie nennen könnte: ‚intra-elitäre Kontrolle’ funktioniert natürlich nur unter der Bedingung, dass die ‚Elite’ nicht zur primären Solidaritätsgruppe ihrer Angehörigen wird“ (Ebd.).

Im Unterschied zu den Gefahren, die von Hierarchien und Machtzusammenballungen ausgehen, kam es in der Vergangenheit in den Kibbuzim zu einer Art ‚Ämterscheu’.
Die Zurückhaltung, höhere Ämter zu übernehmen, resultierte aus einem „negativen ‚Ertrags-Saldo’ …: die ‚Gewinne’ – in Gestalt von sozialem Status, Einfluss, Selbstverwirklichung – aus solchen Ämtern wiegen die ‚Verluste’ (zusätzliche Arbeit, Belastung, Ärger) nicht auf“ (Busch-Lüty 1989, 106). Interessant ist, wie sich das Sozialprestige in Kibbuzim im Vergleich zu modernen kapitalistischen Gesellschaften verlagert hat: Auf den obersten Rängen von Ansehen und Sympathie stehen hervorragende Arbeiter und loyale Mitglieder. Leitende Amtsträger nehmen in der Beliebtheit die vorletzte von sieben Positionen ein (Rosner 1982, 98f.).

g) Mit der Hierarchie eng verknüpft ist im Kapitalismus der „Kapitalfetisch“. Trotz aller Angewiesenheit des Arbeitsprozesses auf die Fähigkeiten von Individuen liegt doch zur Hauptsache „das Geschick nicht im Arbeiter, sondern in der Maschinerie“ (GR 427f.). Moderne Gesellschaft und Kapitalismus konvergieren darin, dass „das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als winziges Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind…“ (MEW 23, 446, vgl. a. MEW 23, 382, GR 584).

Die Kritik der kapitalistischen und modernen Technologie unterscheidet, wo sie eigene technische Leistungssteigerungen beinhaltet, wo diese für Menschen in der Erhöhung der Produktivität sowie in der Verringerung konkreter Arbeitsmühe fruchtbar sind und was für nachteilige Effekte mit der Arbeit einhergehen. Eine Kritik in dieser Perspektive muss voraussetzen, dass sich mit den Potentialen der Industrie in der Produktion selbst menschenfreundlicher produzieren ließe, als dies gegenwärtig der Fall ist.18 An Potentialen der Industrie kann angeknüpft werden, die im Akt praktischer Kritik an der gegenwärtigen Industrie aus ihr herausgearbeitet werden (vgl. a. Hassenpflug 1990, 89). Die Alternative ist zu überwinden, nach der die bestehende Industrie unter anderen politischen Hoheitsverhältnissen und Vorzeichen fortgesetzt werden oder aus „der“ Industrie „ausgestiegen“ werden soll. Dass eine grundlegend andere Ausschöpfung des Potentials der Industrie nicht als Möglichkeit vorstellbar wird, artikuliert sich im „Kapitalfetisch“.19 Er lässt die gegenwärtige Gestalt der Industrie als ihre einzige Verwirklichungsmöglichkeit erscheinen. In der Arbeitstechnologie und -organisation erscheinen Effizienz, Produktivität und Unterordnung des arbeitenden Menschen untrennbar miteinander verquickt. Mit der Bearbeitung der Heteronomie der Natur (zur Gewinnung menschlicher Lebensbedingungen) wird die den Menschen bildende Seite der Produktion überspielt und ihre Nichtthematisierung erpresst (vgl. Creydt 2000, 160-199).

Nicht science-fiction-Phantasten, sondern „gestandene“ Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler haben (im Alternativplan von Lucas Aerospace20 im England der 70er Jahre) die Frage nach einer „arbeiterzentrierten“ Technik gestellt, die nicht allein den Output an Gütern steigert, sondern sich die Frage nach Arbeitszeit als Lebenszeit stellt.21 Die Umgestaltung der Arbeit könne keineswegs „in bloß organisatorischen Begriffen gesehen werden, sondern als Infragestellung der Grundsätze selbst, die die Entwicklung von Technologie bestimmen. Zu diesem Zweck schlagen die Arbeiter von Lucas eine Reihe von Geräten vor, die die historische Tendenz umkehren würden, menschliches Wissen zu objektivieren und dem Arbeiter als fremde, ihm feindliche Kraft entgegenzustellen“ (Cooley 1978, 208, vgl. a. GR 91f.). Es geht in einer Perspektive arbeiterzentrierter Technik darum, „die menschliche Arbeit nicht allein unter ihren funktionalen Aspekten für die Produktion zu betrachten, sondern als eigenen Bezugspunkt für die Entwicklung von Produktionskonzepten“ (Pekruhl 1995, 116). „Qualifikationen dienen nicht allein der Bewältigung je gegebener Arbeitsaufgaben, sondern auch der Gestaltung und Weiterentwicklung der Arbeitstätigkeit selbst“ (ebd., 118).22 Gefragt wird im Lucas-Aerospace-Projekt nach einer Technologie, „die von den Arbeitern dazu verwendet werden könnte, bestimmte Bereiche ihrer Tätigkeit zu automatisieren, ohne jedoch gleichzeitig den lebendigen Arbeiter zum bloßen Anhängsel der ‚lebendigen Maschinerie’ zu degradieren“ (Löw-Beer 1981, 93). Es geht um einen Paradigmenwandel in der Technik. Die Technik wird nun daraufhin beurteilt, inwieweit sie sensitive und intellektuelle Fähigkeiten der Arbeitenden aktiviert. Die beiden Weisen des Produzierens – die Steigerung des Output durch Maschineneinsatz, die Bildung des Menschen durch sinnlich-intellektuelle Vergegenständlichung – stehen gegenwärtig gegeneinander. Es kommt demgegenüber darauf an, dass sie sich ergänzen und fördern – in einer „Rückkehr der menschlichen Hand in den Produktionsprozess, die sie nicht wieder an ihn kettet“ (Heinemann 1982, 184).

Zentral für die Verständigung der verschiedenen Fraktionen der Bevölkerung über die Technik ist eine weit verstandene Technikfolgenabschätzung. Sie gibt im Verhältnis zu technischen Entwicklungen praktisch zu klärende Fragen auf:
– welche (gegenwärtig vorhandenen bzw. zukünftig entstehenden) Bedürfnisse sie befriedigen,
– worauf diese Bedürfnisse beruhen, inwieweit der durch die Neuerungen ermöglichte Konsum sich Mängeln andernorts verdankt, die nicht diesen Konsum, sondern eine Bearbeitung jener Mängel sinnvoll erscheinen lassen,
– nach technischen Alternativen,
– nach den Effekten und Implikationen der Arbeitstechnologie und -organisation in mittel- und unmittelbarer Hinsicht,
– nach Missbrauchsmöglichkeiten,
– welche Veränderungen des Selbst- und Weltverhältnis selbst bei innertechnisch-pragmatischem Gelingen die jeweilige Technologie und ihre Produkte mit sich bringen (vgl. bspw. die Debatte um die Informations- und Kommunikationstechnologien).

Die hier genannten notwendigen, schon aus Platzgründen nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit skizzierten Elemente einer nachkapitalistischen Vergesellschaftung oder sozialen Synthesis stützen sich auf bereits im Kapitalismus entwickelte Ansätze.23 Sozialismus entsteht aus der Vernetzung, gegenseitigen Ergänzung und Fortentwicklung der genannten Momente. Ihre Emergenz baut ein nachkapitalistisches Gravitationsfeld auf. Die Skizze dieser Elemente ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Argumentation zum Verständnis einer Gesellschaft, die als sozialistisch wird gelten können. Weitere Analyseschritte zu einem realitätstauglichen Sozialismuskonzept bestehen in der Klärung des übergreifenden Leitbildes oder Paradigmas des guten Lebens24 – im Unterschied zu bürgerlichen Werten wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – und in der Klärung der institutionellen Strukturen gesellschaftlicher Selbstreflexion und –gestaltung (vgl. Creydt 2003).

Endnoten

1 Ausgespart bleibt hier aus Platzgründen u. a. die Überwindung des Besitzindividualismus oder das Problem des Gemeineigentums – vgl. dazu Creydt 2008b. Eine weitere, hier ausgesparte Problematik bildet die Größendimension des Gemeinwesens (vgl. dazu Creydt 2006a). Vgl. a. Stratmann-Mertens 2004. Hermann Scheer verknüpft dies mit der zentralen Frage der Energiewirtschaft. Er zeigt in seinem Buch über die ‚solare Weltwirtschaft’ (1999), „dass es möglich ist, alle fossilen Energien einschließlich der Atomenergie und ebenso alle fossilen Rohstoffe durch erneuerbare Energien und erneuerbare Rohstoffe zu ersetzen, die jeweils regional gewonnen werden können. Dies würde dazu führen, dass der globale Prozess der Entkoppelung der Räume des Ressourcenverbrauchs von denen der Ressourcengewinnung umgekehrt würde – hin zu einer räumlichen Rückkoppelung“ (Scheer 2001, IV).
2 Vgl. Lindbloms (1983, 97ff., 433ff.) Analyse. ‚Präzeptoral’ leitet er vom lateinischen Begriff praeceptor (Lehrer) her. Vgl. kritisch zu Kubas heroischer Zeit und Guevara: Mansilla 1973, 197-247.
3 Vgl. zur Kritik daran: Bischoff, Lieber 2006, Nick 2007, Tesch 2007.
4 Vgl. zur Kritik der im Umfeld der Hamburger Zeischrift ‚Sozialismus’ von Bischoff u. a. angestellten Überlegungen zum Marktsozialismus Creydt 2001a. „Konstruktiv“ hat Diane Elson (1990, 2000) marktsozialistischen Modellen ein Konzept der ‚Sozialisierung des Marktes’ entgegengesetzt. Vgl. dazu Creydt 2001.
5 „Die auf Radikalisierung der Sozialkonflikte setzenden Aktivisten von SUD schafften es, sich innerhalb weniger Jahre (seit dem Zusammenschluss 1996 zu SUD – Verf.) als feste Kraft insbesondere im öffentlichen Dienst und in den Staatsunternehmen zu etablieren. SUD ist bei den Eisenbahnern zur zweitwichtigsten Gewerkschaft nach der CGT aufgestiegen. … In gewisser Weise hat SUD die CGT in der Meinungsvorherrschaft in den Staatsunternehmen abgelöst“ (FAZ 23.11.07, S.3).
6 Eine kurze Darstellung findet sich bei Wuhrer 2007, eingehendere Analysen bei Löw-Beer 1981, Cooley 1987, Wainwright, Elliot 1982.
7 „Markteffizientes Handeln ist an die monetäre Quantifizierbarkeit aller Operationen gebunden. Hingegen ist das Ökosystem nur als hochkomplexer und multiinteragierender Wirkungszusammenhang zu fassen. Erst recht sind die vielfältigen Reaktionsmöglichkeiten und Reaktionsintensitäten, Dosis-Wirkung-Beziehungen, kumulativen Kettenreaktionen, weiträumigen Nebeneffekte und intertemporalen Folgeprozesse weder abschätzbar noch monetarisierbar“ (Kraemer 1997, 199).
8 Wie sollen sich verschwundene Tier- und Pflanzenarten monetär bepreisen lassen?
9 „Systeminterne Frühwarnsignale, die die monetären Steuerungsmechanismen des Marktes (Preise) rechtzeitig aktivieren, um bereits auf geringfügige Zustandsänderungen der physischen Umwelt rasch reagieren oder präventiv intervenieren zu können, existieren praktisch nicht“ (Kraemer 1997, 203).
10 Vgl. auch die Diskussion um Qualitätsindikatoren für medizinische Behandlung (Lutterotti 2008).
11 „Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung hat in 1329 Unternehmen der Investitionsgüter- und der Autoindustrie das Verhältnis von Herstellern und Zulieferern untersucht. Das Ergebnis in der Autoindustrie (Vergleichszahlen für die Investitionsgüterindustrie in Klammern):
- Austausch von CAD-Daten bei 61 (74) %,
- Einbindung der Zulieferer in die Produktionssteuerung der Hersteller bei 54 (19) %
- Qualitätsaudit durch die Kunden bei 83 (46) % (FAZ 12.11.1999). … Kommunistische Produktion wäre nichts anderes als der Ausbau und die Verallgemeinerung solcher Beziehungen und ihre Befreiung vom Privatinteresse des Einzelkapitals. Denn tatsächlich sind die Beziehungen heute ja nicht rein kooperativ, sondern immer auch Beziehungen der Herrschaft des größeren Kapitals über das kleinere mit entsprechender Aufteilung des Mehrwerts“ (Imhof 2001, 51).
12 „’Trennung’“ ist der „eigentliche … Bildungsprozess des Kapitals“ (MEW 26.3, 414).
13 Als praktischer Ansatz einer gesellschaftlichen Gestaltung des Wirtschaftens sind in der Debatte die Aktivitäten der linken Londoner Stadtverwaltung (Greater London Council) in den 80er Jahren von Belang. Über sie und die Abschaffung des GLC durch die Thatcher-Regierung informieren Livinstone (1987) und MacIntosh, Wainwright (1987). In einem internationalen Symposium über „Lokale Ökonomie” (vgl. Forschungprojekt ‘Lokale Ökonomie’ an der TU Berlin (Hg.) 1994) wurde geschildert, wie im London des GLC bspw. „öffentliche Entwicklungswerkstätten für Produktentwicklung und -innovation” zugeschnitten auf die notwendigen Produkte den „geeigneten Ort (bilden), an dem Ideenträger, Experten, Nutzer und Produzenten zusammenkommen und gemeinsam nach Lösungswegen suchen. … Die technischen und wirtschaftlichen Ressourcen können über Vernetzung und Kooperationsvereinbarungen mit Hochschulen, Bildungsstätten und Forschungseinrichtungen erschlossen werden” (Birkhölzer in Forschungsprojekt 1994, 31). Vgl. auch den ebenda erschienenen Bericht über den GLC von Dave Elliott: Zurück zu den Grundlagen: Sozial nützliche Produktion.
14 „Statt der zu erwartenden Aufträge für 33 Kraftwerke (von der Größe Biblis) errichtete sie (die Herstellerindustrie – Verf.) zwischen 1973 und 1985 nur 13 AKWs. … Für ein halbes Jahrzehnt war der Ausbau des bundesdeutschen Atomprogramms gestoppt, dessen ehrgeizige Ausbauziele der frühen siebziger Jahre wurden nie erreicht“ (Häusler 1988, 36).
15 In Bezug auf die Struktur und das Ausmaß der Wirtschaft folgt aus der Perspektive dauerhafter Güter:
– die Einsparung von Energie und Rohstoffe,
– die Zunahme von im Vergleich zur Herstellungsarbeit qualifizierterer Arbeiten für Aufarbeitung und Reparatur,
– die Zunahme der Arbeitsmasse aufgrund des arbeitsintensiven Charakters von Aufarbeitung und Reparatur,
– der Relevanzgewinn regionaler Arbeitsplätze aufgrund der Zunahme von Aufarbeitung und Reparatur,
– die räumliche Dezentralisierung und Regionalisierung wirtschaftlicher Tätigkeiten aufgrund der Erhöhung der Ressourcenproduktivität.
16 Unattraktive Tätigkeiten können rotierend erledigt oder Maschinen überantwortet werden. In Verkaufseinrichtungen lassen sich monotone Kassierertätigkeiten durch Kassen eingespart werden, die die von den Kunden ausgewählten Waren automatisch registrieren. Supermarktketten sind dabei, diese Innovation zu realisieren. Ebenso lässt sich bspw. der Umfang der wenig attraktiven Arbeit des Briefträgers durch einen vermehrten Anteil an elektronischer Kommunikation senken.
17 Freie Software eignet sich als gutes Beispiel für hierarchielose Kooperation, nicht aber als Beispiel für eine Vorwegnahme einer die Ware und den Wert überwindenden Produktion und Konsumtion, wie Nuss und Heinrich (2002) überzeugend gegen einschlägige hier investierte Hoffnungen zeigen.
18 Es geht um den „Widerspruch zwischen der Art der konkreten Arbeit, die die Menschen im Kapitalismus verrichten müssen und der Art der Arbeit, die sie tun könnten, wenn das produktive Potential, welches sich im Kapitalismus entwickelt hat, reflexiv zu Nutze gemacht würde“ (Postone 1991, 55, s. a. 70f.).
19 Vgl. Zech 1983, 61, 84, GR 586f., MEW 23, 193.
20 Lucas Aerospace war seinerzeit Europas größtes Unternehmen für Design und Herstellung von Flugzeugsystemen und -ausrüstungen. „LA liefert Teile der Ausrüstung fast aller europäischer Flugzeugprojekte der letzten Jahre. Die Stärke von LA liegt nicht in der Massenproduktion, sondern in der Herstellung kleiner, sehr spezialisierter Serien. Dem entspricht auch die technische Ausstattung des Unternehmens, v.a. ausgedehnte Forschungs- und Entwicklungsabteilungen“ (Löw-Beer 1978, 9).
21 „Ist es möglich, eine nicht weniger effiziente Technologie zu haben, die nicht die tayloristische Denkweise verkörpert, sondern die im Gegenteil die menschlichen Fähigkeiten und Qualifikationen derjenigen, die mit ihr arbeiten, akzeptiert und auf sie abgestimmt ist?“ (Rosenbrock, zit. n. Löw-Beer 1981, 88).
22 Wenn man dies ernst nimmt, wird deutlich, wie immens der Aufwand zur Gestaltung jener Sphäre sein dürfte, in der Menschen im Durchschnitt noch den größten zusammenhängenden Teil ihrer wachen Zeit verbringen.
23 Es geht um „Übergangsformen aus der kapitalistischen Produktionsweise in die assoziierte“ (MEW 25, 456). „Ebenso führt diese richtige Betrachtung andrerseits zu Punkten, an denen die Aufhebung der gegenwärtigen Gestalt der Produktionsverhältnisse – uns so foreshadowing der Zukunft, werdende Bewegung sich andeutet“ (MEW 42, 373).
24 Ich formuliere in Creydt 2008a ‚Praxis’ als Paradigma des ‚guten Lebens’.

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