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(erschien in: Berliner Debatte Initial 2003)

Adornos Werk entstammen problematische Argumentationsfiguren und ein Habitus des Theoretisierens, die nach wie vor in Teilen der sich kritisch verstehenden Öffentlichkeit attraktiv sind. Dieser Adornismus interessiert hier nicht aus Gründen der Klassikerpflege oder –philologie. Die Auseinandersetzung mit ihm fordert dazu heraus, zentrale Inhalte und Erfahrungsverarbeitungen, Probleme und Versuchungen kritischer Gesellschaftstheorie zu durchdenken.

Die Rezeption von Theorien geschieht bekanntlich oft vergröbernd und verfälschend, so daß nicht umstandslos von Adornos Anhängern auf ihn zurückgeschlossen werden kann.

Adornos Werk entstammen problematische Argumentationsfiguren und ein Habitus des Theoretisierens, die nach wie vor in Teilen der sich kritisch verstehenden Öffentlichkeit attraktiv sind. Dieser Adornismus interessiert hier nicht aus Gründen der Klassikerpflege oder –philologie. Die Auseinandersetzung mit ihm fordert dazu heraus, zentrale Inhalte und Erfahrungsverarbeitungen, Probleme und Versuchungen kritischer Gesellschaftstheorie zu durchdenken. Die Rezeption von Theorien geschieht bekanntlich oft vergröbernd und verfälschend, so daß nicht umstandslos von Adornos Anhängern auf ihn zurückgeschlossen werden kann. Zugleich stellt sich die Frage, ob in Adornos Theorie selbst die wirklichen oder nur scheinbaren Mißverständnisse angelegt sind.

Kritische Theorie vermag im Gegensatz zur geschäftigen Konkurrenz um Vorschläge für die optimale Verwaltung des Bestehenden innezuhalten und die Aufmerksamkeit für die Qualität der gesellschaftlichen Welt und der individuellen Existenz in ihr zu eröffnen. Adorno kritisiert zu Recht den (hier immer in Kontexten des Alltags und nicht der Philosophie verstandenen) Pragmatismus und die instrumentelle Vernunft als Scheuklappen einer Fixierung auf die Immanenz des Bestehenden. Dessen grundlegende Kritik muß gedacht werden können, wenn anders nicht jede Vergegenwärtigung der Qualität der gesellschaftlichen Welt und der individuellen Existenz an den Sach- und Zugzwängen des Bestehenden ihre Grenze finden und sich diesen unterordnen soll. Adorno vergegenwärtigt die im betriebsamen Mitmachen entproblematisierten abstumpfenden und brutalisierenden Effekte. Seine Zivilisationskritik orientiert sich normativ an einem Nebenprodukt hochentwickelter Zivilisation: dem (vor allem ästhetisch) gebildeten Subjekt. In Adornos Analysen bewährt sich die Emphase für das wahrhaft sensible Individuum erst in der dialektischen Zersetzung jeder Behauptung eines unmittelbar Positiven. An dessen Gestalten vermag Adorno vielfältig zu zeigen, wie sie in ihr Gegenteil übergehen, von der einfachen Entgegensetzung zu ihm leben und damit substantiell auf ihre Weise ex negativo genau das fortsetzen, wogegen sie sich zu setzen beanspruchen oder wovon sie in stolzer Unmittelbarkeit nichts mehr wissen wollen oder können. Allerdings bleibt die von Adorno als hypothetisch und riskant entworfene kritische Sensibilität ein Komplementärphänomen zur instrumentellen Vernunft. Die negativen Effekte der instrumentellen Vernunft wahrzunehmen führt zu einer Wachheit i h n e n gegenüber, nicht aber zur Frage, wie Gesellschaftsstrukturen aussehen, in denen ein anderes als instrumentelles und pragmatisches Sein und eine Welt ohne jene Opfer fordernde Zivilisation möglich werden. Adornos Denken verbleibt in einer Antiposition zum Pragmatismus. Adorno verweigert zu Recht die Erpressung, unter Fixierung maßgeblicher Voraussetzungen des Gegebenen Alternativen anbieten zu sollen. Diese Kritik am Pragmatismus führt ihn aber zum Verzicht auf eine nichtpragmatische Gedankenarbeit an der für das Denken unverzichtbaren gesamtgesellschaftlichen Alternative. Aus der Vergegenwärtigung der negativen Effekte der Zivilisation motiviert sich Adornos ‚So nicht’. Wäre sich die Menschheit jener Effekte gewiß, so könne eine prinzipielle Umkehr erfolgen – diese Katharsishoffnung ist Adornos Denken immanent. Die Vergegenwärtigung der negativen Effekte kommt aber nur in dem Maße zustande, wie Alternativen zu den jenen Effekten zugrundeliegenden Strukturen als möglich erscheinen. Adorno fällt hinter seine eigene, abstrakt verbleibende Erkenntnis zurück: „Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles“ (1970, 389 ). Und: „Nur dem, der Gesellschaft als eine andere denken kann denn die existierende, wird sie … zum Problem“ (1972, 142). Adornos Theorie ist kritisch, insofern sie jedwede Beschwichtigung und Verharmlosung der mit der Zivilisation einhergehenden Opfer zu durchkreuzen vermag. Gesellschaftliche Strukturalternativen zur von ihm beschriebenen Problematik vermag Adorno auch aufgrund von Schwächen seiner Theorie nicht zu benennen. Adornos Aufmerksamkeit für das beschädigte Leben fällt dann ebenso sublim wie unendlich aus. Die Leidenschaft, an den vornehmlich ästhetischen und philosophischen Stoffen immer wieder aufs Neue der Subjektivität ihrer Schädigung zuwider Sensibilität zu erobern, schlägt um in eine Seligkeit darüber, in Stoff und Denken so zu Hause sein zu können und zu dürfen, wie dies im falschen Leben eben überhaupt nur möglich sei. Adornos Ideal oder der Standpunkt, von dem aus er kritisiert, das feinsinnig gebildete Subjekt, ist – in Entgegensetzung zum Kollektivismus (auch in der Arbeiterbewegung) – eher dazu geeignet, negative Effekte der Zivilisation und der gesellschaftlichen Infrastrukturen, der Arbeit, Technik, Organisation usw. anzuzeigen. Dies Ideal taugt aber weniger dazu, die Möglichkeiten einer sozial bezogenen Entfaltung menschlicher Sinne und Fähigkeiten im Stoffwechsel der menschlichen Dienste und Tätigkeiten von Menschen für Menschen als Perspektive zu vergegenwärtigen.

Nach diesem Panoramaflug über Adornos Denkterrain wende ich mich den einzelnen angesprochenen Momenten zu, um meine vorab zur besseren Orientierung vorgestellte Diagnose zu belegen und zu vertiefen.

Als ebenso verführerisch wie problematisch erscheint bereits, die Gesellschaft mit e i n e m Prinzip zu charakterisieren, als solle die derart in den Blick genommene Totalität um keinen Preis durch deren Differenzierung irgendeine Irritation erfahren. Die Rede von ‚dem Tauschprinzip’ und ‚der Wertvergesellschaftung’ gehört zu den Standpunkten vermeintlich ‚radikaler Kritik’. Auf ihnen sind viele stehen geblieben. Bereits Adorno faßt die „Tauschform als die maßgebende Struktur der Gesellschaft“ auf (1969, 155) und möchte „die Attribute des Kapitalismus … aus einer Grundkategorie … entwickeln“ (1973, 93, vgl. a. 1979, 307). Der Aufbau einer Gesellschaftstheorie aus v e r s c h i e d e n e n aufeinander nicht zurückführbaren Sphären wird unterboten in der Rede davon, es seien „alle Objekte gleich nah zum Zentrum: zu dem Prinzip, das alle verhext“ (1981, 28). Der Logik der Weltanschauung zufolge wird e i n e grundlegende Gesetzmäßigkeit in den disparatesten Phänomenen aufgefunden – etwa „Herrschaft“ als „Prinzip“ der „Universalgeschichte“ „von der Steinschleuder zur Megabombe“ (1970; 314). Die entdeckte Notwendigkeit ist von sehr prinzipieller Natur und macht sich e i n e n Reim auf a l l e s. Allerdings spannt Adorno mit seiner Analyse mißglückter Verarbeitung von Leiderfahrung qua (wiederum Gegen- Positionen provozierender) einfacher Negation und in seinen Überlegungen zum Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft im Kapitalismus implizit eine andere, mehrdimensionale Aufbauordnung auf.

Adornos Theorie macht auf Harmlosigkeiten von Positionen aufmerksam, die Technik nur (unter Abstraktion von ihren Implikationen für das Selbst- und Weltverhältnis) anders anwenden wollen, die in der Partikularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnis (vgl. dazu Creydt 2000, 36ff.) kein Problem sehen und nicht zu unterscheiden vermögen zwischen Bedürfniskritik, Verzichtspropaganda und der Auseinandersetzung über „falsche“ oder „richtige“ Bedürfnisse als verfremdendes Medium dafür, soziale Gegensätze auszutragen. Gegen das Übergehen zentraler Probleme der Zivilisation hat sich Adorno nur durch ihre Verdinglichung und Überhöhung zu einer außergesellschaftlichen und überhistorischen Schicksalsgestalt d e r ‚instrumentellen Vernunft’ und d e r ‚Selbsterhaltung ohne Selbst’ verwahren können. Herrschaft i n der Gesellschaft führt Adorno eng auf Herrschaft ü b e r Natur. Nur zu solchem Überformat stilisiert, nur mit wesenslogischer Dignität versehen, nur so armiert könne, so die implizite Logik adornitischen Theoretisierens, das Leiden von Individuen in der Moderne einen theoretischen Ausdruck finden, der nicht in der wohlfeilen wie allfälligen Rede von ‚Chancen und Risiken’ wegrelativiert werde. Die Denkform, Disparates zu ein und demselben zu verdichten, soll helfen, den Gefahren zu trotzen, die im Wissenschaftsbetrieb und in der öffentlichen Meinung liegen. Mit ihrer notorischen Dekomponierung der in sich differenzierten gesellschaftlichen Aufbauordnung zu unmittelbar erscheinenden Besonderheiten lassen diese sich d a n n als vermeintliche Konkreta ebenso unbefangen wie unbedarft miteinander relationieren und rekombinieren.

Das die Strukturen verwirrende Ereignis, der Doppelcharakter und die Praxis

Demgegenüber ermöglicht eine sich auf die gesellschaftlichen Formen und Strukturen konzentrierende Theorie, die optimale Stärke herrschender Formen in der Absorption von Widerständen zu denken. Allerdings mißriete dieser Theorietypus funktionalistisch, wenn er a priori die Formen absolut setzt. Ausgeblendet würde so die durch besondere historische Konstellationen mögliche Verstörung der Formen bzw. das Aus- den- Fugen- Geraten des sonst – bei allen Friktionen und Dysfunktionalitäten im einzelnen – funktionierenden Zusammenspiels der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären. Die im Normalfall erstaunlich verdauungsfähige Absorptionspotenz der herrschenden Strukturen ist nicht von vorneherein immun gegen nichtintendierte und unabsehbare Nebenwirkungen und deren Folgedynamiken. Sie muß jeder Funktionalismus ausschließen, bei allem Realitätsgehalt, den er von der herrschenden Reproduktion der Form bezieht. ‚Falsches’ sensu Adorno) aber kann anderes Falsches so blockieren und lähmen, zersplittern und verwirren, daß aus dieser besonderen Gemengelage heraus wünschenswerte Impulse mehr Entfaltungsraum erlangen als in der herrschenden Normalform üblich. Historische Umbruchzeiten setzen außer Kraft, was normalerweise normal erscheint. Gewiß kann im nachhinein (vom Standpunkt der Formkontinuität) als unmöglich und naiv erscheinen, was in der historisch kontingenten Schwächung oder zeitweiligen Suspension von Formeffekten eine Chance für einen Strukturbruch darstellte. In Zeiten der Umwälzung fällt die Unterscheidung zwischen der notwendigen Kritik an naiven Illusionen und der ebenso notwendigen Kritik an der affirmativen Kritik schwer. Im Fall des Scheiterns ist der Gedanke suggestiv, es habe auch schon gar nichts vorgelegen, das gescheitert sei (außer Illusionen), während im Handgemenge jenen, die auf die Latenz des Prozesses setzen, sie meist wiederum überwertig und euphorisch gewiß ist. Karl Liebknecht (1969, 71) spricht 1907 von der „zuzeiten wie ein Irrlicht verwirrenden, manchmal geradezu gefährlichen, meist höchst wertvollen Möglichkeit, in Zeiten der Erregung mehr zu erreichen als in Zeiten der Ruhe, aber ein Mehr, das bei Eintritt der Ruhe fast stets wenigstens zum Teil mit dem Übermaß an Energie, das es zu erobern half, wieder verloren geht: Die Geschichte der Revolutionen ist dessen eine einzige fortlaufende Bestätigung.“

Adorno setzt sich ab gegen ein hofferisches das-Gras-wachsen-Hören und die Methode, alles als einen Anfang zu nobilitieren – aber um den Preis einer Kritik, die ihre Negation des Systems einzig mit dem Befund auszuweisen vermag, nichts entgehe dem System. Wer aber den Bruch der systemischen Absorptionspotenzen an die ihnen gewachsene begriffliche Durchdringungskraft als Akteurswissen bindet, schließt die Strukturtransformation schon kategorial vorab aus. „Wer eine ‚reine’ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben“ (Lenin Werke Bd.22, 363f.). Althusser (1968) hat mit seiner Analyse des ‚überdeterminierten Widerspruch’ Konstellationen beschrieben, die den Bruch mit den bestehenden Strukturen ereignishaft ermöglichen und verlangt dem Bewusstsein der die Strukturtransformation tragenden Kräften vorab nicht jenen konsequenten Bruch mit der herrschenden Form ab, der günstigstenfalls aus deren grundlegender Transformation resultiert (vgl. a. Merleau-Ponty 1966, 504).

Adorno verkennt aber nicht nur die im Ereignis liegenden Grenzen von Formtheorie, sondern auch den Doppelcharakter der Gesellschaft. Mit seiner Verabsolutierung der herrschenden Form verschließt Adorno seinen Denkhorizont vor den wirklichkeitsmächtigen Kräften und Perspektiven, die i n und a u s dem Bestehenden entstehen u n d es transzendieren. Die aus dem gesellschaftlichen Doppelcharakter herausgenommene Form ontologisiert Adorno zu einem prinzipiell verkehrten und jeder Gesellschaftsform vorausliegenden und insofern von ihr auch eigentlich nicht mehr tangierbaren Naturverhältnis. Mit einer Theorie der ‚Praxis’ wird es demgegenüber möglich, eine andere Zivilisation und Kultur zu denken, die zum Bestehenden nicht im Verhältnis der Konkurrenz steht, und ein Bewußtsein von den Stärken und der Überlegenheit eines gesellschaftlichen Seins zu gewinnen, das dessen unreflektiert moderne und dessen kapitalistische Formen überwindet. Viele Gesellschaftskritiker haben die Kosten und Nachteile der bestehenden Gesellschaft beschrieben. Diese Kritik hat sich dann an den Vorteilen und Vorzügen relativieren müssen. Adornos Denken antwortet auf diese Malaise, rennt sich aber in der Entgegensetzung zum sozialdemokratischen Reformismus und parteikommunistischen Revisionismus fest und weiß ebenso wie sie kein Paradigma, das die problemverursachenden modernen und kapitalistischen Strukturen nichtregressiv überwindet. Reformisten und Revisionisten mobilisieren, radikalisieren und vernetzen Interessengruppen, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, daß Interessen nur so weit praktisch wahrgenommen werden, wie das Bewußtsein von dem reicht, was als „machbar“ gilt. Wie dies Bewußtsein beschaffen ist, hängt wiederum zentral davon ab, wie groß in einer Gesellschaft das Bewußtsein für gesamtgesellschaftliche Alternativen ist. Der Adornismus radikalisiert das Bewußtsein von den Schwierigkeiten der Gesellschaftsgestaltung zur tragischen Kunde von ihrer Unmöglichkeit und kann nur tadelsüchtig im fortdauernden Aufweis der Naivitäten ringsum existieren. Negativ auf sie fixiert und von ihnen abhängig braucht der Adornismus sich des eigenen Unvermögens in Sachen Wirklichkeitsvergegenwärtigung nicht gewahr zu werden. Er idealisiert die eigene prinzipialisierende Fundierung des Unheils als Kunde, die die Eingeweihten adelt. Die Überbietung an Tiefe bringt die radikalen Anhänger der ‚Dialektik der Aufklärung’ in eine seltsame Nähe zu einer Verhängnisdiagnose, die bei Heidegger ebenso fundamental gründelnd die Verkennung des Seins betrifft. Nur in anderer Variante ereignet sich im Adornismus der „Schulfall dessen, was Lukács einmal Verflachung durch Tiefe genannt hat: durch die Nivellierung aufs allgemein Menschliche und dessen ‚Nichtigkeit’ wird … die Not einer historischen Epoche als Weltprinzip hypostasiert“ (Adorno 1940, 35).

Ich nenne im folgenden andeutungsweise und stichworthaft einige in ‚Praxis’ konvergierende Tendenzen, die Adornos Denken paradigmatisch dethematisieren muß. Im Erziehungswesen legt die Sympathie für pädagogische Reformversuche davon Zeugnis ab, daß die Arbeitsfähigkeiten und -sinne von Lehrenden in Distanz bis Widerspruch geraten zu staatlichen Kriterien für Schule. Im Gesundheitsbereich wird einer Minderheit der dort tätigen Kräfte (vgl. bspw. die Stärke der ‚Fraktion Gesundheit’ in der Berliner Ärztekammer) deutlich, daß den Sinn für die Ursachen von Krankheiten ernstzunehmen heißt, nach gesellschaftlich vermeidbaren Gründen von Krankheit zu fragen. In der ‚Agraropposition’ von Bauern und Naturschützern ist aus den Fähigkeiten und Kenntnissen des Umgangs mit Natur eine Ahnung zu spüren für die Unvereinbarkeiten zwischen kapitalistischer Bewirtschaftung der Natur und pfleglicher Landwirtschaft. In der Ökologie- und Nachhaltigkeitsdiskussion kommt es zu einer Mobilisierung technischer, naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Intelligenz, Sensibilitäten und Arbeitsfähigkeiten gegen die herrschenden Maßstäbe. Baethge sieht „einen Kristallisationspunkt auch sozialer Identität und politischer Organisierung” in der „moralischen Qualität der Arbeit – das meint die Berücksichtigung von Sinnbezügen, das Interesse am Erhalt der inneren und äußeren Natur und die Herstellung diskursiver Kommunikation in der Arbeit. … Keine Belege, wohl aber erste Indizien, daß es dafür subjektive Voraussetzungen gibt, sind die Befunde über die beträchtliche ökologische Sensibilität von Arbeitern und von hochqualifizierten Industrieangestellten (Heine/Mautz 1989, Hoff 1990, Baethge/Denkinger /Kadritzke/Lappe (1990) oder der Hinweis aus der Untersuchung von Lempert/Hoff/Lappe (1990) über die Entstehung eines postkonventionellen Moralbewußtseins bei Facharbeitern. Gewiß ist dies noch eine arg schmale empirische Basis, aber: Was das Morgen ankündigt, kann heute ja kaum schon repräsentativ sein” (Baethge 1994/254).

Bei vielen Anhängern Adornoschen Denkens wird man den Eindruck nicht los, Adorno komme gerade recht als Souffleur für eine Verabschiedung von jeder eingehenderen Befassung mit Gesellschaft. Die Neigung, von der Desolatheit des Daseienden auf dessen Nichtswürdigkeit zu schließen, findet in vielen extremen Formulierungen Adornos autoritative Stütze und Ausdruck, wenn bspw. von Menschen als „Lurchen“ (1979, 202) die Rede ist oder als „Fliegen, die zucken, nachdem die Klatsche sie schon halb zerquetscht hat“ (1981, 293). Solche Formulierungen zeigen das Bemühen an, in der Opposition gegen die Verzeichnung der Judenvernichtung zur historischen Ausnahme das Kontinuum zur unspektakulär-alltäglichen Grausamkeit und Verrohung zu betonen, konvergieren aber mit dem Misanthropismus. Er wiederum rechtfertigt die Gewalt indirekt mit der Annahme, sie passe zu den im wesentlichen nichtswürdigen Tätern u n d Opfern. Die Judenvernichtung löst im Adornismus die Fixierung auf das Grauenhafte aus. Gegen jedwede Relativierung soll zwischen der Gesellschaft, in der es stattfand – wenn nicht: Gesellschaft überhaupt – und ihm selbst kein Unterschied mehr aufgefunden werden können, mindere dieser doch nur das Bewußtsein vom Schrecken selbst. Wer sich auf den Standpunkt der unendlichen Größe eines zu verehrenden Guten oder eines zu bewältigenden Bösen stellt, kann a priori keine genügende endliche Handlung kennen, die gemessen an diesem Anspruch nicht der Kritik verfallen muß. Bis zur Absurdität radikalisieren Musterschüler der Vergangenheitsbewältigung (von der Zeitschrift ‚Konkret’ über die Zeitung ‚Jungle World’ bis zu zahlreichen ‚antideutschen’ Fanzines) den Identifizierungswahn zur fixen Idee, jedwede Angelegenheit mit NS und Judenvernichtung in Verbindung zu bringen (vgl. zur Kritik der einschlägigen ‚Vergangenheitsbewältigung’ Creydt 2001a). Adornos weitere theoretische Arbeit und sein reformerisches Engagement dementieren jedoch praktisch die Judenvernichtung als explizite Zentralreferenz des Adornismus, zu der alles gleich nah sei.

Den Holocaust historisch zu erklären aus dem spezifischen Ineinandergreifen vieler auch in anderen Gesellschaften ‚normaler’, aber voneinander getrennter Ausgrenzungen und Verdinglichungen und deren Radikalisierung , bedeutet nicht, die Singularität der Judenvernichtung zu schmälern und die Differenz zwischen Diskriminierungs-, Fernhaltungs- oder Austreibungspraktiken und bürokratisch- quasiindustriell durchgeführtem Vernichtungsrassismus zu übergehen. Die adornitische Aufmerksamkeit für diese Gefahr aber tendiert dazu, die Judenvernichtung zu etwas „schlechthin Unverstehbaren“ zu erheben, das „schließlich nur Gegenstand einer negativen Theologie werden“ kann (Kohlstruck 1997, 32), zum „numinosen Widerwert“ (Rudolf Otto). Der besonderen Wirkung soll eine unvergleichbare Ursache substanzhaft zugeordnet werden, an der keine Verbindung zum sonst Gültigen aufgefunden werden darf. Dan Diner (1990, 104ff.) hat demgegenüber zu Recht die Notwendigkeit einer „ereignis- und handlungsgeschichtlichen Rekonstruktion“ der Judenvernichtung im Unterschied zu ihrer linearen Herleitung aus ‚dem’ Antisemitismus unterstrichen.

Ausweglosigkeit und Affirmation

Der Formtheorie (als Analyse der Herrschaft von Abstraktionen wie z. B. Wert, Kapital usw.) wohnt die spontane Tendenz zur Selbsthermetisierung inne, die mit dem Übergriff auf Gegenkräfte, die ihr anverwandelt werden, das Motiv ramponiert, um dessen willen die Formtheorie arbeitet. Mit der Herauslösung der Form aus dem Doppelcharakter ontologisiert der Adornismus die Form monistisch zur nicht nur autonomen, sondern alles reell subsumierenden Substanz, zum sozusagen universalen Subsumator. Weit davon entfernt, wie seine Adepten von ihm meinen, allein das Unglück darzutun, das Perspektiven verstellt, trägt Adorno dazu bei, die Verhältnisse stärker einzuschwärzen, als sie es ohnehin schon sind. Auch Adornos selbstreflexive Aufmerksamkeit für Übertreibungen (vgl. 1979, 319, 101f.) ändert daran nichts. Adorno affirmiert den Schein unterschiedsloser monolithischer Desolatheit des Bestehenden, den er sonst am monistischen Denken kritisiert.

Adornos Theorie ähnelt mit der Beschreibung einer Oberfläche (der instrumentellen Vernunft) der Analyse der Oberfläche des Kapitalismus. Sie läßt das Verhältnis von Kapital und Arbeit als ein Verhältnis freier, unabhängiger und wenigstens prinzipiell gleicher Akteure erscheinen und die eigenen immanenten Notwendigkeiten des abstrakten Reichtums als Sachzwänge des Wirtschaftens überhaupt. ‚Das Kapital’ von Marx wurde meist als kritische Ökonomie und als Theorie ökonomischer Systemintegration oder -desintegration gelesen worden. Weitgehend unbeachtet blieb, daß die Analyse von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, an dem eben die kapitalistische Oberfläche steht (MEW 25, Kapitel 48ff.), auch dem Thema der Sozialintegration gilt und der Frage nachgeht, wie in den ökonomischen Strukturen zentrale Inhalte des alltäglichen Bewußtseins entstehen, die pragmatisch zu den objektiven Strukturen passen und sie zugleich notwendigerweise verkehrt auffassen. Daß bspw. den Arbeitenden unter der Voraussetzung der Trennung von ihren Lebensbedingungen der Verkauf von Arbeitskraft als nützlich erscheint, resultiert nicht aus ideologischer Verblendung, sondern ist Moment jener realen Oberfläche des Kapitalismus, in der die faktischen Zusammenhänge der Zirkulation als Teilsphäre für das Ganze zu stehen scheinen und das Bewußtsein von ihm verstellen. An der Immanenz dieser Oberfläche und an den in ihr stimmigen Nützlichkeiten und Interessen und am mit ihnen verschwisterten Pragmatismus knüpft die ideologische Gestaltschließung an, die die Oberfläche aus den in ihr naheliegenden Gedanken erklärt. Gleiches spielt sich im Konstrukt der instrumentellen Vernunft ab. Auch es beschreibt durchaus reale Zusammenhänge, totalisiert und tautologisiert sie aber. Auch hier gerät die Erklärung ideologisch, insofern sie sich am Schein orientiert, das Phänomen sei als selbständig und unabhängig aufzufassen. Damit wird die instrumentelle Vernunft nicht mehr als Erscheinung aus ihr konstitutiv zugrundeliegenden Strukturen begriffen, die nicht unmittelbar im Phänomen aufscheinen. Die Erscheinung mißrät zum Schein, bleibt die komplizierte Konstitution der instrumentellen Vernunft und der entsprechenden Zivilisation (inklusive ihrer Gestalten Arbeit, Technik, Organisation usw.) durch die herrschenden unreflektiert modernen und kapitalistischen Strukturen unbegriffen.

Die für den Pragmatismus zentralen Momente, der Nutzen und das Machbare, weisen einen zirkulären Charakter auf. Beide blenden jene Schichten des gesellschaftlichen Seins aus, die die immanente Nützlichkeit des Gegebenen infragestellen. Die Auffassung, die dem Gegebenen immanenten Handlungen seien nützlich, korreliert mit der Verflachung der Aufmerksamkeit für das eigene Sein in der Welt. Die dem Individuum abträglichen tieferen, indirekten und kontra-intuitiven Effekte und Implikationen des augenscheinlich nützlichen Handelns erscheinen nicht. Auch die Vorstellung des Machbaren dichtet sich selbstbezüglich ab. Ziele und Mittel, Probleme und Lösungen erscheinen getrennt und voneinander unabhängig. Vom Ziel oder Problem aus wird nach dem Mittel oder der Lösung gefragt. Zugleich konturieren sich der pragmatischen Machbarkeitsmaxime zufolge die Ziele und Probleme allererst an den Mitteln und Lösungen. Wer sich pragmatisch orientiert, fragt nach dem Möglichen und kann immer nur als Antwort erhalten, was innerhalb der herrschenden Strukturen und im Bereich ihrer Variationsspielräume existieren kann, also das Notwendige und s e i n e Modifikationen. Der Pragmatismus verstellt die Frage danach, wie sich die innerhalb der herrschenden Strukturen enthaltenen Ressourcen und Potentiale zu einer die herrschenden Strukturen überwindenden neuen gesellschaftlichen Synthese zusammensetzen können. Unter der Voraussetzung des alltäglichen Pragmatismus, der allein Stückwerkhandeln und muddling through kennt, werden die grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen zur unthematisierbaren Voraussetzung jedes Handelns, also umgestaltendem Handeln entzogen. Problem und Lösung, Ziel und Mittel sind die Seiten, die als Frage und Antwort immer gegenseitig nur aufeinander verweisen und pseudokonkret die Frage nach den zugrundeliegenden Strukturen verstellen. Die Orientierung am Machbaren reproduziert Handlungsbedingungen, in denen der Not immer die Nothilfe entspricht und die Nothilfe immer wieder die Bedingungen der Not erzeugt. Das pragmatische Handeln i n n e r h a l b der gegebenen Handlungsbedingungen läßt nicht zum Thema werden, wie diese Handlungsbedingungen selbst erweitert und umgestaltet werden können. Adornos Zivilisationskritik als Pragmatismuskritik ist kritisch, insofern sie die geheime und ausgeblendete Seite des Nutzens thematisiert, und unkritisch, insofern sie das andere Moment des Pragmatismus, die Beschränkung auf das Machbare, nicht zu überwinden vermag. Dem alltäglichen Pragmatismus u n d dem Adornismus fehlen das Bewußtsein von Alternativen zu den herrschenden Strukturen der Handlungsbedingungen. Diese Ebene der Bearbeitung und Umgestaltung ist nicht vorhanden, insofern die für das Oberflächenphänomen ‚nützliches und machbares Handeln’ konstitutiven Strukturen im Aufmerksamkeitshorizont nicht vorkommen. Zur Weltlosigkeit der Individuen und ihrer Unkenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse paßt die Spekulation über „die Stellung der Einzelnen zu diesen gesellschaftlichen Verhältnissen, die Privat-Exploitation einer vorgefundenen Welt durch die einzelnen Individuen“ (MEW 3/398). Dabei ist dieser Denkweise eigen, daß sie als formelle Abstraktion ‚zu leicht’ als zutreffend erscheint. „Freilich kann man ex post jedem beliebigen Handlungsresultat das Prädikat des Nutzens verleihen und auf diese Weise ‚sicherstellen’, daß die Gleichung begrifflich aufgeht; aber wenn der Selbstmord dann als Handlung interpretiert wird, deren ‚Nutzen’ im Einzelfall eben höher ist als der Verbleib im Leben, oder wenn Altruismus als bloßer Grenzfall des Egoismus erscheint, so wächst der Verdacht, daß eine solche Begriffsstrategie – auch wenn sie sich konsistent durchhalten läßt – bestimmte empirische Fragen mehr oder weniger gewollt abschneidet“ (Vollmer 1986/88). Die Nützlichkeitsansicht der Welt liefert jeweils „den Nachweis, daß unter den existierenden Bedingungen die jetzigen Verhältnisse der Menschen zueinander die vorteilhaftesten und gemeinnützlichsten seien“ (MEW 3/399).

Aus der Tendenz, das Phänomen aus sich selbst zu erklären, erwächst der im Adornismus imponierende Überbietungseifer, das Phänomen des Nutzens als instrumentelle Vernunft in kritischer Absicht zum Prinzip zu erheben, es gattungsgeschichtlich zu universalisieren und damit jede andere als die monolithische Erklärung als flach abzuwerten. „Alles was ersten Ranges ist, muß causa sui sein. Die Herkunft aus etwas Anderem gilt als Einwand, als Wert- Anzweifelung“ (Nietzsche Bd. 6, 76). Vermag sich die Oberfläche scheinbar aus sich selbst zu erklären, so mißrät im Alltagsverstand der Akteure ebenso wie im Adornismus die Oberfläche zum Wesen selbst, da es scheinbar nichts anderes gibt als sie. Der Adornismus erkennt die der Oberfläche eigene Abstraktion v o n Wesentlichem, nicht aber die Konstitution der Oberfläche a u s von ihr unterschiedenen wesentlichen Verhältnissen. Verkehrt der Alltagsverstand den Kapitalismus zum Unterfall und zur Teilmenge der als sachlich verstandenen Notwendigkeiten des Wirtschaftens, so teilt auch der Adornismus diese Identifizierung, insofern seine Kapitalismustheorie Lukács’ Vermengung von Marx, Simmel und Weber (vgl. Dannemann 1987) folgt. Im Ansatz vereitelt sind damit alle Möglichkeiten, das hochaggregierte und monolithische Konstrukt einer Zivilisation der instrumentellen Vernunft nicht nur von außen normativ zu kritisieren, sondern als Konstrukt aufzulösen in das Zusammenspiel moderner und kapitalistischer Strukturen (vgl. dazu Creydt 2000).

Die auch Adorno notwendige Behauptung der Differenz zwischen Real- und Potentialgestalt der Produktivkräfte kann argumentativ von ihm nicht eingelöst werden. Adorno teilt analytisch das moderne Selbstverständnis, es herrschten wenigstens im Großen und Ganzen Effizienz und Zweck- Mittel- Rationalität. Allein deren Bewertung durch Adorno fällt negativ aus. Die konstitutiven kapitalistischen Formen der Technikentwicklung (vgl. Creydt 2000, 160 - 199) und die Fehlabsorption von auf die Verringerung der Härten der Arbeit und Zivilisation investierbaren Ressourcen sind dort kein Thema, wo von Naturbeherrschung schlechthin die Rede ist. Adorno vereitelt damit seine eigene Intention: „Das Potential (eines nicht repressiven Verhältnisses des Menschen zur Natur und zum Menschen – Verf.) in der durch Technik verwüsteten Welt liegt in einer friedlich gewordenen Technik“ (1980, 76).

Adornos Kritik gerät in die Verlegenheit, Schönrednerei und falsche Tröstungen auf eine Weise zu destruieren, die mit der falschen auch jedwede realitätshaltige Hoffnung ramponiert „Hoffnung auch nur zu denken, frevelt an ihr und arbeitet ihr entgegen“ (1970, 394). Die begriffliche Arbeit, Ressourcen, Fähigkeiten und Kräfte ausfindig zu machen, die in den Verhältnissen gegen sie entstehen, wird in einem worst-case-Schematismus identifiziert mit naiven Hoffnungen, ohne die Naivität im Einzelnen noch als solche erweisen zu müssen, ist das Scheitern doch zum Apriori aufgerückt. Solche antithetisch auf die Beschwichtigung fixierte und derart verhärtete Pauschalkritik einer „monolithischen Gesellschaft“ (Adorno 1970, 264) mag als einfache Negation von pausbäckigem Technik- und Planungsoptimismus ihr Recht haben. Mittlerweile ist sie aber zu einer Art negativer Idylle für Kritiker avanciert, die sich im Abseits häuslich eingerichtet haben. Ihnen mißrät Kritik zur altklugen Pose.

Im Adornismus koexistiert die Ausweglosigkeit mit einer beruhigenden Nähe zu üblichen Idealen. Souverän übergeht Adorno die in der Marxschen Kapitalismuskritik aufgewiesenen Implikationen der zunächst so sympathisch anmutenden ‚Freiheit’ und ‚Gleichheit’ (vgl. 1979, 465, s. a. 1970, 190). Verloren geht in der einschlägigen linken Demokratieseligkeit die Erkenntnis, daß Gleichheit und Freiheit in ihr Gegenteil umschlagen. Eingebürgert hat sich vom Revisionismus bis zum Adornismus die zur Wirtschaftskritik halbierte Kapitalismuskritik ohne die Kritik, die weniger der mangelnden Umsetzung der politischen Ideale der Bürger gilt als ihnen selbst. Adorno folgt auch in anderen Bereichen dem Schema, der jeweiligen Wirklichkeit den Anspruch als i h r Zentrum einzuschreiben: „Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindustrie den Massen bereitet, indem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will, betrügt sie um das Glück, das sie ihnen vorschwindelt“ (1977, 345). Der dem zu untersuchenden Objekt äußerlich zugeschriebene Anspruch („Glück“) tritt hier an die Stelle einer Erklärung, warum die ‚Kulturindustrie’ bei den Massen verfängt. Die Bewertung vom anspruchsbeflissenen Standpunkt des Kritikers aus (Ergebnis: „Ersatzbefriedigung“, „Betrug“, „Schwindel“) ersetzt hier die Erklärung, wie die ‚Kulturindustrie’ arbeitet. Und der Vergleich des eigenen Ideals („Glück“) mit der Realität des zu untersuchenden Objekts wird als dessen immanente Kritik vorgestellt.

Zur Unterbestimmung der kontra-intuitiven Effekte des normalen bürgerlich-kapitalistischen Bewußtseins gehört die Adornosche Variante der Entideologisierungsthese: „Zur Ideologie im eigentlichen Sinne bedarf es sich selbst undurchsichtiger, vermittelter und insofern auch gemilderterer Machtverhältnisse. Heute ist die zu Unrecht wegen ihrer Kompliziertheit gescholtene Gesellschaft dafür zu durchsichtig geworden“ (1979, 467). Diese Entideologisierungsthese begründet sich aus Adornos Aufgebot eines ganz eigenen Paradigmas, der Kritik einer verkehrten Naturverhältnisses und einer verkehrten Zivilisation. Adornos Intervention setzt sich ab von den Naivitäten traditioneller linker Theorie gegenüber Organisation, Verwaltung und Technik und von der Unterschätzung der ‚Sachzwänge’ moderner Gesellschaften und der „verwalteten Welt“ (Adorno, Horkheimer 1985). Angesichts der „Ungleichzeitigkeit in der technischen und menschlichen Entwicklung“ (Horkheimer, Adorno 1984, 181) haben Adorno und Horkheimer aber nicht an der Vermittlung einer Theorie der modernen Gesellschaft und einer Kapitalismustheorie (vgl. dazu Creydt 2000) gearbeitet. Mit der ‚instrumentellen Vernunft’ boten sie ein vermeintlich tiefer ansetzendes Prinzip auf. Allerdings rächt sich die Aussparung von Moderne- und Kapitalismustheorie bei Adorno auch in der Verwunderung darüber, warum sein Prinzip instrumenteller Vernunft nicht als das Unheil angesehen wird, als das er es wahrnimmt. Adorno neigt dazu, die seiner Auffassung nach in die Individuen eingewanderte, zur zweiten Natur gewordene instrumentelle Vernunft sogleich wieder zu trivialisieren: „Hinge Erkenntnis von nichts ab als von der funktionellen Beschaffenheit der Gesellschaft, so könnte wahrscheinlich heute die berühmte Putzfrau recht wohl das Getriebe verstehen. Objektiv produziert ist vielmehr die subjektive Beschaffenheit, welche die objektiv mögliche Einsicht unmöglich macht“ (1979, 117). Die zugrundeliegende Trennung zwischen behaupteter objektiver Transparenz und ihrer subjektiven Verstelltheit wirkt künstlich. Auch wenn Komplexität zur Ideologie gemacht worden ist, rechtfertigt dies nicht, das im Unterschied zu simplifizierenden Steuerungs- und Transparenzvorstellungen real existierende Problem der Komplexität zu übergehen. Adorno bleibt dann auch wehrlos gegenüber einer soziologischen Affirmation der Eigenlogik und Emergenz von Institutionen und Apparaten. Besonders offensichtlich wird dies in seinem Streitgespräch mit Gehlen von 1965 (s. Adorno, Gehlen 1975). Es verdeutlicht, wie wenig Adorno einem gesellschaftstheoretischen Denken der in der Moderne notwendigen Strukturen, Organisationen und Institutionen entgegenzusetzen weiß. Wenigstens theoretisch ist aber mittlerweile die ‚realsozialistische’ Lähmung der Intelligenz, die bei Freund und Feind das Bewußtsein von Alternativen zur modernen kapitalistischen Gesellschaft betraf, durch tiefgreifende gesamtgesellschaftliche Strukturvorschläge obsolet geworden.

Sinnvoll wird die Entideologisierungsfigur bei Adorno nur innerhalb eines Vorgehens, das vollendet, was bereits bei ‚Freiheit’ und ‚Gleichheit’ angelegt war: Die bürgerliche Ideologie wird ihres Involviertseins in die kapitalistische Wirklichkeit als deren bestimmte mystifizierte Verarbeitung entkleidet und das so verdinglichte ‚Geistige’ äußerlicher Bewertung unterworfen dichotomisiert. F r ü h e r habe Ideologie als „Rechtfertigung“ immer noch „Ansprüche“ und die „Konfrontation des Geistigen mit seiner Verwirklichung“ ermöglicht (1979, 466), h e u t e sei Bewußtsein „bloßer Abdruck des Seienden“ (474) und „besagt kaum mehr, als daß es so ist, wie es ist“ (477). Kritik mißrät hier zur Konfrontation von Anspruch und Realität. Dieser Ansatz übergeht, daß die vergeistigte Weltlosigkeit, die ebenso naive wie geist-eitle Enthebung mit Idealen über die Wirklichkeit und die Derealisierung, die Wirklichkeit der eigenen Ideale nicht zu wissen, Kritik existenziell not-wendig für die eigene wirkliche Gegenwart werden lassen. Solche Kritik unterscheidet zwischen dem, was ist, und dem, wie es von sich aus erscheint, als von seiner Realität verschieden – und bisweilen als ansprüchelnd und sonntäglich idealbeflissen der Wirklichkeit überhoben und über sie vermeintlich erhaben.

Im Adornismus ‚gelingt’ eine Kritik, die mit dem der historischen Jugendzeit des Bürgertums abzulauschenden Versprechen (um nicht zu sagen: ‚Vorschein’) besserer Zustände heute wehmütig wenigstens der Vergangenheit dieser Ansprüche und ihrer versäumten Einlösung nachtrauert: Es hat nicht sein sollen. Methodisch grassiert hier der negative Vergleich, der die Verhältnisse nicht aus ihnen selbst begreift. Einer fragwürdig beschriebenen und idealisierten Vergangenheit wird eine als schlecht, zerfallen und unheil stilisierte Gegenwart gegenübergestellt. Entgegen seiner theoretisch überzeugenden Kritik am konstellations- und kontextblinden Identifizieren und Subsumieren verfällt Adorno praktisch in seiner Zeitdiagnose genau dieser Methode. Verdinglichte Konstrukte lassen sich hübsch übersichtlich paarweise gruppieren: Konkurrenz- und Monopolkapitalismus, freie Marktwirtschaft und Staatsinterventionismus, Autonomie der Universität und staatsreglementierte Hochschule, totalitätsbezogene Theorien und der Modulbauweise verpflichtete Theoreme.

Adornos Ideologieauffassung muß die Analyse des Bewußtseins und seiner Mystifikationen aus ihrem Involviertsein in kapitalistische Strukturen unterbestimmen. Die entstehende Lücke schließt Adorno durch den Rückgriff auf psychoanalytische Interpretationen. Der paradigmatische Gegensatz zwischen der Kritik der politischen Ökonomie und der Psychoanalyse (vgl. z. B. Nagler 1979) ist einem synkretistischen Verstand kein Problem. Die Übergänge aus einem normalen bürgerlichen Bewußtsein zu einem faschistischen (vgl. Creydt 2001a) werden unterbestimmt, wenn die ‚Studien zum autoritären Charakter’ unterstellen, „daß die Empfänglichkeit des Individuums für solche (faschistischen – Verf.) Ideologien in erster Linie von psychologischen Bedürfnissen abhängt“ (1976, 3). Dem in kapitalistische Gesellschaftsstrukturen involvierten Bewußtsein wird argloserweise nicht zugetraut, ‚gute’ Gründe für letztlich selbstschädigendes Handeln bereitzustellen – welch unnötiges Kompliment: „Da er (der NS – Verf.) durch seine bloße Natur Wenige auf Kosten der Mehrheit begünstigt, kann er nicht gut verkünden, die Situation der Mehrheit ihren wirklichen Interessen entsprechend verbessern zu wollen“ (Ebenda 13). Gerade in der ihm vielerseits zugehaltenen Stärke, der Faschismusauffassung, ist Adorno schwach, wie Wacker 1979 und Jaerisch 1975 überzeugend zeigen.

Zufriedener Weltschmerz

Adornos dialektische und mikrologische Virtuosität verstellt den Blick für die Grobheit seiner herrschaftstheoretischen Position: „Der Tauschwert gegenüber dem Gebrauchswert, ein bloß gedachtes, herrscht über das menschliche Bedürfnis, der Schein über die Wirklichkeit“ (1979, 209). Mit Kapitalismustheorie hat die Nobilitierung des Gebrauchswerts zum „Ineffabile der Utopie“ (1973, 22) wenig zu tun (vgl. Creydt 2000, 123ff.). Der Gebrauchswert erscheint nicht als auf den verschiedenen Ebenen der Kapitalismusanalyse bestimmbare innergesellschaftliche Qualität (vgl. a. MEW 19, 370f.), sondern als gegen die kapitalistische Gesellschaft zu wendende außergesellschaftliche Appellationsinstanz. Der Widerspruch in der Welt wird nur als Widerspruch zwischen der – eben „monolithischen“ – Welt des Kapitalismus und ihrer ebenso dysfunktionalen wie unverzichtbaren Sphären gesehen: „Inmitten der Tauschgesellschaft sind die vorkapitalistischen Rudimente und Enklaven keineswegs nur ein dieser Fremdes, Relikte der Vergangenheit: sie bedarf ihrer“ (1979, 14). In Horkheimers Mystifizierung der Familie in ‚Autorität und Familie’ wird diese Argumentationsfigur besonders deutlich. Eine postmoderne Positionen antizipierende Variante der Dissidenz vertritt Adorno im Votum für das „Quere, Undurchsichtige, Unerfaßte“ (1976a, 200). Tiefer reichen Adornos Hoffnungen auf die Kunst. Gewiß geht es ihm nicht um „die ominöse unmittelbare Schau des Wesens der Dinge“, nicht s o suche „Kunst dem Unterdrückten das Seine widerfahren zu lassen“ (1980, 209). Gewiß wird auch hier Vermittlung theoretisch postuliert: „Keine Kunst, die nicht negiert als Moment in sich enthält, wovon sie sich abstößt“ (1980, 24). Dennoch avancieren „Kunstwerke“ zum „Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge“ (1980, 337). Dem P r i n z i p des Nutzens und der Zweckrationalität instrumenteller Vernunft wird eine ästhetische Rationalität gegenübergestellt. E i n e hypostasierte und idealisierte Sphäre dieser Gesellschaft also avanciert zum Refugium kritischer Geister, ohne daß das Involviertsein der für sie konstitutiven Denk- und Subjektivitätsgehalte in den gesellschaftlichen Strukturaufbau ihrer verschiedenen Sphären und Erfahrungsverarbeitungen durch solche Opposition zwischen Prinzipien gefaßt werden könnte. Vor dem Hintergrund einer mit Prinzipien eher verzeichneten Gesellschaft glänzt die Kunst und imponiert als eine Art ‚Ding an sich’ wie eine Eigentlichkeit, die bereits allein mit ihrem Erscheinen schon Schaden erleiden müsse: „Fast droht solchen Gebilden bereits die Apperzeption ihrer Priorität Unrecht an“ (1980, 448). Die zum Opfer stilisierte Kunst erlaubt es, vom Objekt der eigenen positiven Ref/verenz nur im Modus ahnungsvoller Andeutungen zu sprechen. Ideologiekritik und Heilssehnsucht begründen sich hier wechselseitig. Gerade weil im Zeichen allumfassender Ideologisierung das ‚Wahre’ einem Vorbehalt direkter Thematisierung unterliegt, steigt der Eifer für umwegige und denkaufwändige Zugänge. Die unendliche Kommentarbedürftigkeit der Kunst führt zur Ehrenrettung der Philosophie als Begleiterin der Kunst, die dieser „nichtbegrifflichen Sprache“ (1980, 121) Beistand leistet. „Deshalb bedarf Kunst der Philosophie, die sie interpretiert, um zu sagen, was sie nicht sagen kann, während es doch nur von Kunst gesagt werden kann, indem sie es nicht sagt“ (Ebd., 113). Das Notbündnis von Kunst und Philosophie depotenziert Gesellschaftstheorie zur armen Verwandten. Der adornitische Kurzschluß von Philosophie und Kunst auf Kosten der Gesellschaftstheorie läßt ökonomische Kategorien zur Allegorie philosophischer Probleme mißraten. Reichlich Bildungsgut ist die Zugabe.

Im Adornismus gelingt die Verwandlung des unglücklichen Bewußtseins zur schönen Seele. „Das nicht Bornierte wird von Theorie vertreten. Trotz all ihrer Unfreiheit ist sie im Unfreien Statthalter der Freiheit” (1969, 173). Und: „Unglückliches Bewußtsein ist keine verblendete Eitelkeit des Geistes, sondern ihm inhärent, die einzig authentische Würde” (1970, 203). Glück im Unglück also: „Es gibt ein Glück der Abstraktion, das nicht mehr eines Lebensglücks bedarf, weil das Denkenkönnen des Unglücks das subtilste Glück des Denkens ist” (Kudszus 1968, 34).

Eingebannt in die Ruine des bürgerlichen Individuums (Krahl 1971, 285) wird mit dem autonomen Individuum als Referenzpunkt eine (in seinem Werk eher randständig bleibende) Einsicht Adornos verschenkt, derzufolge die „individualistische Organisationsform der Gesellschaft kollektive Verhaltensweisen ausschließt, die vielleicht subjektiv dem Stand der objektiv-technischen Produktivkräfte gewachsen wären“ (1985, 14). Die Verselbständigung der Herrschaft wird nicht auf Abstände und Trennungen zwischen den Menschen bezogen. Dabei stoßen Konkurrenz, Hierarchie und die Gleichgültigkeit der Verausgabung abstrakter Arbeit, wenn ihre Produkte nur irgend Mehrwertproduktion in genügendem Maße erlauben und absetzbar erscheinen, sowie die Trennung der Menschen in der Arbeit und als Arbeitende und Konsumierende voneinander an Grenzen, die u. a. mit den Themen Ökologie, Gesundheit, Lebensqualität deutlich werden. Die Verselbständigung des abstrakten Reichtums wäre dann nicht nur – gleichsam in der Vertikalen – reflexionslogisch auf subalterne und selbsterhaltungsbornierte Individuen im Mensch-Natur-Verhältnis bezogen, sondern – horizontal – rückgebunden an Vergesellschaftungsverhältnisse, die zumindest keinen Automatismus ihrer Autopoiesis erzwingen. Um hier überhaupt denken zu können, müßte die Gestalt autonomer Individualität nichtregressiv überwunden werden. Im Horizont von Assoziation, Sozialität und Arbeit von Menschen für Menschen wäre jene Subjektivität aufzuspüren, die als Forderung ans einzelne Individuum zur Überforderung geraten muß. „Die Emanzipation des Individuums ist keine Emanzipation von der Gesellschaft, sondern die Erlösung der Gesellschaft von der Atomisierung” (Horkheimer 1974/130). Adornos Stärke, das beschädigte Leben des Individuums nachdrücklich zu vergegenwärtigen, wenn bisweilen auch mit aufdringlichem Pathos, gerät zur Schwäche, allein Individuen für fähig zu halten, das Anliegen von Kollektivität noch zu vertreten (vgl. 1973a, 50).

Geld und Kapital stellen die abstrakten Mitten dar, die die Trennung und Entgegensetzung der Seiten (Konsumenten, Betroffene und Produzenten bzw. deren verschiedene Fraktionen), die sie vermitteln, selbst setzen und reproduzieren. Im Adornismus wird der menschliche Bezug der Arbeitenden in ihren Fähigkeiten und Sinnen zueinander und auf das In-der-Welt-Sein der Arbeitsprodukte verfehlt und damit das Hintergrundproblem, vor dem die Verselbständigung des abstrakten Reichtums ihre Wucht gewinnt. Fixiert bleibt Adorno auf die Angst erzeugende Abhängigkeit von der Natur, die Angst wendende Selbsterhaltung, die Emanzipation verhindernde Beherrschung innerer und äußerer Natur, die damit einhergehende Selbstverhärtung in der Entgegensetzung zum zu manipulierenden Objekt und die von der ursprünglichen Not sich entkoppelnde (daher „verwilderte“ (1970, 285) und „blinde“ (Horkheimer, Adorno 1984, 4f, 51) Selbsterhaltung. Demgegenüber imponiert Adorno ein Ideal, das Arbeit allein als Reich der Notwendigkeit faßt und in ihr nur Hindernisse seiner Utopie wahrnimmt: „Rien faire comme une bête, auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen, ‚sein und sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung’ könnte an Stelle von Prozeß, Tun, Erfüllen treten. … Keiner unter den abstrakten Begriffen kommt der erfüllten Utopie näher als der vom ewigen Frieden“ (Adorno 1976/207f.).

Adornos Äußerungen zu den Werten des frühen Bürgertums sowie zu Gebrauchswert und Kunst tragen in ihrer Abwertung des Alltags zu jener Depotenzierung menschlicher Fähigkeiten und Sinne bei, die real in ihm herrscht. Die Herrschaft stellt den Wunschgegner von Refugien dar, die sich umso besser genießen lassen, desto verschwommener jene Folie abstoßender Herrschaft ausfällt, gegen die sich die Träume vom wahrhaft autonomen Individuum und der Kunst abzusetzen und auszubreiten verstehen. Adorno diagnostiziert eine „Epoche, darin die reale Möglichkeit von Utopie – daß die Erde, nach dem Stand der Produktivkräfte, jetzt, hier, unmittelbar das Paradies sein könnte – auf einer äußersten Spitze mit der Möglichkeit der totalen Katastrophe sich vereint“ (1980, 55f.). Adornos Sensibilität für das Leid der Individuen baut sich an einer Kritik auf, die zu Recht der Verdrängung, der Leid abwehrenden Icheinschränkung und -verhärtung Schutz vor gesellschaftlichen Zumutungen zuschreibt u n d ineins eine Förderung dieser Zumutungen. Adorno kritisiert zu Recht, daß das Individuum sich nicht froh von den Institutionen ‚konsumieren’ (Gehlen) lassen soll. Vielmehr müßte seine Sinnes- und Fähigkeitsentwicklung gerade die Bewährungsprobe sein, an der sich letztlich die Qualität der Organisationen entscheidet, wenn anders die Faszination an deren Leistungsstärke und Eigengesetzlichkeit nicht selbst die Aufmerksamkeit für die menschliche Gegenwart in und mit den Organisationen infragestellen soll. Diese Sensibilität steigert sich adornitisch zu einem Mangel an plastischer Kraft, „Wunden auszuheilen, Verlorenes zu ersetzen, zerbrochene Formen aus sich nachzuformen“ (Nietzsche). Diesem Mangel entspräche es, bereits an einer kleinen Wunde zu verbluten. Gemessen an d i e s e r Sensibilität muß es dann für Adorno schon „unmittelbar das Paradies“ (1980, 55) sein oder die „Erlösung“ – so der letzte Abschnitt in der ‚Minima Moralia’. Eine Berührungsangst – eben die der schönen Seele – stellt sich ein, mit der Wirklichkeit sich anders als negierend einzulassen, ist sie doch durch die „Erbsünde“ (1970, 241) eines von Anfang an gewalttätigen Naturverhältnisses existenziell und tragisch verdorben.

Adorniten fasziniert nicht zuletzt der Stil, an dem sie auch andere Theorien messen – eine weit verbreitete Ästhetisierung der Theorie hat hier e i n e n Zufluß erhalten. Adornos Denken gerät im Adornismus zum Jargon und wird um seine theoretisch unausgeschöpften Impulse gebracht. „Die Gesellschaft rächt sich an Adorno lediglich durch ihre Indifferenz. Das übrige erledigen seine Bewunderer. Diese pflegen die Faktizität der negativen Philosophie als die Faktizität des Gehalts, des Telos’ der Philosophie zu feiern. Altem Brauch gemäß begrüßen sie die Absicht schon als das Ereignis selbst. Damit holen sie Adorno endlich heim in die Geschichte der abendländischen Philosophie. Fraglos kommt ihnen dabei Adornos Diktion entgegen. Lakonisch und virtuos, präzis und feierlich, traditionell und unkonventionell zugleich, bewirkt sie gerade das, was sie sich untersagt hat: sie merzt die Spuren der Anstrengung aus. Das Bemühen um Eleganz, Perfektion und eine gewisse Erhabenheit und die verhaltene Affinität zu subjektiver Rückhaltlosigkeit werben um die Erfahrungsbereitschaft und gewiß auch um die Zuneigung des Lesers. So verleitet gerade die Philosophie, die sich derzeit mit nichts und niemandem versöhnen möchte, zu vorschneller Identifizierung. … Dem als genialem Individuum Bewunderten wird zugesprochen, was dieser erst als fernes Ziel erkannt hat. Gerade dieses Wohlwollen verrät Gleichgültigkeit. Behaglich würdigt man den, der einem sagt, daß noch nichts glückte” (Böckelmann 1969, 26f.).

Wer die Verschwendung objektiver Ressourcen und menschlicher Sinne und Fähigkeiten kritisiert, wird die geistige Produktion einbeziehen. Der Adornismus zeigt ein Mißverhältnis zwischen seinem Glanz an gedanklicher Sensibilität, Raffinesse und Überfeinerung einer geradezu selbstverliebt mäandernden Assoziativität einerseits und dem Elend seiner Grundkonstrukte sowie dem beredten Schweigen zur gesellschaftstheoretischen Frage nach Alternativen zum Bestehenden andererseits. Daß die not-wendenden Perspektiven schon deshalb nicht gedacht werden können, weil sie realiter nicht existieren mögen, ist Adorno nicht als Pessimismus vorzuwerfen. Die Welt wird nicht anders, wenn man sie sich nur anders interpretiert oder schön redet. Vom Standpunkt der Handlungsfähigkeit gilt die eigene Geschäftigkeit und Selbstwirksamkeit als Maß der Welt- und Selbstwahrnehmung. Adornos Kritik daran ist aktueller denn je angesichts der sog. Realpolitik, die Mitmachen als Gestaltung verklärt. Adornos Perspektivlosigkeit resultiert nicht nur aus dem möglicherweise existierenden objektiven Mangel an Alternativen, sondern aus den gezeigten theoretischen Schwächen seines Denkens. Adornos Ideale (Freiheit, Autonomie, Bildung, Kunst usw.) hypostasieren Momente und werden nicht in der realen gesellschaftlichen Aufbauordnung gedacht. Diese Ideale emigrieren in eine Transzendenz, die nicht nur die bestehende Gesellschaft, sondern Gesellschaftlichkeit überhaupt blamieren muß. Es entsteht eine Hyperkritik, die jede wirkliche Kritik überbietet und desavouiert. Vor allem zeigen Adornos Theorie latent und der Adornismus manifest die Verselbständigung des kritischen Theoretisierens im Genuß an sich selbst. Dann mißraten die Themen des Denkens zum Anlaß, das Theoretisieren auszubreiten und zu zelebrieren. Das Denken gerät in das Anziehungsfeld von Ästhetisierung und Rhetorik. Argumente imponieren, insofern sie besser formuliert als gedacht sind. Mit dem Adornismus entstehen der imaginäre Reichtum eines kulturellen Paralleluniversums und eine Heimat, die die reale Welt als ihr Gegenteil und als in ihr, der Heimat, ideell überwunden d e u t e t. Im Vergleich zur eleganten Brillanz der kritischen Weltanschauung und ihrer erlesenen Theorieobjekte mutet die gesellschaftstheoretische Erkenntnisarbeit als banal und profan an. Gedanken und Begriffe, die in bestimmten Theorien einen bestimmten Sinn und Ort aufweisen, werden im Adornismus zur Artikulationsform einer Stimmung vager und scheinradikaler Distanz zur Gesellschaft. Durch die Teilhabe am Adornismus entsteht der Dünkel, in eigener Substanz jener Welt, der man pragmatisch in ihrer Faktizität Tribut zollen muß, längst wenigstens ideell enthoben zu sein. Der Adornismus erweist sich als Bestandteil einer Kultur, in der die Funktionslust der subjektiven Verausgabungen und der dabei einschlägige Formenreichtum und –glanz das substantielle Elend der Praxis im gesellschaftlichen Stoffwechsel vergessen läßt oder sie zu einer bloß gewußten, aber das Subjekt nicht recht eigentlich angehenden Materie depotenziert.

Nicht nur verweisen die Themen der sog. Kritischen Theorie auf zentrale Fragen kritischer Gesellschafstheorie. Gerade der Adornismus eignet sich zur Reflexion der jedem kritischen Theoretisieren nicht zufällig von außen zustoßenden, sondern ihm immanenten Gefahr und Versuchung. Unter Voraussetzung der real ungelösten Problematik – der mangelnden Alternative zur unreflektierten Moderne und zu kapitalistischen Strukturen – erhebt sich das Theoretisieren und gewinnt wie das Symptom in der Neurose eine Selbstbezüglichkeit, Maßlosigkeit und raumgreifende Materialität, die i h r e n Teil dazu beiträgt, die zugrundeliegende Problematik ungelöst zu lassen.

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