Erschien in: Bruchlinien Nr. 17, 5. Jg., Wien 2006
Vielen erscheint der Weltmarkt als Sachzwang oder unumkehrbares Schicksal. Werner Sombart (1863 - 1941) stellt dies bereits vor 70 Jahren in einer auch heute noch lehrreichen Weise infrage. Wer sich gegenwärtig mit Sombarts Kritik an der Weltwirtschaft beschäftigt, wird bemerken, daß in ihr aktuelle Probleme Thema sind, und heutige Lösungsvorschläge in damaligen Konzepten vorausgedacht finden. Von früheren Thematisierungen fällt so, je nach Perspektive des Betrachters, Licht oder Schatten auf die gegenwärtige Diskussion.
Sombart, nach Friedrich Lenger (1994, 9) „vielleicht der einflußreichste deutsche Sozialwissenschaftler im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts“, beginnt seine für die heutige Globalisierungsdiskussion interessante Kritik mit einer in Zeiten der damaligen Weltwirtschaftskrise plausibel wirkenden Diagnose: „Zusammenbruch des Freihandelsmechanismus, in dem die Weltwirtschaft bisher eingespannt gewesen war … Zollmauern und Einfuhrverbote, Kündigung der Kredite, Mißtrauen auf der ganzen Linie“ (Sombart 1932, 24). Man wird diese Zeitumstände mitdenken müssen, um zu verstehen, warum in den 20er und 30er Jahren Vorstellungen der Abkoppelung vom Weltmarkt beliebt waren.
Sombart kritisiert an der Weltwirtschaft vorrangig, daß sie bestimmte ablehnenswerte Züge des Kapitalismus steigert, v. a. die „Integrierung der Einzelwirtschaften (Betriebe – Verf.) ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer Volkswirtschaft“ (Sombart 1934, 282). Die Auflösung einer Ganzheit in ihre Bestandteile und deren unbekümmerte Rekombinierung herrschen. Die Effekte zeigen sich am augenfälligsten an den am Export orientierten Monokulturen oder am Schicksal von Regionen, die von vom Abstieg in der internationalen Konkurrenz betroffenen Industrien dominiert sind. Sombart tritt demgegenüber für „das nationalwirtschaftliche Prinzip“ ein. Aus ihm folgt die Forderung nach einer „gewissen Abgerundetheit, Abgeschlossenheit, Selbstgenügsamkeit“ für die nationale Wirtschaft, „die sie in sich selber ruhen läßt. Wir vertreten dieses nationalwirtschaftliche Prinzip … vor allem aber auch aus der Erwägung heraus, daß der Sozialismus, d.h. wie wir wissen, eine sinnvolle Ordnung des Gemeinwesens, zu einer Verwirklichung eines Wirtschaftskörpers bedarf, der im wesentlichen in seinen Lebensäußerungen von Vorgängen im Ausland unabhängig ist“ (ebd., 284).
Die Aktualität dieser Gedanken lässt sich an einem Beispiel zeigen. Zwar hat Indien seit Anfang der 90er Jahre die vormals sehr restriktive Abschottung gegenüber ausländischen Investoren gelockert. Allerdings sind Phänomene wie das EDV-Dienstleistungszentrum Bangalore auch heute nicht zu verallgemeinern. „Weltmarktorientierte Inseln, die nur ungenügend in die wirtschaftliche Umgebung eingepaßt sind, haben auf die Dauer keinen positiven Nutzen“, schreibt Charles Pauli (1998, 7) diesbezüglich und vermerkt angesichts der Asienkrise: „Offensichtlich hat gerade die geringere Weltmarktverflechtung der indischen Wirtschaft den positiven Effekt hervorgebracht, daß dieses Land nicht mit in den Strudel der ostasiatischen Krise gerissen wurde. Die Zuströme an Auslandskapital waren nicht so bedeutend, daß eine Überhitzung und ihr Ausbleiben einen wirtschaftlichen Zusammenbruch hätten hervorrufen können; die Weltmarktorientierung nicht so weitgehend, daß eine Aufwertung der Währung einer Katastrophe gleichgekommen wäre. Kurzum: Eine Lehre aus den Ereignissen des letzten Jahres könnte sein, daß Indien seine relative Stabilität gerade wegen des geringeren Integrationsgrades aufweist.“ (Pauli 1998, 8).
Sombarts Plädoyer für das Primat der Binnenorientierung der Wirtschaft findet seine Aktualität bestätigt in den vieldiskutierten Konzeptionen von Samir Amin und Dieter Senghaas unter dem Stichwort ‚autozentrierte Entwicklung’ und ‚Abkopplung vom Weltmarkt’. „Die Dritte Welt hat langfristig nur eine Chance, eigenständige und lebensfähige Ökonomien und Gesellschaften aufzubauen, wenn sie sich von der gegebenen internationalen Ökonomie auf Zeit abkoppelt. … Auch wenn eine solche ‚dissoziative’ Politik verfolgt wird, ist ein Austausch mit produktiveren Ökonomien möglich. Doch ist dieser Austausch Mittel einer nach innen gerichteten Entwicklungsdynamik … und soll nur dort stattfinden, wo er dem Aufbau einer lebensfähigen Binnenstruktur in den Ländern der südlichen Kontinente zugute kommt.“ (Senghaas 1978, 9ff.). Ich kann hier nicht die Gründe thematisieren, warum zwar nicht Amin, wohl aber Senghaas von diesem Modell abgerückt ist. Allerdings wird es auch in der gegenwärtigen Diskussion noch als aktuell bezeichnet (Hein 1999).
Die Weltwirtschaft steigert nach Sombart die bereits binnenwirtschaftlich problematische Konkurrenz. Sombart sieht im Schlagwort ‚freie Konkurrenz’ die von ihm mit Einschränkungen befürwortete Leistungskonkurrenz mit der kritikwürdigen Suggestionskonkurrenz und Gewaltkonkurrenz unzulässig vermischt. Insgesamt steigert die Weltwirtschaft die bereits mit dem Kapitalismus begründete Absorption der menschlichen Kräfte in die wirtschaftliche Sphäre. „Ein Volk, das mit der Gestaltung seiner äußeren Lebensbedingungen niemals zu Rande kommt, ist krank. Seine Energien in der ewigen Neuschaffung von Wirtschaftseinrichtungen und Produktionsmethoden erschöpfen, heißt seine Kräfte vergeuden. Wir müssen mit unserer Hauseinrichtung und dem ewigen Großreinemachen endlich fertig werden, damit wir uns würdigen Aufgaben zuwenden können. … Wenn man also als den Hauptnachteil einer Beseitigung des Kapitalismus Verlangsamung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts bezeichnet, so antworten wir, daß wir gerade darin einen Segen erblicken würden. Der einzige Rechtfertigungsgrund für die Neuerungssucht der Wirtschaftsmächte lag in der Tatsache, daß unsere Bevölkerung im vergangenen Jahrhundert sich so rasch vermehrt hat und das deutsche Volk infolgedessen seine Anzüge, d.h. den Wirtschaftsapparat, so rasch ‚verwuchs’. Dieser Grund fällt nun auch fort, nachdem wir in die Reihe der stationären Völker eingetreten sind“ (Sombart 1934, 318f.).
Die (auch von Oskar Negt (2001) weit interpretierte) Metapher des ganzen Hauses, in das die Ökonomie wieder ein- und untergeordnet werden soll, wird vom renommierten deutschen Kultursoziologen Gerhard Schulze ganz konvergent zu Sombart aufgenommen:
„Es ist wie beim Hausbau: Wenn wir das Haus gebaut haben, müssen wir lernen, darin zu wohnen. Der Schlüssel ist die Abkehr von der sachbezogenen Weltsicht und die Hinwendung zum subjektbezogenen Sein. Sachbezogene Tätigkeiten werden mehr und mehr an Roboter, Computer und automatisierte Fertigungsanlagen delegiert. Maschinen werden planen, bauen, kalkulieren, putzen, Speisen zubereiten, Einkäufe erledigen. Wir werden unsere Energie subjektzentrierten Tätigkeiten zuwenden. … Diese subjektzentrierten Tätigkeiten werden nicht sachlichen Tätigkeiten untergeordnet sein. Ich erwarte eine voranschreitende Entkommerzialisierung menschlicher Tätigkeiten. Der Markt beschränkt sich zunehmend auf die Bereitstellung der Rahmenbedingungen für das subjektbezogene Leben. Dabei treten in sich abgeschlossene Wertideen mehr und mehr an die Stelle offener, unbegrenzter Wertideen, wie sie für die Sozialwelt der Steigerung typisch waren. Metaphorisch ausgedrückt: Es gibt keine ewige Perfektionierung der Lammkeule. … An die Stelle eines ‚Terrors der Ökonomie’ tritt eine ‚Wirtschaft ohne Macht’.“ Unsere Gesellschaft reagiert auf diese Aussichten „wie eine Schiffsexpedition, die bei einer Flußmündung ihren Ausgang nimmt, um ins Landesinnere vorzudringen. Obwohl der Fluß immer enger und enger wird, investiert die Mannschaft Unmengen Energie in die Fortsetzung der Schiffsreise, anstatt zu Fuß weiterzugehen, weil das ungewohnt wäre“ (Schulze 1999, 31).
Aus verschiedenen Richtungen konvergieren Plädoyers für eine „Entwirtschaftlichung“ (Spann 1934, 125). Sie können nicht auf das autoritäre Motiv enggeführt werden, materielle Interessen und das Wohlergehen der Individuen zugunsten eines ‚großen Ganzen’ aufzuopfern. So sehr dies Motiv auch vorhanden ist, so wenig ist es doch bei Sombart und Spann das einzige Motiv. Spann ging es auch um die urteilskräftige Einbettung des Wirtschaftens in die menschliche Prioritätenhierarchie. „Ein großer Aufwand darf nicht für Kleines vertan werden“ (Spann 1934, 113). Das Leitkriterium der Wirtschaft ist bei Spann nicht der Profit oder das gegenüber allen Inhalten der Arbeiten indifferente Bruttosozialprodukt, sondern „Beseelung der gewerblichen Arbeit …, Qualitätsherstellung, Kunsthandwerk“ gegen die „Entseelung und Mechanisierung der Arbeit“ (ebd. 46). Es geht um „Kultur nicht durch die Technik, doch auch nicht gegen die Technik, sondern um Kultur innerhalb der Technik“ (Freyer 1921, 148). Damit relativieren sich die maßgeblichen modernen (Effizienz) und kapitalistischen (Akkumulation und Konkurrenz) Kriterien, die alle normativen Fragen gegenstandslos werden lassen: „Die Frage steht daher nicht so, ob die fremde Ware mehr oder weniger kostet. Sondern vielmehr: ob sie das Gefüge, ob sie den Gliederbau und die Gegenseitigkeit der eigenen Ganzheit stört oder kräftigt“ (Spann 1934, 113).
Allein der Vorrang der Volkswirtschaft vor den Einzelunternehmen sichert Sombart zufolge, dass „Privateigentum kein unbeschränktes, sondern ein gebundenes, wenn man will – jedenfalls soweit es sich um das Eigentum an Produktionsmittel und an Boden handelt – ein Lehnseigentum sein wird. Ich kann der Fassung, die Othmar Spann dem Problem gegeben hat, durchaus zustimmen, wenn er sagt: ‚Es gibt formell Privateigentum, der Sache nach aber nur Gemeineigentum.’ Das Eigentum bestimmt nicht mehr die Grundsätze der Wirtschaftsführung, sondern die Grundsätze der Wirtschaftsführung bestimmen Umfang und Art des Eigentumsrechts: das ist der Springpunkt“ (Sombart 1934, 324 – Zu Differenzen zwischen Sombart und Spann vgl. Barkai 1977, 78f.). Dies ist auch in Bezug auf die Gestaltung der weiter bestehenden „Beziehungen zu fremden Wirtschaften“ unerlässlich. Es „kommt in der Zukunft darauf an, daß die Gestaltung dieser Beziehungen nicht wie bisher dem blinden Zufall oder, was dasselbe ist: dem Gutdünken profitsuchender Einzelwirtschaften überlassen bleiben darf, sondern ebenfalls der Regelung durch die überindividuelle Vernunft, d.h. dem Staat, unterstellt werden muß“ (ebd. 325).
Sombart stellt nicht nur den Druck der Konkurrenz, der zur endlosen Erhöhung von Produktivität und Profit und zum Wirtschaftswachstum zwingt, in Frage, sondern auch den menschlichen Sinn übertriebener Technisierung und Produktivitätssteigerung, ohne dass ich hier auf seine Überlegungen zur ‚Zähmung der Technik’ (Sombart 1934, 244 - 266) eingehen könnte. Sie nehmen manche heutige Ideen der Technikfolgenabschätzung und -bewertung vorweg.
Schon vor der Kritik daran, isoliert Produktivitätssteigerung zum Maßstab zu erheben, schon vor der normativen Wertung der am Profit orientierten Konkurrenz und der auf sie ausgerichteten Produktivitätsentwicklung, auch schon vor der ökologischen Beurteilung von „Effizienz als Destruktivkraft“ (Sachs 2000) steht ein vergleichsweise immanentes Argument: Selbst notwendige Produktivitätsentwicklungen werden dadurch verhindert, dass sozialdarwinistisch das Fortkommen des Siegers und nicht die Förderung endogener Entwicklungspotentiale auch auf ‚niedrigerem’ Niveau im Vordergrund steht. Wer in der internationalen Konkurrenz unterliegt, kann oft nicht einmal mehr im eigenen Land auf teurere Weise technisch vielleicht nicht so – wie auch immer – entwickelte Produkte produzieren, sondern wird durch die Produkte der Gewinner überschwemmt. Die einseitige Ausnutzung bestimmter Stoffe und volkswirtschaftlicher Segmente der Peripherien durch die Metropolen verhindert eine aufeinander abgestimmte und eine – bereits immanent gemessen am Florieren einer kapitalistischen Nation – sich positiv rückkoppelnde Arbeitsteilung in der ‚zurückgebliebenen’ Ökonomie. Weniger der ‚Werttransfer’ von den Peripherien in die Metropolen ist dann das Problem der Peripherien als ihr höchst partikulares Einbezogensein in den Weltmarkt und die landesinterne Desynchronisierung und Desintegration (von Produktion, Nachfrage, Sozialverhältnissen usw.).
Sombart sieht die Voraussetzung der gegenwärtigen weltweiten Wirtschaftsbeziehungen schwinden mit der „Industrialisierung der Agrarvölker“. „Die Aufnahmefähigkeit dieser Völker an Industrieerzeugnissen wird sich verringern, der Industrieexport Westeuropas wird zusammenschrumpfen“ (ebd. 25). Wenn man nun heute einwenden kann, diese Industrialisierung sei nur sehr begrenzt zustandegekommen, so verfehlt man Sombarts eher normatives Argument, das den nichtindustrialisierten Völkern Industrialisierung zugesteht als Mittel zur „’Emanzipation der Farbigen’“ (ebd. 26). Sombart sieht diese Emanzipation bereits zu seiner Zeit in vollem Gang und beschreibt sozusagen hypothetisch und konjunktivisch die Bedingungen einer gelingenden Entfaltung der 3. Welt: „Die jungkapitalistischen Länder werden sich ihren Produktionsmittelapparat im wesentlichen aus eigener Kraft aufbauen und werden auf die Einfuhr – vielleicht nach einer kurzen Übergangsperiode – mehr und mehr verzichten müssen, aus dem einfachen Grunde, weil sie keine Gegenwerte für die einzuführenden Industrieerzeugnisse zu bieten haben: sie haben aber keine Gegenwerte, weil sie nicht gleichzeitig ihre eigene Industrie aufbauen u n d Rohstoffe und Nahrungsmittel nach Europa ausführen können, oder anders ausgedrückt: auf derselben Agrarbasis können nicht zwei Industriesysteme sich aufbauen, das eigene und das europäische“ (ebd. 26). Daß „die Agrarländer uns hundert Jahre lang nur deshalb mit so billigen Bodenerzeugnissen versorgen konnten, weil sie Raubbau getrieben haben, und weil die landbauende Bevölkerung der eigenen Länder sich nicht satt gegessen hat“ – „beides ist in der Zukunft nicht mehr zu erwarten“ (ebd. 26). Weniger interessant dürften hier die empirisch problematischen Voraussagen Sombarts sein (vgl. bereits die überzeugende zeitgenössische Kritik bei Baumann 1933) als die normative Perspektive „für die Volkswirtschaften der altkapitalistischen Länder“ (Sombart 1932, 26). Es handelt sich um den „Zwang, sich zu resignieren und dasselbe zu tun, was die früher von ihnen abhängigen Volkswirtschaften zu tun im Begriffe sind: sich auf sich selbst zurückzuziehen“ (ebd.). Das dafür einschlägige, wenn auch durch seine Vieldeutigkeit in Verruf geratene Fremdwort sei die „Autarkisierung“.
Mit Autarkie meint Sombart sinnvollerweise keine vollständige Verselbständigung einer Volkswirtschaft, in der sie „sich aller und jeder internationalen Beziehung entschlage“ (ebd. 27), und bezieht sie auch nicht auf jede Volkswirtschaft. Vielmehr „werden die kleinen Volkswirtschaften ohne Zweifel sich zu Wirtschaftsblocks zusammenschließen, die eine genügend breite Grundlage bilden, um eine einigermaßen selbstgenügsame Volkswirtschaft aufbauen zu können“ (ebd. 27). Im Mittelpunkt stünde „eine zielbewußte, planmäßige Gestaltung auch der zwischenstaatlichen Wirtschaftsvorgänge von einem nationalen Mittelpunkt aus. Wir müssen vermeiden, in Zustände hineinzugeraten, burschikos ausgedrückt: hineinzuschliddern, unter denen wir später zu leiden haben. Selbstherrliche Bestimmung unseres Schicksals auch auf dem Weltmarkte wird unser Ziel sein müssen. Dieses Ziel kann aber niemals auf dem Wege der Zufallsverknüpfung, das heißt aber des Freihandels erreicht werden“ (ebd. 27). „Nicht Freihandel und Meistbegünstigung, sondern Handelsverträge, Zollunion, Präferenzzölle, Kontingentierungen etc. werden die Kategorien sein, in denen die internationalen Beziehungen der Zukunft gedacht werden“ (ebd. 28). Insofern gilt „Autarchie“ (Selbstbestimmung) Sombart für den besseren Ausdruck als Autarkie (ebd. 28). „In sachlicher Beziehung autark würde ich schon eine Volksgemeinschaft nennen, die nicht in schlechthinniger Abhängigkeit von den Beziehungen mit fremden Völkern steht, d. h eine solche, die auswärtigen Handel zu treiben nicht genötigt ist im Hinblick auf ihre Existenz, sondern die nach freiem Ermessen das ein- und ausführt, was ihr gut dünkt“ (ebd. 28). Sombart zitiert diesbezüglich Schleiermacher (Sittenlehre § 276): „Denn wenn auch der Staat sich nicht isolieren soll; so gehört doch zu seiner Freiheit das Gefühl, daß er sich isolieren kann“ (Sombart 1934, 287). Sombart verneint nicht das Fortbestehen von „Beziehungen zu fremden Wirtschaften …, aber darauf kommt es in der Zukunft an, daß die Gestaltung dieser Beziehungen nicht wie bisher dem blinden Zufall oder, was dasselbe ist: dem Gutdünken profitsuchender Einzelwirtschaften überlassen bleiben darf, sondern ebenfalls der Regelung durch die überindividuelle Vernunft, d.h. den Staat, unterstellt werden muß“ (Sombart 1934, 325).
Mit Sombarts Überlegungen zum Primat der Binnenwirtschaft konvergiert auch ein Aufruf von Eurosolar (Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien), der als ganzseitige Anzeige in der ‚Tageszeitung’ vom 27.4.2002 erschien (vgl. auch www.eurosolar.org). Dieser Aufruf trägt die Überschrift ‚Weg vom Öl – Friedenssicherung, Umweltschutz und neue Wirtschaftsstabilität durch Erneuerbare Energien’. Sombart geht nur sehr kurz auf die heute stärker im Vordergrund stehende Angewiesenheit der Volkswirtschaft auf den Import von Rohstoffen (Erdöl) ein: „Die völlige Autarkisierung würde hier technisch keine Schwierigkeiten bereiten, da durch Hydrierung von Kohlen jeder Bedarf an Mineralölen auf dem Wege über die Steinkohle und Braunkohle gedeckt werden kann“ (Sombart 1934,291). An der gleichen Stelle mischt sich auch das von Dr.-Ing. F. Lawaczeck verfaßte NSDAP-Arbeitsbeschaffungsprogramm von 1932 ‚Technik und Wirtschaft im Dritten Reich’ ein. Michael Walz (1979) erläutert dessen Charakter in der linksliberalen Zeitschrift ‚Ästhetik und Kommunikation’ als technisch nicht unrealistisch und erst heute wieder aktuell werdend sowie auf Verstaatlichung der Energiewirtschaft und auf Verkleinerung der Betriebe abzielend. Allerdings wurden dies Programm ebenso wie G. Feders Reagrarisierungspläne (vgl. ebd.) nach dem sog. Röhm-Putsch ad acta gelegt. Der in der Vorbereitung des Assuanstaudamms bekannt gewordene Turbinenexperte Lawaczeck emigrierte nach Schweden.
Auch bei den Grünen heißt die Überschrift einer Tagung „Energien für morgen: Vom Öl zum solaren Wasserstoff“ (taz 4.3.2002, S. 8). Die Hauptthese des einschlägigen Positionspapiers: „Solar erzeugter Wasserstoff kann der neue Primärenergieträger sein, der speicherbar und transportierbar ist und Gas, Kohle und Öl ersetzt“ (ebd.). Allerdings findet sich bei den Grünen kein derart weit ausgearbeitetes und durchdachtes Konzept wie bei Hermann Scheer. Er ist Mitglied des Deutschen Bundestags und des Parteivorstands der SPD. Scheer sieht die „härteste Bedingung“ der Globalisierung, „die Abhängigkeit aller Volkswirtschaften von wenigen Standorten der Ressourcenschöpfung“, als umkehrbar an (Scheer 2001, IV). Scheer attackiert das Dogma der Unersetzbarkeit der bisher zentralen Ressourcen. Er zeigt in seinem Buch über die ‚solare Weltwirtschaft’ (1999), „daß es möglich ist, alle fossilen Energien einschließlich der Atomenergie und ebenso alle fossilen Rohstoffe durch erneuerbare Energien und erneuerbare Rohstoffe zu ersetzen, die jeweils regional gewonnen werden können. Dies würde dazu führen, daß der globale Prozeß der Entkoppelung der Räume des Ressourcenverbrauchs von denen der Ressourcengewinnung umgekehrt würde – hin zu einer räumlichen Rückkoppelung“ (Scheer 2001, IV). In der Technik der Energiegewinnung konvergieren Scheer zufolge Lösungen, die für die ökologische Problematik ebenso zentral sind wie für die Globalisierungs- bzw. Regionalisierungsproblematik und für die Frage nach den Bedingungen von Gesellschaftsgestaltung. Ganz im Sinne der hier vorgetragenen Überlegungen Sombarts, allerdings mit besseren heutigen Begründungsmöglichkeiten, beschreibt Scheer einen zentralen Einwirkungs’punkt’: „Ressourcenwirtschaft als elementare Bedingung jedweden Wirtschaftens darf keinem internationalisierten Markt- und damit potenziellen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sein, weil sonst potenziell jede Volkswirtschaft den Boden unter ihren Füßen verliert. Dies gilt für Energie, für den Agrarsektor, für die Wasser- und Bodenbewirtschaftung“ (Scheer 2001, VI). Scheer betont gegenüber den von ‚Attac’ erhobenen Forderungen nach politischer Kontrolle über die internationalen Finanzmärkte und Besteuerung von Finanztransfers, daß diese Vorschläge zwar richtig seien, aber „das Grundproblem nicht lösen“ (ebda.). „Was wir brauchen, ist zum einen die Rekonstituierung öffentlicher Institutionen nach dem Grundsatz ihrer demokratischen Überschau- und Kontrollierbarkeit und zum anderen die Aufkündigung der vertraglich gestützten Hegemonie der global liberalisierten Wettbewerbsordnung“ (ebda.). Scheer fordert, daß „es jeder Gesellschaft möglich sein“ muß, „die Sicherung ihrer Ressourcengrundlage vom Zwang globaler Marktgleichheit zu befreien“ (ebda.). Als „Leitmotiv“ schwebt ihm „Globaler Technikmarkt – regionaler Ressourcenmarkt“ vor. Es geht um „die Möglichkeit, heimische Ressourcen vor importierten zu privilegieren – aber nur für den eigenen Bedarf, nicht für den Export. Konkret bedeutet dies: Die Privilegierung erneuerbarer Energien im eigenen Land muß ebenso erlaubt sein wie eine Subventionierung der eigenen Landwirtschaft – aber eben nicht die Subventionierung von Agrarexporten“ (ebda.). Insofern ist es folgerichtig, sich gegen die „Privilegierung des Flug- und Schiffsverkehrs durch die Steuerbefreiung der Treibstoffe“ zu wenden, da sie „einer Diskriminierung des Landverkehrs und damit der mehr regionalen Vermarktungsströme gleichkommt“ (ebda.). Scheer sieht in der „Substituierung fossiler Ressourcen durch solare Ressourcen“ den „unbedingten Globalisierungszwang“ von den Volkswirtschaften genommen (ebda.).
Sombarts Vorstellungen zielen auf keine vollständige Autarkie ab. Deutschlands Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen verträgt sich – wenn man Sombarts Position weiter denkt – mit der von ihm begrüßten Perspektive einer Entwicklung der Länder der sog. 3. Welt einerseits und einem Abbau von Verdrängungswettbewerb andererseits. Die Ausdünnung der Beziehungen zwischen den dann autonomen Nationen ermöglicht es erst, so die Reihenfolge bei Sombart, die ungleichmäßige Entwicklung der Nationen zu überwinden.
In der Richtung einer ökologischen Umsteuerung der Wirtschaft und im Trend künstlicher Herstellung von Rohstoffen (Substitution) liegt eine Verringerung der Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten. Zudem ließe sich historisch feststellen, daß insbesondere zwischen den Industrienationen zunehmend solche Produkte ausgetauscht werden, die der gleichen Herstellungs- und Verwendungsklasse angehören. Frankreich exportiert dann bspw. Renaults und Deutschland Volkswagen. Dieser sog. intraindustrielle oder intrasektorale Handel (etwa die Hälfte des Welthandels – Sachs 2000, 981) führt zu einer Angleichung der Import- und Exportstruktur eines Landes und senkt tendenziell die Bedeutung des Handels mit jenen Gütern, die aufgrund natürlicher Gegebenheiten sich in den jeweiligen Ländern nicht herstellen lassen.
Bei Sombart steht eine Gewichtung im Vordergrund, die die monetären Kosten und Gewinne übersteigt und die Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen per Binnenorientierung im Unterschied zur Ausgeliefertheit an die Zufälle des Weltmarkts und an die unendliche Flucht nach vorne in der Konkurrenz für wesentlicher erachtet, als dies Ökonomen üblicherweise tun. Ernst Wilhelm Eschmann, Redakteur der für die ‚Konservative Revolution’ zentralen Zeitschrift ‚Tat’, gilt Sombart als „der einzige unter den großen Nationalökonomen, der gegenüber der Wirtschaft die Souveränität des Menschen betont hat“ (zit. n. Lenger 1994, 356). Insoweit, wenn überhaupt, der intraindustrielle Austausch nicht nur betriebswirtschaftliche, sondern volkswirtschaftliche Kostenvorteile mit sich bringt, bilden sie nicht den einzigen Posten in der nationalen Bilanz, sondern müssen mit dem mit ihnen möglicherweise einhergehenden Verlust an gesellschaftlicher Gestaltungskraft ‚verrechnet’ werden. Gegenwärtig ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit das Kriterium, das schon das Nachdenken über eine an inhaltlichen Werten orientierte praktische Gestaltung der Gesellschaft pragmatisch als nutzlos erscheinen läßt. Auch insofern ist die Suche nach Möglichkeiten zum Umsteuern von der Weltmarktorientierung zur Binnenmarktorientierung aktueller denn je. Allerdings wurde diese Perspektive insbesondere in der grünen Partei, in der sie schon weit ausgearbeitet war (s. bspw. der grüne MdB Stratmann 1985), völlig an den Rand gedrängt. Die Grünen stellen sich auf den Weltmarkt als Sachzwang ein, obwohl es selbst im ‚Economist’ heißt: Die Globalisierungsgegner „haben Recht, daß die Globalisierung, so machtvoll die sie tragenden Energien auch sein mögen, zurückgedreht werden kann. … Die internationale ökonomische Integration ist kein unausweichlicher Prozeß, wie viele ihrer enthusiastischen Fürsprecher zu glauben scheinen. Sie ist eine von mehreren möglichen Zukünften für die Weltökonomie; andere Wege können eingeschlagen werden und erscheinen sogar eher wahrscheinlich“ (Zit. n. Bello 2001).
Wer Sombarts Band ‚Deutscher Sozialismus’ schon auf Grund von Ort und Zeitpunkt seines Erscheinens (1934) und auch aufgrund einiger sich an den NS anbiedernder Formulierungen als diskreditiert erachtet, kann sich bei Lenger (1994, 366ff.), Reheis (2000), Brocke (1987, 52ff.) und Sieferle (1995) über die massiven Differenzen zwischen den im ‚Deutschen Sozialismus’ von Sombart dargelegten Konzepten und dem Nationalsozialismus informieren. Auch eine zeitgenössische Dokumentation vergegenwärtigt die Unterschiede (Deutscher Sozialismus im Urteil der Presse. Ein Zeitbild, zusammengestellt von den Verlegern, Berlin 1935). Heinz Maus, der Max Horkheimer nahe stand und 1949 in Ost-Berlin Assistent bei Ernst Niekisch war, einem im Kontext der ‚Konservativen Revolution’ wichtigen Autor, schreibt, Sombarts ‚Deutscher Sozialismus’ habe „eher den konservativen Gegenkräften des Nationalsozialismus … helfen wollen, als daß er darum zu einem Überläufer gestempelt werden dürfte“ (Maus 1959,77). Gerade für die Vergangenheitsbewältigung gehört eine Lektüre von Sombarts ‚Deutschem Sozialismus’ zum Pflichtprogramm, wenn man den NS nicht von seinem menschheitsgeschichtlich gravierendsten Effekt, der Judenvernichtung, auffaßt, sondern sich den Motiven nähern will, die im Ausgang der 20er Jahre für Nichtrassisten eine ‚Konservative Revolution’ als Alternative zum für gescheitert erklärten Kapitalismus und zum abgelehnten Bolschewismus attraktiv erscheinen ließ. Ich klammere schon aus Platzgründen die Diskussion aus, inwieweit die hier hervorgehobenen Momente von Sombarts (und auf andere Weise auch Spanns) Denken mit anderen Momenten (etwa der normativen Festschreibung von Ungleichheit, einer die Masse zu ihrem Glück zwingenden Elite, der notwendigerweise von oben erfolgenden Neuordnung – s. Sombart 1934, 176, 212, 274- 277) eine unauflösbare Einheit bilden und inwiefern dies Denken trotz vieler manifester Differenzen zum NS latent ihn praktisch begünstigte. Gegen voreilig-subsumtive Vereindeutigungen und Identifizierungen wäre daran zu erinnern, daß „es kontraproduktiv ist, das potentiell Einbindbare als immer schon Eingebundenes zu denunzieren“ (Haug 1992,45).
Sombart sieht im Unterschied zum nationalsozialistischen Expansionismus drei Mittel dafür, das Primat der Binnenwirtschaft zu erreichen: „Umstellung des Verbrauchs; Steigerung der landwirtschaftlichen und bergbaulichen Eigenproduktion im Rahmen der bestehenden Ordnung und Umgestaltung dieser Ordnung selbst“ (Sombart 1928,VIII). Sombart verortet in der „Urproduktion, und zwar wie die Dinge liegen, in der Sphäre der organischen Urproduktion, in der Landwirtschaft“, den Anstoß zur „Konsolidierung der Volkswirtschaft“ (Sombart 1933). Reagrarisierungsperspektiven werden vom in Kreisen der verbliebenen Alternativszene populären Schweizer PM (1997) der Sache nach zeitgemäß konkretisiert. Reagrarisierungsüberlegungen sind weder notwendig an Sombarts Ziel geknüpft, den Anteil der landwirtschaftlichen Beschäftigten an der Erwerbsbevölkerung auf 40 - 45% zu steigern, noch an sein (an Aristoteles anknüpfendes) Credo, „daß für den Staat .. die landwirtschaftliche Bevölkerung wertvoller und notwendiger ist als die gewerbliche-handelstreibende-städtische“ (Sombart 1934, 292f.).
Mit der Konzentration der staatlichen Mittel „restlos für Zwecke der landwirtschaftlichen Produktion“ verbindet sich bei Sombart eine Kritik an alternativen Verwendungsmöglichkeiten. Den „Ausbau luxuriöser Autostraßen“ sowie die „Förderung der Luftschiffahrt“ hält er für bloße zurückzustellende „Annehmlichkeiten und Luxusbedürfnisse“ (Sombart 1933,28f.). Der „Umstellung des Verbrauchs“ kommt Sombart zufolge schon deshalb besondere Bedeutung zu, „weil sich an keinem anderen Teile des Problems so deutlich wie hier erweist, wie sehr der Entscheid für eines der Ziele oder einen der Wege letzten Endes in den höchstpersönlichen Werten des einzelnen verankert ist“ (Sombart 1928, X). Es wird deutlich, daß für Sombart „Autarkie nicht Mittel äußerer Machtpolitik, sondern primär der Weg zu innerer Reform war“ (Lenger 1994, 354). Dem entspricht bei Sombart eine umfassende Kritik an der kapitalistischen Warenproduktion und -konsumtion, die ebenso heutige ökologische Nachhaltigkeitsstandards wie das Paradigma einer ‚Kreativität der Langsamkeit’ (Reheis 1996) vorwegnimmt (vgl. besonders das zweite und dritte Kapitel von Sombart 1934).
„Zweifellos wird eine Versorgung Deutschlands aus eigenen Mitteln vielfach nicht so vollkommen und vor allem nicht so billig erfolgen können, wie es der Fall war, als man gemäß dem ‚Freihandelsargument’ die Güter von dort bezog, wo sie am billigsten und am besten hergestellt werden können“ (ebd. 292). Der Verzicht auf Annehmlichkeiten sei aber eingebettet in eine Kurskorrektur, die zu weniger Hast, sinnvollerer Arbeit (ebd. 18), geringeren ökologischen Schäden, also zu mehr Lebensqualität führe.
Wer nicht auf eine politische Gestaltung von sozialen Gebilden mit einer Größenordnung hofft, die gerade jedwede politische Regulation von unten aufs Stärkste erschwert (vgl. für Argumente zur Kritik des illusorischen und wenig wünschenswerten Charakters einer Weltrepublik Creydt 1998), kann sich vergegenwärtigen, daß es Perspektiven gibt, die jener erpresserischen Alternative entgehen, nach der die auf kleinere Räume bezogene Ökonomie notwendig zur sozialen Regression führe. Das hohe Niveau der Produktivkräfte und die ebenso überkomplexe wie überregionale Arbeitsteilung sind nicht notwendig miteinander verknüpft. Die sehr stark Ressourcen verbrauchende, da transportintensive Relationierung billiger Zulieferer, Rohstoffe und Arbeitskräfte mit Produktionen und Abnehmern auf anderen Erdteilen des Globus ist kapitalistischen Ursprungs und nicht umstandslose Notwendigkeit moderner Gemeinwesen. Es erscheint beim aktuellen Stand der Produktivkräfte ebenso möglich wie sinnvoll, Produktionskreisläufe zu dezentralisieren. Noch zu Zeiten des Fordismus war die Vorstellung realitätshaltiger, die zentralisierte Massenproduktion, die Fließbandtechnologie und die monostrukturelle Zurichtung ganzer Regionen seien unabdingbare Voraussetzungen hoher Produktivität. Die Dezentralisierung der Lebenszusammenhänge konnte nur vorgestellt werden als Rückkehr zur bäuerlich-handwerklichen Lebensweise. Verschiedene heute diskutierte Konzepte und Ansätze zu Bereichen wie Energieversorgung, Landwirtschaft, Verkehrswesen, Siedlungsarchitektur beinhalten, sie ‚verbrauchsnah’ dezentral zu verorten – unter Voraussetzung einer intelligent darauf abgestimmten überregionalen Infrastruktur. Einzelne (eher: lokale und regionale) Bereiche wären dann „intern stark verknüpft“, während national und international „der Vernetzungsgrad zwischen diesen Bereichen nur aus wenigen, ausgewählten Beziehungen“ bestehe (Vester 1984,41).
Auch am Rande der grünen Partei wird von einem in der Wochenzeitung ‚Freitag’ präsenten Autor für eine „gezielte Rekonstruktion ökonomischer Verflechtungs- und Netzwerkstrukturen innerhalb der Regionen“ plädiert: „Durch die Stärkung regionaler Austausch-, Zuliefer-, und Verflechtungsstrukturen verlöre der ‚Dämon Weltmarkt’ viel von seinem Schrecken, weil nur ein kleinerer Teil der Produktion direkt für den Weltmarkt hergestellt wird. … Durch öffentliche Zuschüsse künstlich verbilligte Transportkapazitäten und Kommunikationsnetze, staatlich subventionierte Energie und Grundstückspreise, die erzwungene räumliche Mobilität der Beschäftigten, und die einseitig auf Fernabsatz orientierten Wirtschaftsförderstrategien haben dazu geführt, daß viele historisch gewachsene regionale Vernetzungsstrukturen zerschlagen wurden. Statt dessen hat sich eine ökologisch und wohlfahrtsökonomisch aberwitzige Arbeitsteilungsstruktur herausgebildet, in der die wirklichen geographischen Räume durch die virtuellen Räume der weltweiten Finanzspekulation und Computernetzwerke ersetzt werden“ (Brüggen 1995,10).
Demokratische und ökologische Perspektiven konvergieren dem bekannten Soziologen Claus Offe zufolge in der „Verkürzung der sachlichen, sozialen und zeitlichen Distanz zwischen Handlungen und Handlungsfolgen auf jenes Maß, das es überhaupt erst erlaubt, die Qualität jenes Zusammenhangs kognitiv zu erfassen und wie auch immer politisch-moralisch zu beurteilen. Soziale, politische und ökonomische Handlungssysteme können durchaus in der Weise umgebaut werden, daß ihren Akteuren die Reflexion auf die Fernwirkungen ihres Handelns bzw. die Beweislast für die Vertretbarkeit derselben nahegelegt wird, und daß sie umgekehrt aus der direkten Abhängigkeit von den Vorgaben anderer Handlungssysteme herausgelöst werden. Eine solche Verdünnung von Externalitäten und Abhängigkeiten wird in sozialwissenschaftlich begründeten Steuerungskonzepten zunehmend mit Begriffen wie ‚self-reliance’ bzw. ‚autozentrierte Entwicklung’ (in der Entwicklungssoziologie), ‚loose coupling’ (in der Organisationssoziologie) oder Dezentralisierung bzw. ‚devolution’ (in der Politischen Soziologie) erörtert. Dabei ist der gemeinsame Grundgedanke, soziale Systeme so umzubauen, daß sie ihre Umwelt weniger mit Folgeproblemen belasten und gleichzeitig selbst ihrer Umwelt gegenüber autonomer werden, wovon man sich dann insgesamt eine Ermäßigung von Koordinationsproblemen und Steuerungsbedarfen versprechen kann“ (Offe 1986, 114f.).
Demgegenüber erhöht die von manchen angestrebte ‚Global Governance’ den Abstand zwischen den Repräsentanten und den Repräsentierten. In Deutschland kommt auf 800.000 Wähler ein Europaabgeordneter. „Der Prozess der Entmündigung kommunaler, regionaler und nationaler Verfassungsorgane in immer mehr Gestaltungsaufgaben ist es, der es immer mehr Menschen überflüssig erscheinen läßt, überhaupt noch zur Wahl zu gehen. Nicht nur wegen des sich ständig erweiternden wirtschaftlichen Erpressungspotenzials transnationaler Konzerne gegenüber Ländern und Regionen, sondern wegen der zunehmenden Entfernung und damit Nichtgreifbarkeit der politischen Entscheider und der Anonymisierung der Entscheidungsprozesse wächst die Politik- und Demokratieverdrossenheit…“ (Scheer 2001, III).
Die hier profilierte Regionalisierung unterscheidet sich vom Protektionismus oder der Formierung von Wirtschaftsblöcken, die sich auf die Konkurrenz am Weltmarkt ausrichten, sich also positiv auf ihn einstellen, statt auf eine weltweite Raumordnung, die den Rückbau und die Entmächtigung des Weltmarktes beinhaltet: „Die Dekonnexion bedeutet für mich die Unterwerfung der äußeren Beziehungen unter die Logik einer internen Entwicklung. Es ist das Gegenkonzept zu dem zur Mode gewordenen Weltbankmodell der Strukturanpassung. Die Strukturanpassung erfolgt stets einseitig, es ist die Anpassung der Schwachen an die Erfordernisse der Starken. … Es wäre eine auto-zentrierte Entwicklung in einem mittelgroßen Rahmen vorstellbar, bspw. dem Zusammenschluß von mehreren Nationen oder Ländern der Dritten Welt. So große Länder wie China oder Indien und eine Reihe größerer Staaten des Südens könnten hier eine Vorreiterrolle spielen“ (Amin 1995, 36).
Innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung(en) stellt sich die Frage, inwieweit sich auf eine Demokratisierung bestehender Organisationen setzen läßt. Walden Bello (2001) von der einflußreichen thailändischen Nichtregierungsorganisation ‘Focus on the Global South’ tritt demgegenüber für „Deglobalisation“ ein. Bestehende weltweite Organisationen sollen entmachtet und die regionale und kontinentale Kooperation von Ökonomien verstärkt werden. Zwar bedarf es internationaler Absprachen, ihr Ziel muß aber sein, die „Notwendigkeit übergreifender Entscheidungen und Regulierungen zu vermindern“ und „die eigenständige politische Kompetenz lokaler und regionaler Einheiten zu Lasten von Staaten und internationalen Organisation zu stärken“ (Görg, Hirsch 1998,341).
Notwendige Bedingung für das Primat der Binnenwirtschaft ist nicht die Abkopplung vom weiterhin dominanten Weltmarkt, sondern dessen Überwindung durch die Konzentration v.a. auch der Metropolenländer auf die Binnenwirtschaft. Insofern ist es eine Themaverfehlung, mit den bisherigen Versuchen nationaler Abschottung gegenüber dem Weltmarkt dessen Überwindung zu delegitimieren. Diese Versuche betrafen bislang ökonomisch unterlegene Regionen. Zudem waren die SU und ihre Verbündeten in einen militärischen Überbietungszwang auf dem Gebiet der Hochtechnologien eingespannt, der ihnen überproportional mehr Reichtumstransfer in den Rüstungsbereich als dem entwickelteren Westen abnötigte. Das Primat der Binnenwirtschaft und die gesellschaftliche Selbstgestaltung in einem bestimmten Raum können allein resultieren aus konvergierenden Prozessen, die die Mehrheit der ökonomisch führenden Nationen ergreifen.
Weniger die Veränderung der Politik von IWF, Weltbank usw., sondern die Einschränkung ihrer Befugnisse erscheint manchen als Perspektive. Sie treten dafür ein, daß die verschiedenen Ökonomien nicht dem blinden Überbietungsrennen unterworfen werden. Es geht um die „Diversität“ (Bello 2001) verschiedener Ökonomien, die die unter verschiedenen natürlichen Bedingungen und auf verschiedenen Entwicklungslevels operierenden Ökonomien nicht einem Standard subsumiert. Bellos in der globalisierungskritischen Bewegung zur Zeit vieldiskutierte Vorschläge zur „Deglobalisation“ knüpfen der Sache nach an Sombarts Überlegungen zum Primat der Binnenwirtschaft an.
Wer gegenüber den in puncto Weltmarkt besonders hartnäckigen Dogmen und Tabus und gegenüber der normativen Kraft des Faktischen (‚there ist no alternative’ – Thatcher) Abstand und die für die Freiheit des Denkens unumgängliche Kontexterweiterung sucht, wird in Sombarts Überlegungen einen, wie Habermas sagen würde, „in seinem Anregungspotential nicht ausgeschöpften“ Beitrag sehen können. Pragmatisch sich von den massiven Problemen einer Überwindung der Dominanz des Weltmarkts Rechenschaft abzulegen ist das eine. Etwas anderes ist es, von diesen Hindernissen der Gesellschaftsgestaltung (als Teilmenge ihrer von mir im Zusammenhang analysierten Probleme, vgl. Creydt 2000) sich das Nachdenken über sie verstellen zu lassen. Die allgegenwärtige Feier von Pluralismus und Gedankenfreiheit übersieht, wie einfach es ist, dort undogmatisch zu sein, wo die Dogmen bereits ohnehin schon aufgeweicht erscheinen oder wo von ihnen nicht viel abhängt. Angesichts der festsitzenden Dogmen in puncto Unumkehrbarkeit des Weltmarkts ist es nützlich, davon abweichende Auffassungen zur Kenntnis zu nehmen.
Literatur:
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Görg, Christoph; Hirsch, Joachim 1998: Chancen für eine ‚internationale Demokratie’? In: Das Argument Nr. 225, H. 3
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Online auch unter:
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