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In: Junge Welt, 22.6. 2023, S. 12f. plus zwei Anhänge

Vor 40 Jahren wurde das Buch „Frauen, die letzte Kolonie“ veröffentlicht (Werlhof u. a. 1983), das als Gründungsdokument des sog. Ökofeminismus gelten kann. In manchen feministischen und globalisierungskritischen Kreisen stößt diese Denkweise nach wie vor auf Resonanz. Ihre zentrale Vertreterin, Maria Mies, ist am 15. 5. im Alter von 92 Jahren verstorben. Sie unterrichtete von 1972-1993 als Professorin im Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule Köln. 1975 gründete sie zusammen mit Studentinnen das erste autonome Frauenhaus in Köln.

Der Sündenfall im Geschlechterverhältnis
Für Mies beginnt alles mit einem grundlegend unterschiedlichen „Gegenstandsbezug“ (Mies 1988, 67) von Frauen und Männern in der Frühgeschichte der Menschheit. Frauen gebären Kinder und stillen sie. Hinzu komme ihre Betätigung im Hack- oder Gartenbau. Diese sehr leibnahen Betätigungen erhebt Mies zum Maßstab. Männer erscheinen dagegen als Minusvariante: „Männer können ihren eigenen Körper nicht in der gleichen Weise als produktiv verstehen wie Frauen, da sie nichts Neues aus ihrem Körper hervorbringen“ (Ebd., 71). Die Entwicklung körperlicher Fähigkeiten und Sinne des Menschen im Umgang mit Werkzeugen und Produktionsmitteln fällt bei Mies unter den Tisch. Während die Frauen naturnah bleiben, haben – Mies zufolge – die Männer am Anfang der Menschheitsgeschichte vor allem mit Waffen zu tun (in der Jagd oder im Krieg). Das bleibe so bis in die Gegenwart. In Bezug auf heutige Männer spricht Mies von „ihrer durch das Kriegspielen und ihren Maschinenfetischismus zerstörten Sinnlichkeit“ (Ebd., 291). Das binäre Denken von Mies in Bezug auf Frau und Mann konstruiert zwei reine Gegenpole und schreibt sie fest. Dieses Denken kennt nur schwarz und weiß, keine Schattierungen und keine Gemeinsamkeiten.

Für das weibliche Arbeitsvermögen hält Mies es für „entscheidend, dass auch die äußere Natur als lebendiger und beseelter Organismus verstanden wurde. Die Beziehung der Frauen zu Erde, Wasser, Pflanzen und Tieren war quasi eine von Frau zu Frau, von einem geistbegabten Wesen zu anderen mit anderen Geistern begabten Wesen. Etwas Neues hervorbringen (produzieren) gelang nur, wenn frau ‚mit der Natur mitwirkte‘, wie meine Mutter sagte. Dieses Mit-der-Natur-Mitwirken bezog sich auf den eigenen Körper als auch auf die äußere Natur. In diesem Begriff der Mitwirkung ist ausgedrückt, dass wir zwar auf die eigene und äußere Natur einwirken, aber eben nicht, dass wir sie uns unterwerfen, oder gar zwingen sollten oder könnten“ (Ebd., 68).

Für das sprunghaft-assoziative Denken von Mies ist diese Passage typisch. Bewertungen und die Beschreibung von vermeintlichen Tatsachen vermischen sich. Unvermittelt wechselt die Autorin von der fernen Vergangenheit einer Urzeit zu ihrer Mutter. Die äußere Natur als lebendigen und beseelten Organismus zu verstehen war bis einschließlich des mittelalterlichen Weltbildes üblich (vgl. Gurjewitsch 1978, Oesterdiekhoff 1992) und taugt nicht als Unterscheidungsmerkmal zwischen Männern und Frauen.

Ignoranz gegenüber der Technik
Gebären und das Kind stillen stehen bei Mies und ihren Kolleginnen normativ weit oben, Technik weit unten. Mies und Shiva (1995, 190) verbinden damit eine historische Diagnose: „Je mehr die Technik ‚fortschreitet‘, […] umso abstrakter wird das Verhältnis zur Natur, umso fremder wird dem Mann sein eigener sterblicher Körper.“ Ausgeblendet bleibt die Frage: Wie lassen sich Hunger, hohe Sterblichkeit, ein geringes durchschnittliches Lebensalter sowie die Angst vor der Vernichtung des Hauses bei jedem Gewitter vor der Einführung des Blitzableiters überwinden ohne einen hohen Entwicklungsstand von naturwissenschaftlicher bzw. technologischer Abstraktion? Mies und ihre Kolleginnen schreiben der technologischen Entwicklung einen geringen Wert zu. Dem entspricht ihre Bewunderung für die Subsistenzarbeit. Mehr als Subsistenzproduktion brauche es nicht. Diese Haltung führt auch zu so bemerkenswerten Überschriften wie „Die Stadt – ein Parasit“ (Mies, Bennholdt-Thomsen 1997, 139).

Mies hat einen recht speziellen Blick auf die Entwicklung der Arbeitsmittel und Werkzeuge von Bauern. Sie meint, „das erste männliche Organ, das Prominenz als Symbol männlicher Produktivkraft erlangte, war nicht die Hand, sondern der Phallus. Das geschah wahrscheinlich, als der Pflug – als männliches Werkzeug – den Grabstock und die Hacke der frühen weiblichen Hackbaukulturen verdrängte“ (Mies 1988, 72). Der Pflug kommt bei ihr nicht als ein Produktionsmittel vor, dessen Gebrauch auch das Leben der weiblichen Mitglieder der Bauernfamilie nachhaltig verbessert, sondern ausschließlich als ein Kriegsmittel der Männer im Kampf gegen die Frauen. Mies schließt von einer sexualisierenden Weise in Indien, über den Pflug zu reden, – als „Penis“, mit dem „die Erde“ (= „die Frau“)‚ bearbeitet werde (ebd.) – , auf die für den Pflug charakteristischen Eigenschaften.

Die anstrebenswerte Gesellschaft
besteht für Mies in einer „dezentralen Selbstversorgungswirtschaft“ (Ebd., 289). In ihrem Zentrum stehen die „lebensnotwendigen Arbeiten“ „wie z. B. Kinder, Alte und Kranke versorgen, Hausarbeit machen, aber auch Lebensmittel herstellen“ (Ebd.). Die Landwirtschaft soll an erster Stelle stehen („Re-Ruralisierung“, ebd., also Verdörflichung oder Verländlichung der Städte), die Industrie solle „nur so weit entwickelt werden, wie sie die Selbstversorgung dieser Region ohne Ausbeutung sicherb könnte“ (ebd., 287). Technik bleibt bei Mies etwas, zu dem sie keinen Bezug hat, ohne das auch nur zu bemerken: „Eine nicht-technizistische, ökologische Beziehung zur Erde, zur Natur, ist genauso eine Liebesbeziehung wie die zwischen Mann und Frau“ (Ebd., 292).

Mies kritisiert zu Recht diejenige Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitseffizienz, die der Arbeit den für den Arbeitenden sinnvollen Arbeitsinhalt und die Arbeitsfreude austreiben (Ebd., 280-282).
Daraus folgt aber nicht, wie Mies im Kapitalismus keinerlei Entwicklung der Produktionsmittel und der Arbeitsorganisation, die irgendwelche positiven Elemente enthalten, zu sehen. Diese bestehen z. B. in der Verringerung des Arbeitsaufwandes bei gegebener Ausbringungsmenge, in der Delegation unangenehmer Arbeiten an Maschinen sowie in Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die neue Werkstoffe bereitstellen.

„Herrschaft über die Natur“
Kritik am Technizismus ist berechtigt (vgl. dazu Creydt 2019). Mies’ Position, Technik pauschal mit „Herrschaft über die Natur“ zu identifizieren, heißt das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sie unterscheidet nicht zwischen den Vorstellungen, die es von der Technik gibt, und der Technik selbst. Die Vorstellung, wir würden „die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgendeinen Widerstand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmäßigkeit nicht abbiegt – während alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfensein nur darin Sinn haben, dass ein entgegenstehender Wille gebrochen ist“
(Simmel 1989, 672).

Der Philosoph Johannes Rohbeck (1990, 475) schreibt: „Wie wir uns durch unsere Arbeit nicht auf die Natur in ihrer Totalität beziehen, so überzogen scheint mir eine Anerkennung der Natur (im Singular) zu sein. In diesem Ansinnen kommt – wenn auch mit entgegengesetzter, gutgemeinter Absicht – im Grunde nichts anderes als die überwunden geglaubte prometheische Hybris [...], als ob die Natur von den Menschen bedroht werden könnte oder auf deren Rücksichtnahme angewiesen wäre – und als ob andererseits die Natur jemals auf uns Menschen Rücksicht genommen hätte.“ Natur erscheint den Gründerinnen des Ökofeminismus ausschließlich idyllisch – als „Mutter Natur“ (Mies 1988, 291).

Die Wiederkehr des Immergleichen und das Analogiedenken
Mies sieht in der Weltgeschichte keinerlei qualitativen Wandel, sondern allein die Wiederholung des ursprünglichen Verhältnisses zwischen produktiven Frauen und Männern als Jägern bzw. Kriegern. Das erinnert an die christliche Auffassung von der Erbsünde. Hier wie dort handelt es sich um ein ursprüngliches Verhängnis, das alle späteren Generation nicht überwinden können. Mies zufolge „beruhen die verschiedenen Formen der asymmetrischen, hierarchischen Arbeitsteilung, die im Lauf der Geschichte hervortraten, bis in unsere Epoche auf dem Grundmodell der beutemachenden und bewaffneten Jäger-Krieger, die ohne selbst zu produzieren, sich Produzenten und Produkte aneignen“ (Ebd., 87).

An anderer Stelle heißt es: „Im Zentrum dieses Paradigmas ist die Tatsache, dass Nicht-Produzenten sich aneignen (und konsumieren oder investieren), was andere hergestellt haben. Der Mann-als-Jäger/Krieger ist im Kern ein Parasit“ (Ebd., 88). Für Mies gibt es in der Geschichte nur eine „beutemachende Aneignungsweise“ (Ebd., 82). Mies und ihre Kolleginnen sind der Auffassung, „dass die hierarchische geschlechtliche Arbeitsteilung, die Unterwerfung und Ausbeutung der Frauen den Grundstock und Schlußstein aller weiteren Ausbeutungsverhältnisse darstellt, und dass die Kolonialisierung der Welt, die Ausplünderung von Natur, Territorien und Menschen, wie sie v. a. der Kapitalismus als Voraussetzung braucht, nach diesem Muster erfolgt“ (Werlhof u. a. 1983, 9). Alles stehe in Analogie zur als ursprünglich angesehenen Situation zwischen Jäger-Krieger und Frau. Der Feudalherr behandele die Bauern so ähnlich wie der Jäger/Krieger die Frauen (Ebd., 83). Die Kolonialisierung sei das Gleiche wie das Verhältnis der Jäger/Krieger-Männer zur Frau. Die Frauen seien die erste und die letzte „Kolonie“ (Werlhof u. a. 1983).

Reichtum aus welcher Ausbeutung?
Mies unterscheidet nichts am Kapitalismus („kritisieren“ kommt von „unterscheiden“), sondern verwirft ihn pauschal. „So gründet der Fortschritt der Europäischen Großen Männer auf der Unterwerfung und Ausbeutung ihrer eigenen Frauen, auf der Ausbeutung und Zerstörung der Natur und auf der Ausbeutung und Unterwerfung anderer Völker und ihrer Länder“ (Mies 1988, 94).

Der Anteil des Handels mit den Ländern Afrikas und Lateinamerikas liegt zusammen unter 5% des bundesdeutschen Ex- bzw. Imports. Gewiss gab und gibt es Aktivitäten westlicher Unternehmen und Staaten, die Menschen in armen Ländern ausplündern. „Unser Reichtum“ aber entsteht daraus nicht. In den heute reich genannten Ländern hat sich eine überlegene Arbeitsproduktivität durchgesetzt. Die Ursache dafür liegt nicht in einem Verhältnis zwischen den metropolitanen „Räubern“ und den Beraubten im Globalen Süden. Vgl. dazu Muggenthaler 2018, Creydt 2021, Radl, Schmid 2022. Kapitalismus ist kein Nullsummenspiel, in dem, was der eine gewinnt, nur aus dem Verlust des anderen entstehen kann. Dieses Denken ist beliebt bei Linken, die Wert- durch Machttheorie ersetzen (vgl. zur Auseinandersetzung damit Wendl 2013).

Die These, Männer seien das „faule Geschlecht“ (Pinl 2000) und würden Frauen für sich arbeiten lassen und sie auf diese Weise ausbeuten, lässt sich durch die Zeitverwendungserhebung 2012/13 für Personen im Erwerbsalter nicht bestätigen:

„Erwerbstätige Männer verbringen im Durchschnitt täglich 5:32 Stunden mit bezahlter Arbeit, etwa 1,2-mal so viel Zeit wie erwerbstätige Frauen (4:15 Stunden). Erwerbstätige Frauen verwenden auf unbezahlte Arbeit im Schnitt 3:29 Stunden und damit etwa 1,6-mal so viel Zeit wie erwerbstätige Männer (2:08 Stunden).“ Insgesamt „fällt die Gesamtarbeitszeit von erwerbstätigen Frauen und Männern ähnlich hoch aus – die Frauen arbeiten im Schnitt täglich 7:44 Stunden, die Männer 7:40 Stunden“ (https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-unbezahlte-arbeit-frauen-leisten-mehr-3675.htm).

Die Ergebnisse der Zeitverwendungserhebung 2022/23 liegen noch nicht vor.
Es sind weniger Frauen als Männer erwerbstätig und Frauen arbeiten viel öfter als Männer in Teilzeit. (Vgl. für die weitergehende Diskussion Creydt 2023.) Einer Untersuchung des Statistischen Bundesamts von 1994 zufolge kamen Frauen auf 50,1 und Männer auf 50,2 Stunden Arbeit (Ernst, Herbst 1997, 207). ((Dieser Absatz wurde bei der Veröffentlichung in der ‚Junge Welt‘ ausgelassen.))

Die Werte, die die Arbeit schafft, und die Mehrwertproduktion im kapitalistischen Produktionsprozess spielen für Ökofeministinnen wie Mies keine Rolle. Claudia von Werlhof, eine ihrer engen Mitstreiterinnen, artikuliert diese erstaunliche Ausblendung mit der Feststellung, sie habe „versucht zu schildern, was wir gemeinhin unter Kapitalismus, Akkumulation, Wachstum usw. verstehen und wer alles nicht dazugehört, letztlich 80-90% der Weltbevölkerung“ (Werlhof 1983 120). Sie fährt fort: „Nicht 10% freie Lohnarbeiter, sondern 90% unfreie Nichtlohnarbeiter sind die Säule der Akkumulation und des Wachstums, sind die wahren Ausgebeuten“ (Ebd., 121). Mies und Werlhof meinen: Bei diesen 90% handelt es sich um die Frauen, die außerhalb der Lohnarbeit ausgebeutet werden, und um die Bauern.

Die Reduktion von Herrschaft
Die Gründerinnen des Ökofeminismus haben eine recht spezielle Auffassung von Herrschaft: „Herrschaft erwächst zuerst und zuletzt aus der Kontrolle über Zwangsmittel, das heißt Waffen, und erst in zweiter Linie aus ökonomischer Kontrolle“ (Mies 1988, 291). Mies reduziert die bisherige geschichtliche Entwicklung auf „Raub, Krieg und Eroberung“ (Ebd., 56). Gegen die These, Gewalt als Herrschaftsmittel sei entscheidend in der Weltgeschichte, gibt es überzeugenden Einspruch (vgl. Engels 1973, 147-154, 159,170). Der Adel hatte die „Kontrolle über Zwangsmittel, das heißt Waffen“ (Mies 1988, 291) und trotzdem setzte sich das Bürgertum durch seine ökonomische Macht durch. Die „ganze Organisation und Kampfweise der Armeen und damit Sieg und Niederlage“ erweist sich als „abhängig von materiellen, d.h. ökonomischen Bedingungen [...] von der Qualität und Quantität der Bevölkerung und von der Technik“ (Engels 1973, 159). Auch „die politische Gewalt zur See, die auf den modernen Schlachtschiffen beruht, erweist sich als durchaus nicht ‚unmittelbar‘, sondern gerade als vermittelt durch die ökonomische Macht, die hohe Ausbildung der Metallurgie, das Kommando über geschickte Techniker und ergiebige Kohlegruben“ (Ebd., 161).
Mies und ihre Kolleginnen konstruieren mit der Kontrolle über Zwangsmittel eine falsche Unmittelbarkeit oder eine (Letzt-)Ursache, die sich selbst verursacht. Den stummen Zwang der gesellschaftlichen Verhältnisse (z. B. das Niederkonkurrieren unproduktiverer Anbieter durch produktivere) nehmen sie nicht wahr. Stattdessen machen sie überall Subjekte dingfest, die auf die Unterwerfung und Ausplünderung des anderen aus seien. Dieser social fiction zufolge laufen „das“ Verhältnis zwischen den Geschlechtern, das zwischen globalem „Norden“ und „Süden“ sowie das zwischen „der Menschheit“ und „der Natur“ auf ein und dasselbe hinaus. Solch ein Vorgehen kann auf hohe Resonanz in einem Publikum rechnen, das empfänglich dafür ist, die gesellschaftstheoretische Erklärung durch die moralische Beschuldigung und Verdammung zu ersetzen. Die gewalttätige Macht bekommt in solchen Köpfen den Status eines Ursprung gebenden, selbst aber ursprungslosen Ursprungs alles Schlechten in der Gesellschaft. Zentral für diese Denkweise ist die Instanz des Gegen-Gott bzw. Teufel. In seiner ökofeministischen Variante sieht diese Weltanschauung in allen gesellschaftlichen Geschehnissen den Kampf der weiblichen Urkräfte des Guten (die „produktiven“ Kräfte des „Lebens“) mit den Urkräften des Bösen (männliche Beutemacherei und Herrschaft).

Alleinvertretungsanspruch

Den Gründerinnen des Ökofeminismus, Mies, Werlhof u. a., wird positiv zugerechnet, sie hätten sich politisch für Subsistenzbauern und kleine Handwerker und gegen die Globalisierung und gegen Gewalt gegen Frauen eingesetzt. Allerdings ging dieses Engagement einher mit einer bemerkenswerten Stellungnahme zu „dem“ männlichen Lohnabhängigen. „Er hat keine Ahnung von Menschenproduktion. Er funktioniert als Roboter, Anhängsel der Maschine, entemotionalisiert […]. Er hat keinen Grund, initiativ zu werden, und kein Motiv für die Arbeit […]. Das männliche Arbeitsvermögen ist […] blutleer“ (Werlhof 1983, 129).

Die eigenen Fähigkeiten und Sinne, die Qualifikationen der Arbeitenden sowie ihr stummes Wissen und ihre Arbeitserfahrungen spielen in diesem Horrorgemälde keine Rolle. Das sind schon selten krasse, im heutigen Jargon formuliert, „klassistische“ Vorurteile, Abwertungen und Ressentiments. Um sich von dieser „Roboter“-Existenz zu befreien, darf die lohnabhängige Frau nicht länger lohnabhängig sein. In ihrer Eigenschaft als Lohnabhängige unterscheidet sich die weibliche Lohnabhängige nicht von ihren „entemotionalisierten und „blutleeren“ männlichen Kollegen.

Diese Ökofeministinnen behaupten: „Die Frauenfrage ist die allgemeinste […] aller gesellschaftlichen Fragen, weil in ihr alle anderen enthalten sind“ (Werlhof 1983, 113). Um ihrem Ökofeminismus eine überlegene Stellung einzuräumen, muss Mies andere soziale Bewegungen abwerten: „Die Arbeiterbewegung kämpfte gegen die bürgerliche Klasse, versuchte aber ebenfalls deren Lebensstil nachzuahmen“ (Mies 1988, 271). Mies ignoriert einen kleinen Unterschied: Die alte Arbeiterbewegung wandte sich gegen die Herangehensweise, durch individuellen Aufstieg der gemeinsamen Verbesserung der Lage der Arbeiter vorzugreifen. In der alten Arbeiterklassenkultur wurden „Entwicklung und Vorteil nicht individuell, sondern gemeinschaftlich interpretiert“ (Williams 1963, 312-15). Elemente einer solchen Kultur der Solidarität und Kooperation im Arbeitsprozess gibt es auch gegenwärtig (vgl.Anhang).

Nur Frauenmund tut Wahrheit kund
Mies und ihre Mitstreiterinnen interessieren sich ebenso wenig für Frauen, die keine Mütter sind, wie für Frauen in ihrer Eigenschaft als lohnabhängige Erwerbstätige. Zur auf Mütterlichkeit reduzierten Weiblichkeit zählen für Mies genau diejenigen Eigenschaften, die Frauen auch von patriarchalen Ideologen positiv zugeschrieben wurden. Frauen verlieren die ökofeministische Wertschätzung, wenn sie etwas anderes im Sinn haben als die ihnen von Mies zugedachte mütterliche Rolle.

Mies dreht die patriarchale Bewertung (Frau = minderwertig, Mann = höherwertig) einfach um. „Frauen als einzige wirkliche Produzentinnen, im Gegensatz zu den parasitären und aneignenden Männern, sind die einzige Quelle des Reichtums“ (Mies, in Werlhof u. a. 1983, 184; wortgleich in Mies 1988, 81). Patriarchal denkende sowie auf die ökofeministische Weise (à la Mies) denkende Personen verfahren auf gleiche Weise: Sie spalten unbewusst zwischen positiven und negativen Anteilen. Sie sprechen alle positiven Attribute ihrem Geschlecht zu und projizieren alle negativen auf das andere Geschlecht. Auf diese Weise konstruieren sie sich ein eindeutiges reines Inneres. Bei der Mutter kennen sie einzig und allein die „gute Mutter“. Die Ökofeministinnen um Mies, Werlhof u. a. begegnen dem patriarchalen Sexismus mit einer niveaugleichen Retourkutsche. Die frühere patriarchale Bewertung von Frauen reduzierte sie auf ein Naturwesen und reservierte die Zivilisation und Kultur für die Männer. Mies und ihre Kolleginnen sehen in der von ihnen angenommenen Nähe der Frau zur Natur alles eingeschlossen, was an Zivilisation (Hack- und Gartenbau) und Kultur für „das Leben“ erforderlich sei.

Aus der Wertung, Frauen besäßen eine besondere Nähe zur Natur und dabei handele es sich um etwas, das für „das Leben“ entscheidend sei, ergibt sich notwendigerweise eine Folgerung. Mies, Shiva, Werlhof u. a. schreiben den Frauen ein ihnen qua Geschlecht exklusiv zukommendes Erkenntnisvermögen zu: „Wir haben ein tiefes und ein besonderes Verständnis von beidem („dem Leben und dem Planeten“ – Verf.) durch unsere Natur und unsere Erfahrungen als Frauen“ (King 1993, 11, zit. n. Mies, Shiva 1995, 24). Frauen seien – so die These – als Frauen privilegiert, besonders tief „das Leben und den Planeten“ verstehen zu können.

Die ökofeministischerseits angestrebte Zukunft fällt entsprechend autoritär aus: „Ich glaube, die Umstrukturierung unserer Ökonomie wird der Versuch sein, das weibliche Arbeitsvermögen auch den Männern anzuerziehen und aufzuzwingen, soweit möglich“ (Werlhof 1983, 129).

Die Moral „des Lebens“ – als eine gegen Einspruch immune Instanz
Zu einer Analyse des Geschlechterverhältnisses und der gesellschaftlichen Wirklichkeit tragen die referierten Gedanken von Maria Mies und ihrer Mitstreiterinnen nicht bei. Sie agitieren gegen etwas, das abzulehnen niemandem schwer fällt. Wer wäre schon für „Raub“, für Herrschaft mittels Gewalt, für „blutleere Roboter“ u. ä.? Begreifen lässt sich mit solchen Bannsprüchen nichts, für Feindbilder aber reicht’s. Und die bieten Ökofeministinnen reichlich auf: der Mann als „Parasit“, der Lohnabhängige als Zombie, die Technik identisch mit der „Herrschaft über die Natur“. Mit dieser donquichotesken Gegenfixierung auf Schreckgespenster formulieren Mies, Werlhof u. a. ihre wohlfeile Pseudo-Opposition. In ihr kommen sie allzu erwartbar als Vertreterinnen des Guten gegen das Böse vor, das böse aus sich selbst heraus ist. ((In der ‚Jungen Welt’ hat der Redakteur dies verunklarend umformuliert: „das böse sui generis ist“.)) Auch die Behauptung weiblicher Ursprünglichkeit und geschichtlicher Unschuld trägt dazu bei, die Analyse der komplexen gesellschaftlichen Welt auszublenden und sich als Opfer zu stilisieren. Vor diesem dunklen Hintergrund strahlt das recht spezielle Selbstbewusstsein umso heller, das dieser „Ökofeminismus“ seinen Anhängerinnen vermittelt. Sie können sich den Ehrentitel zuschreiben, einem Geschlecht anzugehören, das bereits von Natur aus ganz nah mit allem verbunden sei, was im Leben und für das „Leben“ am wesentlichsten sei.

Literatur:
Creydt, Meinhard 2019: Die Teufelskreise des Technizismus und das gute Leben. In: Telepolis 7.12. 2019
Creydt, Meinhard 2021: Stimmt die These „Unser Reichtum stammt aus der Ausbeutung der armen Länder“? In: Telepolis, 29.4. 2021,
Creydt, Meinhard 2023: Frauen in Deutschland 2023 – das gesellschaftlich benachteiligte Geschlecht? Grenzen und Widersprüche des Gleichstellungsfeminismus. In: Telepolis, 8.3. 2023
Engels, Friedrich 1973: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. In: Marx Engels Werke, Bd. 20. Berlin-DDR
Ernst, Andrea; Herbst, Vera (Hg.) 1997: Kursbuch Frauen. Köln
Gurjewitsch, Aaron J. 1978: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen. Dresden
Mies, Mies 1988: Patriarchat und Kapital. Zürich
Mies, Maria; Bennholdt-Thomsen, Veronika 1997: Eine Kuh für Hillary. Die Subsistenzperspektive. München
Mies, Maria; Shiva, Vandana 1995: Ökofeminismus. Beiträge zur Praxis und Theorie. Zürich
Muggenthaler, Ferdinand 2018: Die Stofflichkeit von Ausbeutung. In: Luxemburg, H. 2. Berlin
Oesterdiekhoff, Georg W. 1992: Traditionales Denken und Modernisierung. Opladen
Pinl, Claudia 2000: Das faule Geschlecht. Wie Männer es schaffen, Frauen für sich arbeiten zu lassen. Frankfurt M.
Radl, Sascha; Schmid, Nora 2022: Gibt es eine imperiale Lebensweise?
Rohbeck, Johannes 1990: Zur Rehabilitierung der Mittel – oder: Brauchen wir eine ökologische Ethik? In: Hegel-Jahrbuch 1990
Simmel, Georg 1989: Philosophie des Geldes. Gesamtausgabe, Bd. 6. Frankfurt M.
Wendl, Michael 2013: Machttheorie oder Werttheorie. Hamburg
Werlhof, Claudia von; Mies, Maria; Bennholdt-Thomsen, Veronika 1983: Frauen, die letzte Kolonie. Reinbek bei Hamburg
Werlhof, Claudia von 1983: Der Proletarier ist tot, es lebe die Hausarbeit? In: Werlhof u. a. 1983
Wildcat 2012: Materialien gegen die Individualisierung. Betriebserfahrungen von den 70er Jahren bis heute. Beilage zur Zeitschrift Wildcat, Nr. 93. Köln
Williams, Raymond 1963: Culture and Society. Harmondsworth

 
 
Anhang zum Artikel
Anfang der 1970er Jahre gingen viele damals junge Anhänger der „neuen“ Linke in westdeutsche Betriebe, um dort für ihre politischen Auffassungen zu werben. In einer Auswertung von Erfahrungsberichten heißt es: „Die meisten der Befragten sind noch heute beeindruckt vom großen Zusammenhalt unter den ArbeiterInnen, den sie vorgefunden haben. […] ‚Der Zusammenhalt unter den Kollegen war sehr groß, die hatten gegenseitig dieses Einverständnis untereinander, nie wurde jemand verpfiffen, es gab Absprachen, wenn die Refa-Leute (Spezialisierung für Rationalisierungs und Erhöhung der Arbeitsleistung – Verf.) kamen.? […]
Dieser Zusammenhalt entstand im Produktionsprozess selber: Man ist aufeinander angewiesen, und die ArbeiterInnen wussten, dass genau darin ihre Stärke lag. ‚Als Abteilung geschlossen aufzutreten, das hatte auch disziplinierenden Charakter. Wenn jemand zu oft aufs Klo war, dann wurde der mal beiseitegenommen und ihm ins Gewissen geredet, es nicht zu übertreiben.? […]
Neuen Kollegen wurden nicht nur die notwendigen Kniffe erklärt (‚die der Meister nicht zu wissen braucht?), sondern auch Empfehlungen zum Umgang mit der Hierarchie und dazu, wie ‚der Laden so läuft? mitgegeben. Es wurde gemeinsam sehr darauf geachtet, dass die Neuen nicht die Bedingungen kaputt machten“ (Wildcat 2012, 11f.).
Die Befragten heben den Unterschied zur eher auf Konkurrenz ausgerichteten Mentalität an Hochschulen hervor. „‚Schon die Anlernphase in der Fabrik war menschlich […] erfreulich, weil ich Ähnliches an der Hochschule nicht erlebt hatte, die völlig rückhaltlose Unterstützung beim Erlernen einer Arbeit.? (Ebd., 10). „Selbstverständlich gab es auch damals Arschlöcher in den Abteilungen, die nicht solidarisch waren, es gab die Schleimer, Petzer, Spione, die alles nach oben weitertrugen. Aber solche Leute waren als Außenseiter und ‚Spinner? erkennbar, sie prägten nicht das Klima“ (Ebd., 11).

Anhang 2: Frauen kritisieren den Ökofeminismus von Maria Mies
In einer Diskussion um Argumentationen geht es es nicht darum, w e r etwas sagt, sondern w a s sie oder er sagt. Heute ist die (sexistische) Unsitte verbreitet, eine Kritik an feministischen Positionen bereits mit der Feststellung verbellen zu wollen, dass sie von einer Person männlichen Geschlechts formuliert wird. Dabei haben auch Frauen sich in kaum zu überbietender Deutlichkeit kritisch zu den „Gründerinnen“ des Ökofeminismus (Maria Mies, Claudia von Werlhof u. a.) geäußert.

Auszug aus Tine Haubner, Rezension von: Claudia v. Werlhof, Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen: Frauen, die letzte Kolonie. Reinbek bei Hamburg 1988 (in: Kritisch lesen de 8.1. 2015) :
„Nach Mies und Bennholdt-Thomsen erfahren sich Männer und Frauen im Stoffwechsel mit der Natur als grundlegend verschieden. Während Frauen sozial produzieren und sich wegen ihrer Gebärfähigkeit „unmittelbar selbst als Teil der Natur“ (S. 200) erleben, sei der männliche Naturbezug dagegen genuin herrschaftsförmig. Frauen erfahren ihren Körper als produktiv, Männer erfahren „sich“ als produktiv – damit reproduzieren die AutorInnen jedoch das Argument, dass sie ihren Gegnern vorwerfen, nämlich die falsche Trennung, dass Frauen ganz Leib und Männer ganz Mensch seien. Das Fazit lautet, dass der Kapitalismus einem „männlichen Prinzip der beutemachenden Aneignung“ (S. 184f.) entspringe. Die These, dass das Geschlecht erst im Kapitalismus zum primären Organisationsprinzip der Arbeitsteilung wird, fasst Bennholdt-Thomsen abschließend mit der pointierten Aussage zusammen, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung im Kapitalismus nicht gesellschaftlich sei, sondern umgekehrt, die gesellschaftliche Arbeitsteilung selbst geschlechtlich sei.

((Die Autorinnen huldigen)) einer theoretischen Eindimensionalität. Problematisch ist, dass die Analyse die Fehler ihrer Kontrahenten mit umgekehrtem Vorzeichen reproduziert: Statt die Dichotomie von Haupt- und Nebenwiderspruch zu hinterfragen, wird ein neuer Hauptantagonismus (zwischen Subsistenz bzw. Hausarbeit und Kapital) eingeführt, statt ökonomistische Funktionalismen zu überwinden, wird das Bild einer geschlossenen Ausbeutungstotalität gezeichnet, die auch die Gebärfähigkeit als vollkommen kapitalverwaltet begreift. Statt die marxistische Analyse um ein ebenso wichtiges Element (die Haus- und Subsistenzarbeit) zu erweitern, wird Lohnarbeit als parasitäre Marginalie und mit ihr der (und damit auch die) Lohnarbeiter/in als defizitäres „Maschinenanhängsel“ (S. 129) und „entemotionalisierter Roboter“ (ebd.) preisgegeben und die Analyse des Kapitalismus allein aus den Ausbeutungsmechanismen der weiblichen Subsistenzarbeit abgeleitet. Die weibliche Reproduktionsarbeit erscheint vor diesem Hintergrund als das bessere Gegenstück zur Lohnarbeit, womit auch die Mühsal der Subsistenzarbeit aus dem Blick gerät. Frauen hätten nicht nur komplexere Fähigkeiten als Männer, sie seien auch bessere, weil weniger „blutleere“ Arbeitskräfte (S. 129). Was die Bewertung der Subsistenzarbeit anbelangt, sind die Autorinnen durchaus ambivalent. Einerseits distanzieren sie sich wiederholt von einer „Romantisierung der Natur“ (S. 7), anderseits erscheint eine angeblich genuin weibliche Produktionsweise als naturfreundlich, herrschaftsfrei und „einzige Quelle des Reichtums“ (S. 184).
Die Analyse schwankt immerfort zwischen patriarchaler Herrschaft qua gesellschaftlicher Zuschreibung und aufgrund biologischer Merkmale. Um die zivilisationsgeschichtliche These, der Kapitalismus basiere letztlich auf einem männlichen Prinzip, durchzuhalten, werden Männer als überflüssig, asozial und gewalttätig beschrieben, die sich die Beherrschung der Natur durch Waffengewalt sicherten. Diese Behauptung wird schließlich derart überzogen, dass die ursprüngliche Annahme, der Zusammenhang zwischen Frau und Natur sei ein gesellschaftlich konstruierter Ausbeutungszusammenhang, unterlaufen und in sein Gegenteil verkehrt wird. Letztlich erscheint die Frau als wahre Natur, die im Einklang mit natürlichen Zyklen, gewaltlos das Gegenprinzip zum plündernden männlichen Raubtierkapitalismus (im wahrsten Sinne des Wortes) verkörpert.“

Auszug aus: Christa Wichterich, Rezension von: Maria Mies: Patriarchat und Kapital. Rotpunkt Verlag, 1988 (in taz 4.2. 1989, S. 9):

„Der rote Faden, an dem sich die Analyse entlangspinnt, ist eine unterstellte Ausbeutungs- und Unterdrückungsanalogie von „Natur, Frauen und fremden Völkern“. … Das Denken von Mies wird eindimensional, wenn sie alle Fäden in einen einzigen Ausgangspunkt zurückverfolgen will.
So geht eines der Probleme, die ich mit ihrem geschlossenen theoretischen System habe, an seine Wurzel beziehungsweise den „Ursprung“ dieser Analogie. Maria Mies sucht den „Ursprung der asymmetrischen geschlechtlichen Arbeitsteilung“ und findet ihn in einem unterschiedlichen „weiblichen“ und „männlichen Gegenstandsbezug zur Natur“. Der „weibliche“ Naturbezug sei reziprok, erlebe die Natur als produktiv und ebenso den ganzen eigenen Körper, der Leben erzeugt und Nahrung für die Kinder. Weibliche Produktivität basiere darauf, daß „frau mit der Natur mitwirkt“ - und da zitiert Maria Mies ihre Mutter als Autorität -, während männlicher Naturbezug instrumentell, destruktiv, vermittelt über Werkzeuge und Waffen, eine „Herrschaftsbeziehung“ ist. Frauen seien „nicht nur die Erfinderinnen der ersten produktiven Wirtschaft, nämlich des Ackerbaus, sondern auch die Erfinderinnen der ersten sozialen Beziehungen, der Beziehungen zwischen Müttern und Kindern.“
Sicher konnten Männer nur als Jäger und Krieger ausziehen, weil ihre Frauen daheim das Feld bestellten. Sicher ist die Waffengewalt die Grundlage männlicher Eroberung und Aneignung von fremdem Boden, Vieh, Sklaven, Frauen und Natur gewesen. Trotzdem sehe ich nicht, warum der weibliche Naturbezug nicht ebenfalls instrumentell und auf eine Nutzung und partielle Beherrschung der Natur mit Hilfe von Werkzeugen und Waffen orientiert ist. Dies ist sowohl beim Acker„bau“ als auch beim Fischen und Jagen kleinerer Tiere der Fall, was Frauen häufig besorgt haben.
Bei Maria Mies erscheint die Natur nur als gütige, gebende Mutter, nicht als zerstörende und menschenbedrohende Gewalt. Für alle Subsistenzproduzentinnen war und ist sie jedoch mit Sicherheit beides. Diese Idyllisierung der Natur spiegelt sich bei Maria Mies in der Unschuld der Frauen, die angeblich kein bißchen an der Beherrschung der Natur interessiert sind.

In Subsistenzwirtschaften war die Interaktion mit der Natur ohne Zerstörung des ökologischen Kreislaufs, der die natürlichen Ressourcen erhält, auch ein Konstituens des männlichen Naturbezugs, zum Beispiel wenn in Brunft- und Laichzeiten nicht gejagt und gefischt wurde. Und wieso sollen Frauen die „Mutter-Kind-Beziehung“ erfunden haben, wieso ist sie die „erste soziale Beziehung“, wieso muß es plötzlich mit solch zweifelsfreier Endgültigkeit eine Antwort auf die Frage nach der Henne und dem Ei geben. Ist die Zeugung keine „soziale Beziehung“? Wieso muß eine monokausale Erklärung für die Ausbeutung von „Frauen, Natur und fremden Völkern“ gefunden werden? Ich sehe nicht, wozu ein theoretischer Absolutismus des Strickmusters nutzt wie: „Frauen als einzige wirkliche Produzentinnen, im Gegensatz zu den parasitären und aneignenden Männern, sind die einzige Quelle des Reichtums.“ (kursiv im Original, C.W.)

Auf Basis der vom Kapital betriebenen Aufspaltung zwischen „Erster“ und „Dritter“ Welt behauptet Maria Mies eine pauschale „Aufteilung von Frauen in Produzentinnen einerseits und Frauen als Mütter und Konsumentinnen andererseits“ in der Strategie der internationalen Arbeitsteilung. Die jüngste Entwicklung in vielen Ländern des Südens, wo der Konsumerismus mit seinen verlockenden Produkten, neu geschaffenen Bedürfnissen und Werten in rasendem Tempo selbst die Dörfer erreicht hat und wo sowohl auf dem Land als auch in den Städten neue Mittelschichten entstanden sind, läßt es mir als blanken Unsinn erscheinen, wenn Maria Mies sagt, daß „Drittwelt-Frauen als (…) Konsumentinnen als eine der größten Bedrohungen für die Welt als ganze angesehen werden“. Die Dritte Welt ist ein riesiger Absatzmarkt, der soeben erst erschlossen wird.

Die Idyllisierung der Natur setzt sich fort in der Romantisierung der Subsistenzwirtschaft und kleinbäuerlichen Produktionsverhältnisse.
Ich habe sie des öfteren durchscheinen sehen in verschiedenen Ländern Asiens und Afrikas, die kleinbäuerliche Idylle, die, würde sie nicht von dem alles überwuchernden Weltmarkt in die Enge getrieben, für viele existenzsichernd wäre. Aber ich habe auch so viel kleinbäuerliches Elend gesehen, einmal verursacht durch den Polyp des Kapitals, aber oft auch verursacht durch eine unvorstellbare Härte der notwendigen Arbeit. Ich habe so viele Subsistenzproduzentinnen von der Last ihrer Arbeit reden hören, daß von ihrer Lust an der Arbeit nichts mehr zu spüren war.
Trotzdem koppelt Maria Mies ihre Idee von der gleichzeitig lustvollen und lästigen Arbeit an die Subsistenzproduktion beziehungsweise an eine körperliche Interaktion mit der Natur, und zwar allein daran.
Notwendig wäre dazu, „das heutige Verhältnis von Arbeitenden in der Industrie und in den Dienstleistungsberufen zu denen in der Landwirtschaft grundlegend (zu) verändern.“ Wie das? Voraussetzung dafür ist doch zweierlei: objektive Bedingung ist, daß der kleinbäuerliche Sektor wieder existenzsichernd würde, und subjektive Bedingung ist, daß Menschen diese Arbeit als genauso befriedigend empfinden, wie Maria Mies sie aus ihrer Jugend in Erinnerung hat.

„Da Frauen für ihr Menschsein nichts aus der Fortsetzung des Wachstumsmodells gewinnen können, sind sie in der Lage, die Perspektive einer Gesellschaft zu entwickeln, die nicht auf der Ausbeutung von Natur, Frauen und fremden Völkern beruht.“
Ist das nicht Wunschdenken?

Der moralische Rigorismus, der hinter diesem „Zurück aufs Land„-Imperativ durchscheint, erschreckt mich - nicht wegen der Moral, sondern wegen des Rigorismus, und wie er über die real existierenden, gegenläufigen Interessen und Bedürfnisse unzähliger Frauen rund um den Globus hinweggeht.

„Ziel einer solchen Wirtschaft muß wieder die unmittelbare, nicht über die Warenproduktion vermittelte Herstellung und Erhaltung des Lebens sein.“ Also soll es keine Warenproduktion mehr geben, nur noch Austausch von Gebrauchsgütern, keine Märkte mehr? Maria Mies sagt kein Wort über die Produktivität dieser Wirtschaft. Wie muß sie aussehen, damit sie alle Menschen ernähren kann? Kein Wort über die Produktionsverhältnisse und die politischen Machtstrukturen, die mit ihr einhergehen sollen.
„Wir (können) uns nicht mehr weiter auf das Paradigma des Industriesystems (…) beziehen.“ Heißt das, daß wir ohne Industrie auskommen sollen, oder wo ist die Grenze zu ziehen zwischen „überflüssiger“ und „sinnvoller“ Produktion? Als Rück-Entwicklung kann der Weg in eine öko-feministische Gesellschaft nicht begriffen werden.“

Vgl. weitere Kritiken:
- Molyneux, Maxine; Steinberg, Deborah Lynn: Ökofeminismus: Kritik an Maria Mies und Vandana Shiva. In: Das Argument, Nr. 218, 1997
- Wohlrab-Sahr, Monika 1993: Empathie als methodisches Prinzip. Entdifferenzierung und Reflexivitätsverlust. In: Feministische Studien 11 (2)
- Attia, Iman 1991: Wider die Verherrlichung des Weiblichen. Kritik des Ökofeminismus. In: Psychologie- und Gesellschaftskritik, Jg. 15, Nr. 59/60 Steht im Netz.