Aug
21

erschien in: Telepolis 21.8.2021
(als PDF 10 Seiten)

Wer gesellschaftliche Bewegungen beurteilt, wird sich nicht allein an ihre als sympathisch anerkannten Ziele halten. Bei den Bewegungen für eine andere Umweltpolitik handelt es sich um die Abwehr von irreversiblen Schädigungen klimatisch gedeihlicher Bedingungen menschlichen Lebens. Auch gesellschaftliche Bewegungen weisen häufig nichtintendierte „Neben“effekte und heimliche Lehrpläne auf. „Gut gemeint“ erweist sich oft als Gegenteil von „gut“. Einstein hat einmal gesagt, ein guter Wissenschaftler müsse jeden Tag mindestens eine halbe Stunde ganz anders denken als seine Kollegen. Das gilt auch für diejenigen, die sich gegen den Klimawandel engagieren. Sie sollten um solche Argumentationen und Mentalitäten in den Klimaschutzbewegungen wissen, die zu self-defeating-strategies beitragen.

Misanthropische Neigungen
Nicht untypisch ist folgender Witz: „Treffen sich zwei Planeten. Es erkundigt sich der eine: ‚Wie geht es Dir?’ Die Antwort des anderen Planeten: ‚Gar nicht gut.’ Der erste Planet fragt nach: ‚Hast Du auch Menschen?!’“ Menschen kommen im Öko-Misanthropismus als Verbraucher und Verursacher von Schadstoff-Emissionen in den Blick. Sie gelten als Parasiten, die ihren Wirt aussaugen bis zu dessen Untergang. Wer gegenwärtig der Auffassung anhängt, die Menschheit sei schwach und verderbt, scheint sich nicht an die negativen Effekte der alten Dogmen von Sündenfall und Erbsünde zu erinnern. Es ist der „Despotismus“, der die „Verachtung des Menschengeschlechts“ lehrt und seine angebliche Unfähigkeit „zu irgend einem Guten, durch sich selbst etwas zu sein“ verbreitet (Hegel 1969, 24). Die Überzeugung, dass Menschen als Sünder „sich auf Erden allemal schuldig machten“, kann „als eine Art irdische Rechtfertigungslehre fast beliebigen Tuns herhalten.“ Wenn von Menschen ohnehin nichts anderes zu erwarten sei, „führt der anscheinhaft Menschen beschwerende Hinweis aufs dauernde Schuldigbleiben, was immer man tue, zur schier grenzenlosen Leichtigkeit jeder Entscheidung” (Narr, Roth, Vack 1999, 73f.).

Dem entspricht eine starke Neigung zur Individualisierung, Subjektivierung und Moralisierung. Allenthalben reiben sich Nachhaltigkeitsfreunde auf in ihrem Zorn über Leute, die viele Flugreisen machen, SUV fahren, den Müll nicht richtig trennen usw. Statt für gesellschaftliche Regelungen einzutreten, wird viel zu viel der Souveränität der vereinzelten Einzelnen überantwortet. „Erstens wird aus einzelnen Einkaufsentscheidungen zwischen verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten kein kollektives Ganzes, sondern höchstens ein privates gutes Gewissen. Zweitens tötet es jede Solidarität, wenn der Einzelne in einen moralischen Wettbewerb gegen den Nächsten geschickt wird, in dem der ‚gute‘ auf den ‚bösen‘ Verbraucher zur eigenen moralischen Erhebung mit dem Finger zeigt“ (Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge, zit. n. Weber 2018). Zur Gewichtung der Verantwortung von individuellen Konsumenten hilft auch der Hinweis darauf, dass allein das Unternehmen HeidelbergCement im Jahr 2018 82 Millionen Tonnen CO2 produziert (Knitterscheidt 2019). Das entspreche, so Raul Zelik (2020, 94), den „Treibhaus-Emissionen aller deutscher Haushalte insgesamt.“

Reboundeffekte
Einer für soziale Bewegungen fatalen Vergeblichkeitsüberzeugung leisten Anhänger von „Postwachstum“ Vorschub. Sie suggerieren, Reboundeffekte seien eine nahezu obligatorische Begleiterscheinung von Maßnahmen, die Ressourcen effizienter nutzen bzw. schädliche Emissionen reduzieren. Unverständlich bleibt bei dieser These, warum politische bzw. gesellschaftliche Entwicklungen nicht dazu führen können, dass Reboundeffekte unterbunden werden können – durch Mentalitätswandel, Auflagen, Besteuerung oder Verbote. Schließlich gab es in der Vergangenheit „die gelungene globale FCKW-Substitution und die ebenfalls erfolgreiche Reduzierung der Versauerungsgase unter die Tragfähigkeitsgrenze in Europa, den USA und Australien. Hier haben strikte Regelungen der Stoffströme zu deutlichen Reduzierungen geführt, ohne dass es Reboundeffekte gegeben hat. Es kommt also darauf an, wie man reguliert. Setzt man Regulierungen an den Stoffströmen an, sind es echte Limits und keine Fakes, sind Reboundeffekte von vornherein ausgeschlossen“ (Land 2017b, 7f.).

In der Post-Wachstums-Debatte ist laut Rainer Land „der undifferenzierte Umgang mit den ‚Reboundeffekten’“ weit verbreitet. Die tatsächlich vorkommenden Reboundeffekte werden mit nur ähnlich erscheinenden Phänomenen unzulässig vermischt. „Wenn beispielsweise eine neue Lichttechnologie, z.B. LEDs oder früher Stromsparlampen, weniger Strom für die gleiche Lichtmenge benötigt, haben viele die Gelegenheit genutzt, die Räume heller auszuleuchten, also den Effizienzgewinn ganz oder teilweise für mehr Lichtoutput zu nutzen und keinen Strom einzusparen. [...] Aber viele scheinbar ähnliche Fälle haben andere Gründe, sind gar nicht Folge des Effizienzgewinns. Beispielsweise ist eine der großen ökologischen Lasten die Vergrößerung der Wohnfläche pro Person, Kinderzimmer für jedes Kind usw. Dies ist aber kein Reboundeffekt, weil es keine Folge der Effizienzsteigerung im Bau- oder Wohnungswesen war, sondern der allgemeinen Einkommenssteigerung. Und das ist bei vielen der vermeintlichen Reboundeffekte so“ (Land 2017b, 6f.).

„Eine allein auf Effizienz einzelner Verfahren gerichtete Innovationsstrategie greift […] zu kurz. Das ist der rationale Kern der These vom Rebound-Effekt.“ Zum Rebound-Effekt kommt es nicht, „wenn ein problematisches Produkt oder Verfahren durch ein umwelt-kompatibles ersetzt wird, und zwar in einer bestimmten Frist vollständig. Werden die heutigen fossil getriebenen Kraftfahrzeuge vollständig durch öffentlichen Nahverkehr und regenerative Fahrzeuge abgelöst, geht der Verbrauch der Ressource gegen Null und es gibt (bezogen auf Benzin und Diesel) keinen Rebound-Effekt, einfach weil keine fossilen Kraftstoffe mehr verbraucht würden. Das gleiche gilt, wenn man alle vorhandenen Kohlekraftwerke binnen 30 bis 50 Jahren vom Netz nimmt und vollständig durch regenerative Kraftwerke ersetzt. Volkswirtschaftlich darf also die Umwelt-Effizienzsteigerung nicht primär oder gar ausschließlich durch effizienzsteigernde Einzelinnovationen (Verbesserung bestehender Produkte und Verfahren) angestrebt werden, sondern muss durch die umweltkompatible Substitution von Produkten und Verfahren erreicht werden. Hinsichtlich der Regulation ist zu sagen, dass Rebound-Effekte nicht auftreten können, wenn definierte Nutzungsvolumina […] verbindlich festgelegt werden, die entweder deutlich unter den Tragfähigkeitsgrenzen liegen oder die einen Pfad jährlich sinkender Volumina definieren, der hin zu einem unter der Tragfähigkeitsgrenze liegenden Nutzungsniveau führt. Dann können sinkende Verbräuche nicht durch Wachstumseffekte kompensiert werden, genauer gesagt nur dann, wenn die Effizienzsteigerung größer ist als die avisierte Senkung der Nutzungsvolumina. Nicht die Rebound-Effekte sind das Problem, sondern die globale Entscheidung für ehrgeizige Ziele bei der Definition sinkender Nutzungsvolumina“ (Land 2011, 14). Mit der Reboundthese wird Land zufolge „oft – nicht immer – der tatsächliche Zusammenhang so gedreht, dass ein Argument gegen Effizienzsteigerung und technische Innovationen herauskommt“ (Land 2017b, 7).

Unterschätzung des gesellschaftlichen Gestaltungsvermögens
Gegenüber dem Zutrauen, mit neuen Technologien würden schon alle Probleme lösbar werden, haben die Öko-Bewegungen seit den 1970er Jahren zu Recht Vorbehalte vorgebracht. Zum Teil hat das aber dazu geführt, von einem Extrem ins andere zu fallen. Dann herrscht Hoffnungslosigkeit gegenüber dem Vorhaben, „innovative Potenziale in eine neue Richtung (zu) lenken – hin auf Innovationen, die nicht mehr Arbeitsproduktivität und Massenkonsum steigern [...], sondern umweltkompatible Produkte und Verfahren entwickeln, die die bisherigen ersetzen und nicht umweltkompatible Stoffströme reduzieren“ (Land 2017a, 4).

In Überlegungen der Anhänger von Post-Wachstum nehmen technologische Alternativen faktisch wenig Raum ein. Das Nachdenken über sie scheint einem Ansteckungsverdacht zu unterliegen, als sei es automatisch verbunden mit illusionären Hoffnungen, ohne gesellschaftliche Veränderungen allein technologisch die Öko-Problematik bewältigen zu können. Zwar gibt es berechtigte Vorbehalte gegen den Technizismus, also eine unbegründet hohe implizite Wertschätzung eines technologischen Vorgehens (vgl. Creydt 2019a). Klimaschützer weisen zu Recht nach, dass das Setzen auf Wasserstoff, auf CO2-Speicherung (CCS) oder Geoengineering Scheinlösungen darstellen. Zugleich dürfte ein blinder Fleck vieler Post-Wachstum-Konzepte darin bestehen, die Möglichkeiten technologischer Alternativen bzw. der grundlegenden inhaltlichen Umorientierung in der Naturwissenschaft sowie in den Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu unterschätzen.

„Postwachstum“
Zu Recht wurde festgestellt, „dass die pauschale und undifferenzierte Forderung nach einem Ende des Wachstums sich nicht dafür interessiert, in welchen Bereichen und auf welche Weise eine Volkswirtschaft schrumpfen soll. Sie interessiert sich auch nicht dafür, wo eigentlich – erstens – Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch in welchem Ausmaß stattfinden und ob – zweitens – bestimmte Maßnahmen gegen das Wachstum tatsächlich zu einem geringeren Ressourcenverbrauch führen.“ Mit der „pauschalen und undifferenzierten Forderung nach einem Ende des Wachstums“ werden „auch ökologisch sinnvolle Projekte, Entwicklungen und Investitionen in Frage gestellt – denn auch sie steigern das BIP und damit das Wachstum. […] Sehr viel klüger, als Wachstum zu verdammen, wäre es, genau zu prüfen, weshalb in bestimmten Bereichen Wachstum tatsächlich mit steigendem Ressourcenverbrauch einhergeht – und zu überlegen, in welchen Bereichen Wachstum zukünftig in welcher Form stattfinden soll. Eine solche Politik schließt Vorgaben – auch ordnungsrechtlicher Art – durchaus ein […]. Wer aber eine solche Differenzierung vornimmt, der spricht nicht mehr von den Grenzen des Wachstums, sondern von qualitativem Wachstum. Von einem Wachstum, das nicht bedingungslos gesteigert wird, sondern das in gesellschaftlich und ökologisch sinnvollen Bereichen stattfindet“ (Schreiner 2012).

Idealisierung von Natur
Ein problematisches Bild von Natur war in der früheren Öko-Bewegung bei vielen prominent. Es steht im gegenwärtigen Engagement gegen den „Klimakollaps“ nicht mehr so im Vordergrund, bildet aber dennoch bei vielen Engagierten einen impliziten Hintergrund.

Natur hat eine eigene Geschichte. Natürliche Veränderungen der Natur bzw. die Veränderung der Natur aus ihr selbst heraus (also nicht aus gesellschaftlichen Eingriffen) vollziehen sich sehr viel langsamer als die Gesellschaftsgeschichte. Geschichte und Politik wird von vielen Freunden von Nachhaltigkeit allein die positive Aufgabe zugedacht, etwas zu schützen, dass weitgehend ungeschichtlich bereits existiert und möglichst so bleiben soll. Nicht untypisch war die Sentenz: „Bisher hat sich der Materialismus begnügt, die Welt zu verändern; jetzt kommt es darauf an, sie zu schützen“ (Carl Amery, zit. n. Trepl 1980, 218). Manche Nachhaltigkeits- und Ökologie-Freunde erachten die Vollkommenheit der Natur als den Maßstab, an den sich die Gesellschaft anpassen soll.
„Stabile Ökosysteme werden zur Definition für eine heile Welt. Mit einer unmerklichen Verkürzung von Leben auf Überleben werden florierende Ökosysteme als der Inbegriff des Lebens betrachtet“ (Sachs 1991, 90). Viele neigen dazu, das von ihnen vage aufgefasste ökologische „Gleichgewicht zum Zustand der kleinen Harmonie zu ästhetisieren und zu versimpeln und ihm in der Sinfonie der Frühlingswiese seine Anschauung zu geben. Dieses Naturverständnis bewundert und verklärt eine menschenunabhängige, menschenfreie Ordnung der Dinge, eine vorgegebene Natur, die ganz von selbst kann, was die Menschen mit sich und ihren Gesellschaften nicht hinkriegen“ (Thürmer-Rohr 1994, 51).

Natur rückt an die Stelle von Geschichte. „Es ist eine Grundstimmung in der Ökologie-Bewegung, Eingriffe in die Natur ‚möglichst? vermeiden zu wollen, ihre Notwendigkeit allenfalls als unvermeidliches Übel anzuerkennen, weil man ja nicht auf die Bäume zurück will bzw. sich das nicht zuzugeben traut (Beispielhaft bei C. Amery: ‚die beste Produktion ist keine Produktion?, aber man kann ja nicht …). Der Grund dafür ist, dass man in der sich selbst überlassenen Natur Stabilität, Vielfalt, geschlossene Kreisläufe usw., also das, was mit Begriffen wie ‚Intaktheit? oder ‚Funktionsfähigkeit? umschrieben wird – […] garantiert sieht“ (Trepl 1980, 224).

Die Orientierung an Ökosystemen geht einher mit illusorischen Erwartungen.
Nicht nur Frederic Vester, der Papst des ‚Vernetzten Denkens?, ist der Meinung, die Natur solle uns das Vorbild sein, handele es sich bei ihr schließlich um eine Firma, die noch nie Bankrott habe machen müssen. Die Hoffnung ruht auf „zentralen kybernetischen und systemtheoretischen Begriffen wie Selbstregulation, Anpassung, Homöostase: Biologische Organismen oder Systeme haben die Tendenz, sich selbst zu organisieren, zu regenerieren, zu akklimatisieren, um einen Zustand des Fließgleichgewichts zu erreichen. Sie sind konservativ in dem Sinne, dass sie durch flexible Anpassungen an je sich ändernde innere oder äußere Bedingungen Störungen selbsttätig ausgleichen können mit dem Ziel, ihr System, ihre Vernetzung untereinander nicht zu gefährden. [...] Diese Anpassungsfähigkeit an ein Grunddesign der Natur wurde in der Evolutionstheorie grundsätzlich als segensreich angesehen im Hinblick auf den Erhalt der Gattung“ (Thürmer-Rohr 1999, 120). Die populäre Hoffnung auf solche Selbstheilungskräfte sieht ab davon, dass „solche Anpassungen und Veränderungen sowohl segensreich als auch katastrophal ausfallen können, nicht nur innerhalb menschengemachter Systeme, sondern auch in der Natur ohne Menscheneingriffe. Die Folge von Anpassung und Flexibilität ist nicht zwangsläufig die Überlebensgarantie oder die Veredelung der Gattung. Wir können nicht auf eine natürliche evolutionäre, wenn auch noch so zickzackreiche Entwicklung [...] vertrauen. Die Evolution legt nicht einfach einen wunderbaren Schöpfungsplan dar, sondern sie erweist sich als ebenso schön wie hässlich, klug und krankhaft, schöpferisch und selbstmörderisch“ (Ebd.). „Der Normalzustand der Natur ist nicht das Gleichgewicht, sondern die Pause zwischen zwei Katastrophen. Feuer, Frost, Fluten und Stürme wirbeln das Leben auf der Erde mit Macht durcheinander. Dazu kommen noch globale Desaster mit Langzeitwirkung, wie Eiszeiten oder gigantische Vulkanausbrüche, die für Dekaden den Himmel verdunkeln. Im Laufe der Evolution kam es fünfmal zu einem weltweiten Massensterben von Pflanzen und Tieren. 99 % der Arten, die jemals auf der Erde gelebt haben, starben aus“ (Maxeiner, Miersch 1998, 270).

Reale Zusammenhänge werden äußerst abstrakt theoretisiert im Ökosystemdenken (vgl. Creydt 2019b). Der Funktionalismus und die grundlegende Abstraktion von besonderen Qualitäten passen zu einer Ökonomie, in der die Inhalte und Gebrauchswerte gleichgültig sind. Es kommt nur insofern auf sie an, als sie sich dazu eignen müssen, Profit zu erwirtschaften. Im Ökosystem kommt es nicht auf die besondere Tierart an, sondern auf bestimmte Funktionen, die auch von anderen Arten erfüllt werden können. Der böse Blick auf die Ökologie-Bewegung hob schon früh die „Neben“folgen dieses Funktionalismus und dieser Einordnung in Ökosysteme hervor: „Was die Warenproduktion nur halb geschafft hat, den Menschen zugunsten der Dinge auszuschalten, ohne ihn ganz zu beseitigen – worin immer der Zwiespalt der Warengesellschaft bleibt, – gelingt den Ökologen ganz“ (Subrealisten-Bewegung 1980, 47). Das Beachten ökologischer Gesetzmäßigkeiten wird mit dem Sich-Einfügen in Ökosysteme verwechselt, als ob Menschen nicht mehr und anderes sind als sie.

Deutsche „Technologieführerschaft“
Nachhaltigkeit und Bekämpfung der Klimakatastrophe sind inzwischen im Munde fast aller Politiker von CSU bis SPD. Hofferische Beobachter und Teilnehmer von Bewegungen werden sagen: Was für ein schöner Erfolg der Umweltbewegung. Leider lässt sich das Geschehen auch anders sehen. Merkel sprach bereits nach der Fukushima-Katastrophe davon, es gehe um die deutsche „Technologieführerschaft“. Starke Fraktionen der deutschen Wirtschaft sind in den letzten 20 Jahren zur Einschätzung gekommen, ihre Chance auf dem Weltmarkt darin zu sehen, in umweltkompatiblen Technologien ganz vorn zu liegen. Es ist nicht das erste Mal, dass eine lautstark als Opposition auftretende Bewegung faktisch eine pressure-group bildet, die einem bestimmten Trend in Wirtschaft und Politik zuarbeitet.

Bewegungen haben schon immer dann besonders viel Leute auf die Straße gebracht, wenn die Regierung ihren Segen gab zum Protest. Die Schröder/Fischer-Regierung hatte sich eindeutig gegen den Krieg gegen den Irak positioniert. Auch das führte zum unüblich hohen Zustrom zur Kundgebung am 15. 3. 2003 in Berlin (500.000 Teilnehmern). „In der jetzigen Form sind die FFF-(Fridays for Future) Positionen mit einer ökologischen Modernisierung des Kapitalismus oder der ‚sozialökologischen Marktwirtschaft? vereinbar, wie Bündnis 90/Die Grünen ihre Zielgesellschaft im ‚Zwischenbericht? zu ihrem neuen Grundsatzprogramm bezeichnen“ (Stache 2019, 10). Zudem steht bei FFF die „Generationenfrage“ im Mittelpunkt: „Statt um ökonomische Ausbeutung von Mensch und Natur durch das Kapital geht es um die Einschränkung individueller Freiheit einer Generation durch ‚unsere? Lebensweise und die dadurch hervorgerufene ökologische Zerstörung. Der Hauptwiderspruch verläuft – zugespitzt formuliert – für FFF zwischen jung und alt“ (Ebd.).

Eine weitere Funktion des Nachhaltigkeits- und Klimaschutzdiskurs in Deutschland besteht darin, die aufkommenden Konkurrenten in früheren Dritte-Welt-Ländern zu diskreditieren: Was für eine dreckige Industrie die doch praktizieren – so sagt es sich leicht in Deutschland, in dem der CO 2-Ausstoß bei weitem über diesen Ländern liegt.

Beim Klima fundamental, ansonsten solide unkritisch

Viele Anhänger der Klimaschutzbewegung meinen, es handele sich um die zentrale Frage unserer Epoche. Zugleich bildet diese Bewegung eine Ein-Punkt-Bewegung. Die spannungsvolle Einheit dieser beiden Momente fand sich bereits in der westdeutschen Friedensbewegung der frühen 1980er Jahren. Sie richtete sich gegen die „Nachrüstung“. Die Friedensbewegten erachteten die „Verhinderung des 3. Weltkriegs“ als die epochale Frage, die in der Relevanzhierarchie über allen anderen Zielen stand. Die Einschüchterung im softlinken, „alternativen“ und grünen Segment der westdeutschen politischen Öffentlichkeit in den 1980er Jahren durch das Kriegsthema war enorm. Ebenso wie heute im Klimaschutz ging es damals (nur noch) um das Überleben. Jede(r) habe sich, so der Bewegungs-Tenor, auf diese notwendige Bedingung für alles andere zu konzentrieren. Ohne Frieden oder ohne Klimaschutz sei alles andere in Frage gestellt.

„First things first“ heißt in solchen Bewegungen: Sie kennen keine andern Konflikte und keine bestimmten sozialen Kräfte mehr, sondern sammeln die verschiedensten Anhänger, insofern diese sich nur mit dem einen absoluten Ziel – dem Engagement für „den Frieden“ oder „den Klimaschutz“ – identifizieren. Gewiss lassen sich äußere Bezüge verschiedener sozialer Gruppen oder Schichten der Bevölkerung zum jeweiligen Thema finden. Auf großen Demonstrationen finden sich dann einzelne Blöcke: Scientists for Future, Gewerkschaftler für Klimaschutz usw. Weder die Friedens- noch die Klimaschutzbewegung kann aber an spezifischen Widersprüchen zentraler Bereiche der Gesellschaft ansetzen. Wenn Krankenpfleger/innen und Ärzt/innen sich gegen die Organisations- und Finanzierungsweise des „Gesundheitswesens“ und gegen die Selbstverantwortungsideologie in Sachen Krankheit engagieren, dann können sie dafür ihre eigenen Kompetenzen, Erfahrungen und Wissensbestände geltend machen. Wenn Informations- und Kommunikationsexperten sich gegen die herrschenden Formen des Netzes, der „neuen sozialen Medien“ und der Informations- und Kommunikationstechnologien wenden, so drückt sich darin ebenfalls der Doppelcharakter der Arbeit aus: Sie wird infolge von bestimmten Geschäftserwartungen in Gang gesetzt und geformt. Gleichzeitig bedarf sie aber individueller Erfahrungen, Kompetenzen und Qualifikationen. Diese ermöglichen es den Arbeitenden zu sagen: „Wir haben ‚anderes drauf?. Wir können eine bessere und sozial sinnvollere Arbeit und Tätigkeit leisten, als dies uns die herrschenden ökonomischen Imperative nahelegen.“
Es handelt sich bei diesen Auseinandersetzungen um Konflikte, die die professionelle Identität im jeweiligen Arbeits- oder Tätigkeitsbereich betreffen. Damit ist eine andere Erdung und personale Integration des Protestthemas gegeben als in der Friedens- oder Klimaschutz-Engagement. Diese Bewegungen müssen sich unspezifisch „an alle“ wenden und vermögen nichts an wirklichen Befähigungen und alltäglichen Betätigungskräften und -ansprüchen (arbeitsinhaltliche Bedürfnisse) aufzubieten – wenn wir bei der Klimaschutzbewegung Naturschützer, Klimaforscher, Biologen und kritische Bauern ausklammern. Die Leistung solcher Bewegungen besteht darin, der Angst vor „dem atomaren Weltkrieg“ bzw. vor dem „Klimakollaps“ öffentlich Raum zu geben und diese Angst als legitim wahrzunehmen. Sie soll nicht länger als „alarmistisch“ oder „hysterisch“ abgetan oder verbellt werden. Gleichzeitig bieten diese Bewegungen keine Kräfte auf, die in bestimmen sozialen Konfliktbereichen gründen.
Aus diesen können Realutopien anderer Organisations- und Kooperationsformen, anderer Vernetzungs- und Vergesellschaftungsweisen entstehen. Nicht so bei der Friedens- und Klimaschutzbewegung. Gewiss bemühen sich manche ihrer Vordenker darum, zu folgern und zu proklamieren, was für soziale Bedingungen dafür erforderlich sind, dass sich Frieden und Nachhaltigkeit sichern lassen. Das ist aber ein top-down-Vorgehen. Das allgemeine Ziel ist vorgegeben. Nun soll überall danach gesucht werden, was im jeweiligen Bereich für es förderlich sei. Dieses Vorgehen hat – bei aller unbestrittenen Brisanz des Themas – etwas Konstruiertes. Reale Gesellschaftstransformation erwächst eher aus der sich langsam herausbildenden Konvergenz vieler Tendenzen und Kräfte, die sich in einzelnen zentralen Bereichen der Gesellschaft herausgebildet haben und dort ihren Rückhalt und ihre Machtbasis haben. Macht lässt sich von den Gruppen entfalten, die über Ressourcen (Qualifikationen, Erfahrungen, Wissensbestände, Kooperationspraxen usw.) verfügen, auf die die Gegenseite angewiesen ist. Diese sozialen „Bildungs- und Formativkräfte“ (Helmut Fleischer) lassen sich im Konfliktfall verweigern. Diejenigen, die sie ausgebildet haben, können zu einer neuen gesellschaftlichen Synthese beitragen und damit zu grundlegender Gesellschaftstransformation. Gegen „den Tod“ (durch Krieg oder Klimakollaps) nur „das Überleben“ zu stellen ist zu wenig. Das „Überleben“ abstrahiert von den Ansätzen und Kräften für eine neue Gesellschaft, die sich in der gegenwärtigen Gesellschaft bilden. Beim „Überleben“ geht es nicht um die Frage, welches Leben bzw. welche Lebensqualität wir haben wollen. Vielmehr geht es darum, überhaupt weiter leben zu können.

Solche Bewegungen wie die Friedens- und Klimaschutzbewegungen verwickeln sich in einen für sie charakteristischen und sie zersetzenden Widerspruch: Einerseits haben sie etwas Ultimatives: Ohne Frieden oder ohne Klimaschutz sei alles andere nichts. Anderseits ist der Großteil der gegenwärtigen Grünenwähler brav und bieder wie nie zuvor. Es soll sich in puncto Klima alles ändern, damit gesellschaftlich alles in grüner(er) Variante so bleibt, wie es ist. Am frei stehenden Eigenheim finden sie nur die Wärmebilanz und die Zersiedelung der Landschaft (die Schweizer sprechen von „Hüslipest“) problematisch, nicht die kleinfamiliäre Einengung des Umfeldes von Kindern, die Isolation von „Alleinerziehenden“ und Alleinlebenden sowie den Mangel von Kinderlosen an Kontakt zu Kindern. Diese Probleme zu überwinden, dafür würden gemeinschaftsorientierte Wohnformen (Gemeinschaftssiedlung bzw. Hausgemeinschaften) [1] helfen. Einerseits plagt viele Grüne das schlechte Gewissen ob der klimaschädlichen Effekte ihrer Fernflüge. An der Teilung zwischen einem überstressigen Alltag und der Ideologie der touristischen Überkompensation halten grüne Vielflieger aber nachhaltig fest. Mehr oder weniger direkt folgen sie die Maxime „Im Urlaub gebe ich mir endlich die volle Dosis Leben, darauf freue ich mich schon die ganze Zeit, das ist das highlight des ganzen Jahres, da tanke ich endlich auf“. Einerseits sind sie ebenso abstrakt wie absolut Gegner des „Wachstumsprinzips“, andererseits zeigen sie sich pseudo-abgeklärt immun gegen alle Gedanken über solche Formen des Arbeitens sowie der sozialen Assoziationen von Produzenten, Konsumenten und von Konsum und Produktion Drittbetroffenen, die die kapitalistische Ökonomie unnötig machen könnten. (Vgl. dazu Creydt 2016, 2019).

„Zustände, die wesentlich Nebenprodukt sind“ (Elster 1987, 141)
Allenthalben heißt es: Die Klimakatastrophe ist „menschengemacht“. Auch die Klimaschützer beschäftigten sich nicht sonderlich damit, warum in der Gesellschaft – trotz aller anders lautenden Beteuerungen – nicht „der Mensch“ im Mittelpunkt steht. Zentral ist stattdessen eine Ökonomie, deren „Sachzwängen“ sich alle zu unterwerfen haben. Wenn „die deutsche Wirtschaft“ auf dem Weltmarkt an Konkurrenzfähigkeit verliere, dann drohe „der Abstieg“. Wir leben nicht im Anthropozän, sondern im Kapitalozän. Ökonomisches Wachstum wird im Kapitalismus nötig, um den durch den geringeren Anteil von lebendiger Arbeit (an den Gesamtaufwendungen für die Produktion) verursachten Fall der Profitrate (als Verhältnis zwischen Mehrwert und insgesamt aufgewandtem Kapital) durch Zunahme der Profitmasse zu kompensieren. Die Nachfrage nach Arbeit muss absolut zunehmen, weil sie relativ sinkt. Klimaschützer fragen nicht, wie die Bevölkerung eine Gesellschaft einrichten kann, die keine abhängige Variable einer verselbständigten und selbstbezüglichen Ökonomie darstellt. Die Verwertung des Kapitals ist ihr A und O. Klimaschützer tun latent so, als sei die Gesellschaft, in der wir leben, „unsere“ und als könnten „wir Menschen“ das „menschengemachte“ Klima mit klarem Willen und gemeinsamer Konzentration aller Anstrengungen bewahren. „Die Menschen“ und „das Klima“ bilden dann die beiden Seiten eines recht übersichtlichen Szenarios. Es unterstellt eine Wirkmächtigkeit eines vorgestellten guten, d. h. hier: mit einem erträglichen Klima kompatiblen gemeinschaftlichen politischen Willen aller Mitglieder der Bevölkerung. Klimaschützer engagieren sich dafür, diesen politischen Willen zustande zu bringen. Sie setzen einen handlungsfähigen Staat voraus bzw. wollen durch ihr Engagement dafür sorgen, dass der Staat seine eigentliche Aufgabe endlich tatsächlich erfüllt. Sie ignorieren ein zentrales Entsprechungsverhältnis: Der Staat der repräsentativen Demokratie bildet das Pendant zur verselbständigten Ökonomie. Er ist nicht dazu geeignet, sie substanziell zu beherrschen und zu gestalten. Die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ der repräsentativen Demokratie schließt das ebenso explizit wie kategorisch aus. [2] Bereits heute heißt es allenthalben: Klimapolitik dürfe nicht die Freiheit der Individuen in Frage stellen. Viele unterschätzen die „Schwierigkeit“, unter Voraussetzung der „westlichen Lebensweise, die Individualismus und Selbstbestimmung absolut setzt“, „ein politisches Gemeinwesen zu bilden, das selbstbestimmten Konsument*innen Grenzen setzt“ (Novy 2018, 56). Nachhaltigkeits-Publizisten bemühen eine genuin liberale bzw. bürgerliche Maxime: „Die Ausübung eigener Freiheitsrechte gerät immer dort an Grenzen, wo sie die Freiheitsrechte anderer beeinträchtigt. […] Ein aufgeklärter Liberalismus zielt darauf, möglichst allen Bürgern ein Maximum an individueller Entfaltung zu ermöglichen. Es geht um die Toleranz gegenüber einer Vielfalt von unterschiedlichen Lebensweisen, die nebeneinander existieren können. Suffiziente Lebensweisen sind in aller Regel wenig invasiv, das heißt, sie schränken andere in der Entfaltung ihrer Lebensentwürfe kaum ein. Eine Politik, die suffizientes Leben einfacher macht, ist daher eine im Kern liberale Politik“ (Schneidewind, Zahrnt 2013, 23). Die beiden letzten Sätze sind reines Wunschdenken. Sie gehen an der Allergie von gegenwärtigen Individualisten gegen jede Beschränkung vorbei. Die Auseinandersetzungen um die Maßnahmen gegen die Covid-Epidemie zeigen, wie viele Bürger „Freiheit“ gegen „Sicherheit“ in Stellung bringen.

Im auf die Staatspolitik und auf den Bewusstseinswandel der Konsumenten fokussierten Vorstellungsraum der Klimaschützer kommt so etwas wie eine grundlegende Umstrukturierung der Gesellschaft nicht vor. Diese Transformation würde die Verselbständigung gesellschaftlichen Geschehens (z. B. der Ökonomie) gegen zentrale Bedürfnisse in der Bevölkerung überwinden. Wenn die Bevölkerung nicht Souverän im eigenen Haus wird bzw. die Gesellschaft nicht zum eigenen Haus einrichtet, dann wird es auch mit solch vermeintlich klaren Zielen wie „menschenfreundliche klimatische Bedingungen erhalten“ schwierig. Alle sind guten Willens, aber können sich gegen die unglücklicherweise von vielen als unüberwindbar und obendrein auch noch als nützlich anerkannten „Sachzwänge“ nicht durchsetzen.

Die Klimaschützer wollen bestenfalls die ökologischen Schranken einer modernen repräsentativen Demokratie mit kapitalistischer Ökonomie gegen diese Wirtschaft geltend machen. Das gleicht dem Vorhaben, einem Organismus ein fremdes Organ einzupflanzen. Unverträglichkeitsreaktionen des Körpers sind dann hoch wahrscheinlich. Wie viele andere Bewegungen vor ihnen wollen auch die Klimaschützer es sich angesichts ihrer tatsächlich schweren Aufgabe leicht machen. Sie meinen, die Eigenlogik der Wirtschaft mit äußeren Schranken in den Griff zu bekommen. Niemand kann aber die Kraft des Tigers nutzen („Pack den Tiger in den Tank“ lautete ein Slogan von Esso) und ihn gleichzeitig zum Vegetarier umerziehen wollen. Wir können keinen „100-Meter-Lauf veranstalten und die Läufer bitten, nicht so schnell wie möglich zu laufen, sondern nur so schnell, dass zum Beispiel der Rasen nicht leidet“ (Felber 2008, 62). „Wenn jemand fürs Gewinnemachen sozial anerkannt und belohnt wird, kann man schwerlich von ihm oder ihr erwarten, dass er/sie ab einer gewissen Erfolgshöhe in einer weiteren Steigerung des Erfolgs keinen Erfolg mehr sieht, sondern das Gegenteil“ (Ebd., 64). Erst wenn innerhalb der modernen repräsentativen Demokratie mit kapitalistischer Ökonomie soziale Kräfte entstehen, die deren eigene Grenzen in Frage stellen, erst dann wird deren grundlegende Transformation als not-wendig erkannt. [3] Nicht länger geht es darum, ihrer Selbstbezüglichkeit und Immanenz fremde Konzessionen in puncto Natur abzuverlangen.

Wir bedürfen der konkreten Realutopie eines anderen Arbeitens und Wirtschaftens, anderer Gesellschaftsstrukturen und Lebensweisen. (Vgl. dazu Creydt 2016, 2019). Es geht darum, dass den in puncto Klima gutwilligen Menschen nicht länger die gesellschaftlichen Eigendynamiken (v. a. die der Ökonomie) dazwischenkommen, so dass es beim guten Willen bleibt und er nicht recht praktisch wird bzw. sich nicht durchsetzen kann. Die Verselbständigung gesellschaftlicher Zusammenhänge gegen die Menschen lässt sich nicht in einem Politikfeld (Umweltpolitik) korrigieren. Eine gute Umweltpolitik in einer sonst von der Bevölkerung nicht beherrschten Gesellschaft hat es schwer. Wenn wir die für Menschen gedeihlichen klimatischen Bedingungen schützen wollen, dürfen wir nicht wie das Kaninchen auf die Schlange (Klimakatastrophe) starren. Viele Klimaschützer wollen die Klimakastrophe unmittelbar bekämpfen. Allenfalls davon abgeleitet, also indirekt und hilfsweise kommen sie dazu, politische und ökonomische Forderungen aufzustellen. Sie wollen so wenig wie möglich und so viel wie nötig an der Gesellschaft ändern, damit diese öko-kompatibel wird. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Klimaschutz kann erst gelingen als Nebeneffekt der Aneignung der Gesellschaft durch die Bevölkerung. Wir brauchen mehr als eine Klimaschutzbewegung, um a u c h das Klima zu schützen.

Literatur
Aron, Raymond 1984: Über die Freiheiten. Frankfurt M.
Creydt, Meinhard 2016: 46 Fragen zur nachkapitalistischen Zukunft. Erfahrungen, Analysen, Vorschläge. Münster
Creydt, Meinhard 2019: Was kommt nach dem Kapitalismus? Berlin
Creydt, Meinhard 2019a: Die Teufelskreise des Technizismus und das gute Leben. In: Telepolis 7.12.2019
Creydt, Meinhard 2019b: Ökosystem-Ansätze und Ökologismus. In: Telepolis, 6.10.2019
Detjen, Joachim 2009: Verfassungswerte. Welche Werte bestimmen das Grundgesetz? Bonn
Elster, Jon 1987: Subversion der Rationalität. Frankfurt M.
Felber, Christian 2008: Neue Werte für die Wirtschaft. Wien
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1969: Briefe von und an Hegel. Hg. v. J. Hoffmeister und F. Nicolin. Bd. I, Hamburg
Knitterscheidt, Kevin 2019: Dax-Konzerne auf Fünf-Grad-Kurs. In: Handelsblatt 9.7.2019
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/klimaziele-dax-konzerne-auf-fuenf-grad-kurs-so-faellt-die-co2-bilanz-der-grossunternehmen-aus/24529784.html
Land, Rainer 2011: Kritik der Wachstumskritik. Zur Unterscheidung zwischen wirtschaftlichem Wachstum und wirtschaftlicher Entwicklung.
http://docplayer.org/114522519-Rainer-land-abstrakt-kritik-der-wachstumskritik-zur-unterscheidung-zwischen-wirtschaftlichem-wachstum-und-wirtschaftlicher-entwicklung.html
Land, Rainer 2017a: Der Irrtum der Postwachtumsdebatte, Teil 1. In: Makroskop, 4.4.2017
Land, Rainer 2017b: Der Irrtum der Postwachtumsdebatte, Teil 3. In: Makroskop, 29 .4.2017
Marquard, Odo 2004: Individuum und Gewaltenteilung. Stuttgart
Maxeiner, Dirk; Miersch, Michael 1998: Lexikon der Öko-Irrtümer. Frankfurt M.
Meier-Seethaler, Carola 1998: Gefühl und Urteilskraft. München
Narr, Wolf-Dieter; Roth, Roland; Vack, Klaus: Wider kriegerische Menschenrechte – Eine pazifistisch-menschenrechtliche Streitschrift. Köln Dezember 1999
Novy, Andreas 2018: Imperiale Lebensweise, Freiheit und Grenzen, in: Sozialismus, Heft 10, S. 53–57
Ramm, Thilo 1974: Einführung in das Privatrecht, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. 1. München
Sachs, Wolfgang 1991: Natur als System. Vorläufiges zur Kritik der Ökologie. In: Scheidewege, Jg. 21. Stuttgart
Schneidewind, Uwe; Zahrnt, Angelika 2013: Damit gutes Leben einfacher wird. München
Schreiner, Patrick 2012: Postwachstumistische Mythen. In: kritisch-lesen.de
https://kritisch-lesen.de/rezension/postwachstumistische-mythen
Stache, Christian 2019: Zwieschlächtig. Wissenschaftsglaube, grüner Liberalismus und Mitmachdemokratie bei Fridays for Future. In: Forum Wissenschaft, H. 4. Marburg
Subrealisten-Bewegung 1980: Zur Kritik der Politischen Ökologie. Hamburg
Thürmer-Rohr, Christine 1994: Verlorene Narrenfreiheit. Essays. Berlin
Thürmer-Rohr, Christine 1999: Vagabundinnen. Feministische Essays. Frankfurt M.
Trepl, Ludwig 1980: Ökologisches Gleichgewicht und Entwicklung. In: Materialien zur 1. Sozialistischen Konferenz. Berlin
Trepl, Ludwig 1985: Natur im Griff. In: Winfried Hamann, Thomas Kluge (Hg.): In Zukunft. Reinbek bei Hamburg
Weber, Anne-Kathrin 2018: Rezension von Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge. Deutschlandfunk 12.2.2018 https://www.deutschlandfunk.de/kathrin-hartmann-die-gruene-luege.1310.de.html?dram:article_id=410423
Zelik, Raul 2020: Wir Untoten des Kapitals. Berlin

Fußnoten

    [1] Wo nicht gemeinsam über Boden und Wohnungsbau verfügt werden kann, „sind neue Wohnstrukturen nur beschränkt realisierbar. Und für Immobilienbesitzer sind Anlagen mit Gemeinschaftsflächen oder -räumen weniger rentabel als herkömmliche Wohnungen oder Luxusappartments“ (Meier-Seethaler 1998, 384f.).
    [2] Die Vertreter der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ warnen vor dem „Ehrgeiz, die Gesellschaft von Grund auf zu gestalten oder umzugestalten“. Denn dieser „marxistische Ehrgeiz“ (Aron 1984, 44) gefährde die Freiheit der Individuen. Allein der Verzicht auf die große Freiheit (der kollektiven Gesellschaftsgestaltung) sichere die Existenz der individuellen Freiheit, so Odo Marquard (2004, 95f.). Privateigentum ermögliche Freiheit und Unabhängigkeit vom oder gegenüber dem Staat. Demokratie habe sich auf öffentliche bzw. politische Institutionen zu beschränken und dürfe nicht auf private bzw. unpolitische Institutionen wie Betriebe ausgedehnt werden.
    Das Eigentum gilt in der bürgerlichen Gesellschaft als zentrale Teilmenge eines hohen Gutes, der „allgemeinen Handlungsfreiheit“ (Grundgesetz, Artikel 2, Abs. 1). „Das Grundgesetz [...] setzt darauf, dass die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen nicht zentral vom Staat, sondern dezentral von den einzelnen Wirtschaftssubjekten getroffen werden.“ Die Verfassung gewährleistet „autonomes Wirtschaften und autonomes Verfügen über Wirtschaftsgüter“ (Detjen 2009, 97f.). „Die Garantie des Eigentums bedeutet, dass sich die Wirtschaftsgüter in der Verfügung Privater befinden“ (Ebd., 100). Das Bundesverfassungsgericht wertet das Eigentumsrecht als „ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht.“ Es dient dazu, dem Einzelnen „einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen“ (BverfGE 24, 267 (389)). „Das Privateigentum erscheint als die reale Grundlage der individuellen Unabhängigkeit und damit der Freiheit“ (Ramm 1974, 50).
    Bei dem die Sozialisierung betreffenden Artikel 15 des Grundgesetzes handelt es sich keineswegs um die Erlaubnis zur sozialistischen Umgestaltung, sondern um eine Ausnahmevorschrift. Einzelnes Privateigentum kann enteignet werden, wenn der Eigentümer sich weigert zu verkaufen und falls damit Schaden für Belange droht, die für die Entfaltung des bürgerlichen Gemeinwesens notwendig sind (z. B. Straßenbau, Gewerbeansiedlung). Die Sozialisierung unterliegt vielfältigen Einschränkungen und ist an die Entschädigung des Kapitals gebunden, das, der besonderen materiellen Güter enteignet, nun anderwärtig, in seiner allgemeinen Gestalt als Geld, investiert werden können muss. Die Sätze „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ (GG Art 14.2) sind zum einen im Kontext dieser in sehr engen Grenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft möglichen rechtlichen Unterordnung des Privateigentums unter übergeordnete Belange in der bestehenden Gesellschaft zu verstehen. Zum anderen im Kontext der Vorstellung, im normalen Gang der bürgerlichen Gesellschaft resultiere das Allgemeinwohl primär gerade daraus, dass die Bürger ihre Privatinteressen verfolgen und mit ihrem jeweiligen Eigentum (Kapital, Arbeitskraft u. a.) wirtschaften.
    [3] Hegels Unterscheidung zwischen Schranke und Grenze ist hier hilfreich. Ein Acker lässt sich in Bauland umwandeln, dann ist er kein Acker mehr. Die Grenze des Ackers besteht in seinem Inhalt, ein Acker zu sein. Wird seine Größe verändert, bleibt er ein Acker, nur seine Schranke hat sich verschoben. Bestimmte Eigenschaften sind einer Sache notwendig, andere nicht. Für Eigenschaften, die den notwendigen Eigenschaften der bestimmten Sache widersprechen, brauche ich eine andere Sache. Der Begriff der Schranke gehört zu einer bestimmten Interpretation. Ihr Urteil lautet: „Eigenschaften werden der Sache verwehrt. Dass ein Objekt eine Eigenschaft empirisch nicht aufweist, hat seine Ursache nicht wesentlich in ihm. Vielmehr wird es durch äußerliche Einschränkung von dieser Eigenschaft abgehalten, also beschränkt.“ Die beschränkte Sache lässt sich erweitern und dann ist das Problem behoben. Anders bei der begrenzten Sache. Schranken sind einer Sache exmanent, Grenzen immanent.